Hagen. . Keine Café, keine Aufenthaltsqualität – dafür Müll und Wasser in Beton. Unser Tauschreporter beschreibt seine Eindrücke von der Volme in Hagen.
Einer meiner Bekannten ist Landschaftsgärtner. Als er mal zu Besuch war, zeigte ich ihm unseren Garten und fragte, wie ich den ganzen Giersch loswerden könnte. „Was willst du denn?“, fragte der Fachmann zurück, „ist doch schön grün.“ Kann man so sehen.
Hagen ist natürlich grün, fast die Hälfte des Stadtgebietes besteht aus Wald, habe ich nachgelesen. Und es ist die Stadt der vier Flüsse. Viel Wasser, viel Grün, klingt logisch. Meine Tagesaufgabe ist die Inspektion der Volme, also des Flusses, der durch die City rauscht.
Braunes Wasser im abgelebtem Beton
Ich beginne auf der Altenhagener Brücke und sehe einen Verhau aus Straßen, braunes Wasser, eingesperrt in abgelebtem Beton, wild wuchernde Vegetation und – alles überragend – den Büroturm des Arbeitsamtes. Es nieselt, der Himmel graut, das macht die Aussicht an diesem Tag natürlich nicht schöner. Direkt neben der Brücke hat jemand einen Bürostuhl entsorgt.
Nach ein paar Metern stoße ich auf eine Schar Tauben, die sich frisch gestreute Körner picken. Ein Mann steht daneben und schaufelt mit den Händen zusätzlich Weißbrot auf den Boden. „Ist Taubenfüttern hier nicht verboten?“, frage ich. „Doch“, sagt der Mann und schaufelt weiter. „Aus Tierliebe.“
Das Flanieren am Wasser endet schnell
Mein Ansatz, Richtung Oberhagen direkt am Wasser zu laufen, lässt sich nicht durchhalten, das wird mir schnell klar. Immer wieder verbirgt sich die Volme hinter Gebäuden oder einer grünen Wand aus Bäumen und Gestrüpp.
Ein paar Vögel singen vergeblich gegen den Straßenlärm an. Dann der erste Zugang zum Fluss – garniert von einer Sofaleiche, die dort offensichtlich schon länger vor sich hin modert. Räumt so was hier eigentlich niemand weg? Überhaupt der Müll: Die Kollegen in der Redaktion haben mir erzählt, dass der in Hagen ein großes Thema ist. Offensichtlich zu Recht. Tüten, Plastikbecher, Zigarettenschachteln, Bierflaschen, Silberpapier, Dosen, Tempotaschentücher, ein verschmorter Container usw. – jeder denkbare Unrat säumt diesen Fluss im Herzen Hagens. Schade!
Platten am Ufer stehen unter Wasser
Beim fünften Anlauf treffe ich den ersten Menschen, der deutsch spricht. Die Frau, die gerade vom Einkaufen kommt und ihren Namen nicht in der Zeitung lesen möchte, fordert, dass die Stadtverwaltung endlich tätig wird. „Man müsste das alles hier ordentlicher halten, die Pflanzen pflegen, den Müll wegräumen.“ Offenbar hat sie wenig Hoffnung, dass ihr Wunsch in Erfüllung geht. „Wofür zahlen wir eigentlich Steuern?“
Unvermittelt führen Stufen zum Wasser hinab und Felsplatten locken mich ausnahmsweise direkt am Ufer entlang in Richtung der Rathausterrassen. Nur der Müll beweist: Hier muss schon mal jemand vor mir gewesen sein. Ich vermisse eine Machete. Kurz vor der Badstraße stehen die Platten unter Wasser, ich kehre um.
Kein Leben am Wasser
Auf der anderen Flussseite reckt sich ein hölzernes Podest mit Edelstahlgeländer über den Abgrund. Ich erkenne die Absicht: Das schöne „Leben am Fluss“ propagieren ja fast alle Städte. Hier wurde mal etwas Geld dafür ausgegeben. Und doch frage ich mich, ob auf dem Podest tatsächlich jemand ausruht, wenn in Hagen die Sonne scheint?
Unter wirklich prächtigen Laubbäumen neben brüchigem Teer geht’s weiter gen Südost. Plötzlich schäumt die Volme wie ein Gebirgsbach über Felsen hinweg. Und noch immer habe ich kein Café, keine Kneipe, kein Restaurant entdeckt, das seine Gäste mit einem Volme-Blick locken würde – auch kaum einen Platz, der etwas „Aufenthaltsqualität“ verspricht, wie das im Beamtendeutsch heißt.
Hagen nimmt vom zentralen Fluss keine Notiz
In vielen anderen Städten, die ich kenne, strebt das öffentliche Leben zum Wasser. Je näher, desto besser. Dagegen scheint Hagen von seinem zentralsten Fluss kaum Notiz nehmen zu wollen. Woran liegt das? Nur am Geld?
Immerhin: Die Lage des Kinos erinnert mich an Nürnberg. Das Cinecitta, eines der größten Kinozentren Europas, klotzt direkt neben der Pegnitz aus der Erde. Film und Fluss scheinen sich auch in Hagen gesucht zu haben. Aber sonst?
Hinten raus, an den Elbershallen vorbei, wird’s immer dschungeliger. Die wilde Hagener Natur verbirgt auf der gegenüberliegenden Seite so manche Kehrseite von Gebäuden, die man tatsächlich nicht sehen will. Hauptsache grün, würde mein Bekannter, der Landschaftsgärtner, sagen. Kann man so sehen, muss man aber nicht.