Hagen. Mit einer klaren Strategie soll in Hagen versucht werden, den Mietwohnungsmarkt zu stabilisieren. Ein Konzept dafür liegt jetzt auf dem Tisch.
Im Ranking für die populistischste Phrase des Jahres dürfte Baudezernent Henning Keune 2019 chancenlos bleiben. „Wohnen in Hagen muss teurer werden“, forderte er in den jüngsten Sitzung des Stadtentwicklungsausschusses und legte gleich mit der passenden Begründung nach: „Nur so können sich jene Investitionen rentieren, die wir so dringend brauchen“, zielte er nicht etwa bloß auf die Ausweisung weiterer Einfamilienhaus-Siedlungen ab, sondern rückte auch die Errichtung von Mehrfamilienhäusern sowie sozialen Wohnungsbau in den Mittelpunkt der Debatte.
3500 marode Wohnungen weg
Mit dieser Neuausrichtung der Hagener Wohnungsmarktpolitik bewegt sich der Hagener Ressortchef inhaltlich im gleichen Fahrwasser wie der Wuppertaler Professor Dr. Guido Spars (Bergische Universität, Institut für Raumforschung & Immobilienwirtschaft). Dieser hatte Verwaltung und Politik bereits im Jahr 2016 angesichts einer für den Markt völlig ungesunden Leerstandsquote jenseits der Sieben-Prozent-Marke nahelegte, sich von 3500 maroden oder nicht mehr zeitgemäßen Wohneinheiten in Hagen zu trennen und stattdessen 1500 moderne Alternativen neu zu schaffen: „Das ist schlimmer als ungesund, der Markt funktioniert nicht mehr, die Anbieter kannibalisieren sich gegenseitig“, warnte der Hochschullehrer vor einer durchaus kritischen Lage in Hagen.
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Die Analyse von Spars blieb aber noch in zwei weiteren Punkten unmissverständlich: Mittel- und langfristig wird die Einwohnerzahl in Hagen wieder sinken und die sozialstrukturellen Probleme in den innerstädtischen Tallagen sich weiter konzentrieren. Vor diesem Hintergrund hat die Stadt ein „Handlungskonzept Wohnen“ erstellen lassen, das für den nächsten Jahre grundsätzliche Zielmarken definiert und gleichzeitig als Leitfaden dienen soll, entlang dessen sich sämtliche Akteure auf dem Wohnungsmarkt orientieren. Herzstück des Handlungskonzeptes, das von dem Dortmunder Institut für Raumforschung & Immobilienwirtschaft (IRI) in Zusammenarbeit mit den lokalen Akteuren in Hagen erarbeitet wurde, sind sechs Teilziele, die es miteinander zu verzahnen gilt:
1. Kooperationskultur zwischen der Stadt und den Wohnungsunternehmen sowie den Einzeleigentümern etablieren: Gemeint ist ein permanenter Austausch und Abstimmungsprozess, um zu einer gemeinsamen Strategie in der Wohnungs- und Stadtentwicklungspolitik zu kommen. Größte Herausforderung dürfte dabei sei, die zahlreichen Einzel-Immobilienbesitzer mit ins Boot zu holen. „Es wird sehr schwierig werden, einen Einzeleigentümer dazu zu bewegen, seine Immobilie abzureißen, die eventuell seine Altersversorgung ist“, betont IRI-Geschäftsführer Michael Heinze. „Hier muss externe Förderung für die Quartiere eingeworben werden, um Rückbau betreiben zu können.“ Nur etwa 30 Prozent des Hagener Marktes sind im Besitz von Wohnungsunternehmen.
2. Anpassung des Wohnungsbestandes (ca. 100.000 Einheiten): Für die unterschiedlichen Alters- und Lebensstilgruppen müssen Angebote geschaffen werden. Zentrale Stichworte sind dabei Barrierefreiheit, hochwertige Angebote in der Innenstadt, Mehrgenerationen-Konzepte, energetische Stadtsanierung, klimagerechte Wohnsanierung, weniger Versiegelung im Stadtbereich zugunsten von Grün- und Freiflächen sowie Dach- und Fassadenbegrünungen. Die Wohnungsgesellschaften wollen bis 2023 etwa 190 Millionen Euro in ihre Bestände investieren – ein erster Schritt, in der Summe jedoch für den Hagener Markt viel zu wenig.
3. Neubau von zukunftsfähigen Wohnformen: Marktgerecht sind innovative Wohnkonzepte für mehrere Generationen. Priorität sollte dabei auf Innenstadtlagen mit guter Infrastruktur und ÖPNV-Anbindung liegen – sowohl Baulücken als auch Rückbau-Grundstücke. Ohne diese Neubauimpulse vorzugsweise in bestehenden Siedlungsstrukturen sei Hagen im Wettbewerb mit anderen Kommunen nicht mehr konkurrenzfähig. Die Gutachter empfehlen als Instrument eine Quotierung des Baus von öffentlich geförderten Wohnungen (ca. 25 Prozent) beim Neubau auf städtischen Grundstücken.
4. Reduzierung des Leerstandes/Rückbau: Hier sehen die Gutachter den größten Druck, zumal statt des geforderten Abrisses von 3500 Wohneinheiten innerhalb von zehn Jahren die Hagener Wohnungsunternehmen bis 2028 lediglich 528 Wohneinheiten vom Mark nehmen wollen. Dabei sollte der Rückbau, so das IRI-Institut vorzugsweise in jenen Lagen stattfinden, wo Wohnen und Gewerbe sich gegenseitig behindern, beispielsweise entlang der Eckeseyer, der Berliner oder auch der Schwerter Straße. Das reduziert nicht bloß die Leerstandsquote, sondern schafft auch Luft für neue Gewerbeentwicklungen.
5. Aktive Vermarktung des Wohnstandortes: Bislang gibt es keine Vermarktungsstrategie für den Hagener Wohnungsmarkt, die den Standort beispielsweise auch für Studenten aus Dortmund und Bochum oder gar für jene Pendler attraktiv macht, die täglich nach Hagen hineinströmen.
6. Wohnungsmarktbeobachtung einrichten: Vorzugsweise bei der Stadt sollten die Wanderbewegungen kontinuierlich beobachtet werden, um frühzeitig auf sich verändernde oder gar umkippende Quartiere reagieren zu können.