Hagen. Die Fernuni-Wissenschaftlerin Dr. Jolanda van der Noll hat geflüchtete Syrer in Hagen befragt. Die allermeisten sehen ihre Zukunft in Hagen.
Syrische Staatsangehörige stellen inzwischen nach Menschen mit türkischem Pass die zweitgrößte Gruppe bei den ausländischen Bürgern in Hagen, die nicht aus EU-Ländern kommen. Rund 3900 Syrer leben in Hagen – die WP hatte berichtet. Die allermeisten von ihnen sind durch die Wirren des Bürgerkrieges nach Hagen gekommen. Doch wie sehr sind sie in Hagen angekommen? Wie sehr lassen Sie sich auf die Gesellschaft ein?
Eine Studie der Sozialwissenschaftlerin Dr. Jolanda van der Noll von der Fernuniversität Hagen (Lehrgebiet Community Psychology) gibt Aufschlüsse. Die Grunderkenntnisse: Der überwiegende Teil der befragten Syrerinnen und Syrer sieht seine Zukunft in Hagen, und hat positive Erfahrungen mit Deutschen. Arbeit zu haben und die Sprache zu beherrschen, werden als wichtige Faktoren für das Gefühl, willkommen zu sein, gesehen.
Wie viele Personen konnten Sie für Ihre Studie gewinnen?
Jolanda van der Noll: 146 Personen syrischer Herkunft, die in Hagen leben, haben an der online-basierten Umfrage teilgenommen, Daten von 112 Personen konnten letztlich für die Auswertung verwendet werden. Mit dieser Stichprobe können aussagekräftige Ergebnisse erreicht werden, auch wenn sie nicht repräsentativ für alle in Hagen lebenden Personen syrischer Herkunft ist. Von den 112 Personen, die in der Auswertung berücksichtigt werden, sind 30 Prozent weiblich. Das Alter variiert zwischen 18 und 61 Jahren, das Durchschnittsalter liegt bei 32 Jahren. Die meisten Personen (76 Prozent) sind im Jahr 2016 oder später nach Hagen gekommen. Die Mehrzahl der Teilnehmenden (73 Prozent) hat Familienangehörige, die ebenfalls in Hagen wohnen.
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Was sind die Ergebnisse?
Insgesamt sehen die Befragten ihre Situation positiv. 51 Prozent sind derzeit alles in allem zufrieden mit ihrem Leben; 79 Prozent sind optimistisch, wenn sie an die Zukunft denken. Dazu passt auch, dass 69 Prozent in Bezug auf das Aufnahmeklima positive bis sehr positive Erfahrungen gemacht haben. 21 Prozent geben allerdings auch an, Diskriminierungen erfahren zu haben.
Wie beurteilen die Befragten ihre eigenen Wurzeln?
86 Prozent der Befragten äußern den Wunsch, dass sie auch ihre eigene Kultur in Deutschland beibehalten möchten. Kombiniert mit dem Ergebnis, dass 97 Prozent es wichtig finden, an der Hagener Gesellschaft teilzunehmen, ist dies so zu werten, dass der Integrationswille sehr hoch ist, die eigenen Wurzeln dabei aber nicht verleugnet werden sollen. Nur fünf Prozent der Befragten sind der Meinung, dass Syrer und Syrerinnen in Deutschland unter sich bleiben sollten.
Fußball, Urlaub, Kino
BVB oder Schalke?
Ich interessiere mich nicht so für Fußball, aber, wenn ich wählen muss, dann BVB – weil: Wenn die spielen, ist es schön ruhig in der Kletterhalle… .
Urlaub am Meer oder in den Bergen?
Am besten eine Kombination aus beidem, oder an die niederländische Nordsee.
Welchen Film haben Sie zuletzt im Kino gesehen?
Suffragette - Taten statt Worte: über den Streit über das Wahlrecht für Frauen in Großbritannien Anfang des 20. Jahrhunderts.
Wie sehen die Befragten ganz konkret ihre Situation in Hagen?
Auch in Bezug auf Hagen als Stadt sind die Ergebnisse positiv. 88 Prozent fühlen sich mit der Stadt verbunden, 59 Prozent haben positive Erfahrungen mit den Behörden in Hagen gemacht; und 65 Prozent sehen für sich eine längerfristige Perspektive in Hagen.
Welche Schlussfolgerungen ziehen Sie aus diesen Ergebnissen?
Die bislang gewonnenen Daten sind die Grundlage für weitere Forschungen, es hat sich aber schon jetzt gezeigt: Die Geflüchteten sind in Hagen auf eine sehr wohlwollende Atmosphäre, eine Willkommens-Kultur, gestoßen. Die Mehrheit der Befragten sieht für sich eine Zukunft in Hagen. Die Sprache zu erlernen und Arbeit zu finden, werden als große Herausforderungen empfunden. Arbeit zu haben, so die Erkenntnis, ist aber gleichzeitig auch mit dem Gefühl, willkommen zu sein, verknüpft.
Wie sind Sie an die Befragten gelangt? Sind nicht die ohnehin engagierten Syrer befragt worden?
Wir haben an vielen Stellen in der Stadt einen Flyer mit einer Einladung zur Teilnahme verteilt und sind an Migrantenorganisationen herangetreten. Außerdem haben wir in Sprachkursen, über soziale Medien und soziale Netzwerke der syrischen Gemeinschaft in Hagen für Teilnehmende geworben. Sicherlich gibt es aber eine Verzerrung und wahrscheinlich haben vor allem die Syrer und Syrerinnen teilgenommen, die in Hagen recht gut eingebunden sind. Dennoch schaffen die Ergebnisse einen guten Eindruck über die wahrgenommene Willkommens-Kultur in Hagen in der syrischen Gemeinschaft.
Wissenschaftliche Grenzgängerin
Die Politikwissenschaftlerin Dr. Jolanda van der Noll ist Niederländerin und 37 Jahre alt. Sie lebt seit 2014 in Hagen. Studiert hat sie in den Niederlanden (Leiden).
Bevor sie promovierte, belegte sie ein interdisziplinäres forschungsorientiertes Masterstudium in Utrecht/NL. Seitdem ist sie eine Grenzgängerin und arbeitet an der Schnittstelle von Politikwissenschaften und Psychologie.
„Die sozialpsychologische Perspektive hat mich immer schon interessiert, und in meinem Studium der Politikwissenschaften habe ich schon Schwerpunkte in Psychologie gesetzt.“ Inhaltlich spielten die Themen Migration und Multikulturalismus bereits eine Rolle.
Was wissen Sie denn sonst noch zu den Befragten?
Das Bildungsniveau der Befragten ist relativ hoch: Mehr als ein Drittel (36 Prozent) hat einen Hochschulabschluss und weitere 45 Prozent sind länger als zehn Jahre zur Schule gegangen. Zurzeit befindet sich ungefähr die Hälfte der Befragten (51 Prozent) im Studium oder einer Aus- bzw. Weiterbildung und ein weiteres Viertel (24 Prozent) der Befragten hat Arbeit. Allerdings gaben 80 Prozent der Befragten an, dass die Tätigkeit, der sie hier nachgehen, nicht ihren in Syrien erworbenen beruflichen Qualifikation entspricht. Wir haben auch gefragt, was für weitere Angebote zur Förderung der Integration in Hagen erwünscht sind. Neben mehr gezielten Angeboten für Kinder und Frauen wird deutlich, dass die Befragten sich über mehr Kontaktmöglichkeiten mit Deutschen freuen würden.
Wie sehen Ihre weiteren Pläne aus?
Aus der Umfrage möchten wir neben den wissenschaftlichen Erkenntnissen möglichst praktische Handlungsempfehlungen ableiten: für die Teilnehmenden selbst, aber auch im Rahmen des Möglichen für Institutionen, die mit geflüchteten Menschen zu tun haben. Daher werden wir die Ergebnisse auch mit unserer Zielgruppe – den in Hagen lebenden Menschen aus Syrien – und den Praxis-Partnerinnen und -partnern diskutieren. Ich kann mir auch vorstellen, das Thema auszuweiten: Ich wohne selbst in Wehringhausen. Ich weiß, dass der Zuzug von Menschen aus Südosteuropa die Menschen bewegt. Auch hier kann ich mir weitere Forschungen vorstellen.