Hagen. Beleidigungen und Attacken gegen Polizei, Feuerwehr und Ordnungskräfte gehören in Hagen zum Alltag. Die Steigerungsraten sind höher als im Land.

Alarmierende Verrohung im Umgang zwischen Bürgern und Behördenvertretern in Hagen – hier einige Fakten: 75 Polizeibeamte wurden im vergangenen Jahr bei Konfrontationen mit Gewalttätern leicht oder schwer verletzt, vier sogar brutal zusammengeschlagen. Die Steigerungsrate in den letzten fünf Jahren liegt in Hagen bei 60 Prozent, NRW-weit lediglich bei 40 Prozent.

Thomas Kutschaty (SPD), Oppositionsführer im NRW-Landtag, hört bei seinem Besuch den Vertretern der Behörden genau zu.
Thomas Kutschaty (SPD), Oppositionsführer im NRW-Landtag, hört bei seinem Besuch den Vertretern der Behörden genau zu. © WP | Michael Kleinrensing



Ähnliche Erfahrungen macht auch die Hagener Feuerwehr vor allem bei ihren Rettungseinsätzen – und das nicht bloß in der Silvesternacht. 80 Prozent der Straftaten gegen Gerichtsvollzieher werden gar nicht erst angezeigt, und Stromableser von Enervie müssen nicht bloß bei Zählersperrungen damit rechnen körperlich attackiert zu werden. In der Obernahmer wurde ein Mitarbeiter zuletzt von einem Bürger gleich mit dem Hinweis auf dessen hauseigenes Waffenarsenal empfangen.

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Die Sommertour von NRW-Oppositionsführer Thomas Kutschaty (SPD) nutzten am Dienstag verschiedene Hagener Behördenvertreter, um sich bei einem Frühstücksgespräch über die aktuelle Situation auszutauschen. „Ich möchte angesichts der anhaltenden Beleidigungen und Angriffe auf Amtsträger vor allem erfahren, ob die Verschärfung des Strafrahmens irgendwelche Effekte gezeigt hat“, machte der Ex-NRW-Justizminister deutlich, dass die jüngste Entwicklung gesellschaftlich nicht zu tolerieren sei.

Polizei fordert mehr Konsequenzen

„Wir können das über Gesetze nicht lösen“, betonte Hagens Polizeipräsident Wolfgang Sprogies und verwies auf die Wut vieler Beamter, weil nach Anzeigen den Tätern nichts passiere. Rühmliche Ausnahme sei zuletzt eine Freiheitsstrafe gegen einen Angreifer gewesen, der mit einer Silvesterrakete auf einen Beamten gezielt habe: zwei Jahre ohne Bewährung. „Es braucht solche Signale“, meinte Sprogies, der auch schon Gespräche zwischen Richtern und Polizisten organisiert hat, die sich von der Justiz im Stich gelassen fühlen.

Obergerichtsvollzieher Arnold Schwab muss in seinem Job auch erleben, dass er von Bürgern direkt angegangen wird.
Obergerichtsvollzieher Arnold Schwab muss in seinem Job auch erleben, dass er von Bürgern direkt angegangen wird. © WP | Michael Kleinrensing


„Wir brauchen keine Verschärfung der Gesetzgebung, sondern eine konsequente Anwendung“, lautete auch die These von Hagens Rechtsdezernent Thomas Huyeng. Es bestehe ein hohes öffentliches Interesse, dass gerade Verfahren wegen Beleidigungen und Attacken gegen Vertreter von Ordnungsbehörden nicht einfach eingestellt würden.

Seitens der Feuerwehr wurde die Forderung formuliert, die Aus- und Fortbildung im Bereich der Deeskalation, aber auch bei der Abwehr von Attacken zu etablieren und dafür einen finanziellen Rahmen zu schaffen. Allein in den vergangenen beiden Wochen wurden Feuerwehrbeamte im Rettungsdienst dreimal als „Nazi-Schweine“, „Hurensöhne“ und „Arschloch“ tituliert und ein Kollege sogar auf einem Balkon im vierten Obergeschoss an der Geländerkante angegriffen. Vize-Feuerwehrchef Ralf Blumenthal beschrieb aber noch ein weiteres Dilemma: Solche Fälle würden von seinem Haus nicht an die große Glocke gehängt, um keine Nachahmer zu provozieren, aber auch, um möglichen Feuerwehr-Nachwuchs nicht abzuschrecken.

Brenzlige Situationen erleben auch die Hagener Gerichtsvollzieher, die von Amtswegen in die Privatsphäre von Menschen eindringen müssen, um dort Vermögenswerte aufzuspüren. „Wir sind dort allein, nur mit einem Kugelschreiber ,bewaffnet’“, berichtete Arnold Schwab, Obergerichtsvollzieher beim Amtsgericht Hagen, dass es nicht zuletzt durch die EU-Zuwanderung Gebiete in Hagen gebe, „wo wir nicht mehr hingehen können“. Das habe zum einen mit Verständigungsproblemen, aber auch mit Bedrohungslagen zu tun. Er forderte daher, schwierige Fälle künftig gemeinsam mit der Polizei anzusteuern.