Breckerfeld. . „Ich bin dann mal weg“, sagt Redakteur Jens Stubbe. Und testet einen Teilabschnitt des neuen Pilgerwegs durch das Bistum Essen.
Ich bin dann mal weg. Wie sonst soll er beginnen, ein Text über das Pilgern? Ich bin dann mal weg. Wenn auch nur kurz. Aber weg ist eben weg. Also bin ich dann mal (kurz) weg.
Wollte ja meine Ruhe haben an diesem Morgen. Selbstfindung in Wanderschuhen. Aber noch bevor ich mich auf den Weg gemacht habe, hat da diese innere Stimme ihren Weg zu mir selbst gefunden. „Nimm doch den Hund mit“, hat sie sanftmütig gesprochen. „Der macht keinen Stress, wird beim Pilgern nicht stören.“
Der Hund darf mit auf den Pilgerweg
Und der Vierbeiner mit rumänischem Migrationshintergrund hat mit treuem Blick und wedelndem Schwanz die innere Stimme bestärkt. Was soll’s: Lucy quatscht nicht, sie bellt nicht, sie ist so ruhig wie ein völlig erschöpfter Pilger im Angesicht des Grabes des Apostels Jakobus – kann also mitkommen.
Mit vier Pfoten und zwei Füßen auf einen Weg, der — anders als der nahe Jakobsweg – nicht hunderte Jahre alt ist. Er ist neu, ganz neu. So neu, dass die Macher aus dem Bistum Essen mit der Idee, die aus der Diskussion um das Zukunftsbild entstanden ist, noch nicht an die Öffentlichkeit gegangen sind. Aber die magentafarbenen Schilder des Pilgerwegs (fünf Strecken, alle enden am Essener Dom) fallen ins Auge.
Die längste Etappe des Pilgerwegs
Der Dom ist weit. Weil die Etappe von Meinerzhagen bis Essen mit rund 100 Kilometern die längste ist und Breckerfeld so gesehen am Anfang liegt. Also kleine Ziele stecken. Start an der Stadtgrenze, mitten auf der Staumauer der Glör.
Lucy hebt die Nase, schnuppert wie von Sinnen. Ich hebe die Nase, freue mich auf den Duft eines heißen Kaffees. Hatte mir das ausgemalt: Einkehr am Imbiss Haus Glörtal. Aber die Freude weicht schon auf der schmalen Treppe zu kleinen Terrasse, die der Pilgerweg überquert, der Ernüchterung. Donnerstagmorgen – 9 Uhr. Kein Kaffee, kein Brötchen, kein Verkauf.
Pilger Berg- und Talfahrt vor Breckerfeld
Pilgern muss weh tun. An den Füßen, aber an diesem Morgen an den Händen. Die Täler – und davon gibt ein paar – sind wahre Kältelöcher. Eisiger Ostwind. Schwach aber beständig. Ich hauche in die Hände, reibe sie aneinander. Der Schmerz macht sich mit dem Hund und mir auf den Weg. Der Vierbeiner klagt nicht, der Zweibeiner wohl.
Pilgern in der Ebene kann jeder. Es geht bergan, wieder bergab, wieder bergan,... Steige auf einen Hochsitz (ist das erlaubt?). Lasse den Blick schweifen. Halte inne. Pilgern gibt Zeit zum Denken, zum Nachdenken. Über die Dinge, für die sonst kein Raum bleibt. Und so meldet sie sich zum zweiten Mal an diesem Morgen, die Innere Stimme, die sonst so häufig schweigt. Diesmal geht es nicht um den Hund, sondern darum, welche Rolle der Ärger über eine Fünf in einer Mathearbeit und die anschließenden Diskussionen wirklich spielen. War ja selbst nicht die hellste Kerze auf der Mathe-Torte. Konnte schreiben, nicht rechnen. Also Tageszeitung statt Bank.
Spartanische Trinkpause ohne eine Bank
Apropos Bank: Wäre nicht schlecht – so eine kurze Ruhepause. Die Hoffnung auf den Kaffee keimt kurz vor Berghausen wieder auf. Kenne da jemanden, wenn der zufällig draußen ist, ich ihm von meinem Marsch und meinen Sehnsüchten erzähle, könnte doch sein... Der Pilgerweg meint es nicht gut. Er zweigt kurz vor Berghausen rechts ab. Der Hund (völlig entfesselt) ist schon weit vorgerannt. Habe seinen Fressbeutel zu Hause vergessen. Das ist sein ganz persönlicher Rachefeldzug.
Trotzdem Trinkpause – spartanisch. Es gibt klares Wasser. Nur für mich. Und ein selbstgekauftes Croissant, dessen schokofreie Randzonen ich mit Lucy teile. Soll ja nicht leben wie ein Hund, der Hund. Sollte sich tatsächlich auf diesem Pilgerweg auch seine innere Stimme melden – wäre doch blöd, wenn sie vom Knurren seines Magens übertönt würde.
Kreuzung mit dem Jakobsweg
Wer sich an so einem stinknormalen Donnerstagmorgen auf den Weg macht, bleibt einsam. „Die Einladung, sich auf den Weg zu machen“, von der Pfarrer Claus Optenhöfel mir erzählt hat, zieht unter der Woche nur bedingt. „Wir planen Mitte Juni eine kleine Wallfahrt. Wir wollen uns von Schalksmühle und von Breckerfeld aus auf den Weg machen und uns an der Glör in der Mitte treffen.“ Selbst ist Optenhöfel nur einmal zufällig auf den Pilgerweg geraten – bei einem Spaziergang an der Hasper Talsperre. „Wenn ich mal einen Tag frei habe und es das Wetter erlaubt, will ich mich auf den Weg machen.“
Der Blick schweift herüber zum Wengeberg. Hier soll bald das Gipfelkreuz stehen. Ein weithin sichtbares Zeichen, für alle, die sich im Namen des Herrn auf den Weg gemacht haben.
Endstation an der Breckerfelder Jakobus-Kirche
Letzter Berg. Letzte kleine Herausforderung. Die Sonne hat gewonnen. Vorbei am Sportplatz. Gemächliches Tempo. Der Hund zieht. Ich schwitze unter dem kleinen Pilger-Rucksack.
Hinter der katholischen Jakobuskirche kreuzt der andere Pilgerweg. Der, auf dem vor hunderten Jahren die Gläubigen in Richtung Santiago de Compostela unterwegs waren. Spanien ist weit. Essen auch. Brauche heute keinen Dom. Kirche reicht. Kurz rein. Und dann heim – brauche einen Kaffee. Der Hund hechelt. Wir sind dann mal weg...
Experte erklärt Pilgerweg: Fünf Abschnitte bis Essen
Der Pilgerweg durch das Bistum Essen umfasst insgesamt fünf Teilabschnitte. Sie führen von verschiedenen Ausgangspunkten des Bistums hin bis zum Dom in Essen. Der Abschnitt, der Breckerfeld mit dem Dom verbindet, startet am südlichsten Zipfel des Bistums in Meinerzhagen. Mit rund 110 Kilometern ist es die längste Teilstrecke.
Karl-Heinz Leibold ist seit Herbst Projektleiter für den Pilgerweg. Er ist die Strecke komplett gewandert. „Im Rahmen der Debatte um das Zukunftsbild des Bistums, die wir ja in allen Pfarreien geführt haben, ist die Idee aufgekommen, auch etwas zum Thematik des Pilgerns zu machen“, so Leibold, „Pilgern liegt voll im Trend, seit Hape Kerkeling sein Buch ,Ich bin dann mal weg’ über seine Pilgerreise auf dem Jakobsweg veröffentlicht hat.“ So sei schnell die Idee entstanden, einen Sternförmigen Pilgerweg, der auf den Essener Dom zuläuft, auszuweisen. Der Sauerländische Gebirgsverein hat das Bistum dabei unterstützt.
„Wir geben den Menschen aus dem Bistum mit diesem Weg die Möglichkeit, lokal vor Ort zu pilgern“, so Karl-Heinz Leibold. „Man kann quasi vor die Haustüre treten und losgehen. Man kriegt den Kopf frei. Das ist das Geschenk des Pilgerns.“
Er selbst, so sagt Leibold, habe sich täglich rund 20 Kilometer vorgenommen. „An den Abschnitt um Breckerfeld erinnere ich mich noch ziemlich genau“, sagt er, „in der Glör war kein Wasser. Es gab so viele Berge – das hat schon fast alpinen Charakter. Da war ich anschließend richtig platt.“
Wie viele Menschen mittlerweile auf dem Pilgerweg unterwegs waren – dass kann Leibold nicht sagen. „Wir spüren aber, dass die Nachfrage da ist – auch außerhalb des Bistums.“ Dabei ist die Öffentlichkeitsarbeit noch gar nicht richtig angelaufen. Info-Material sei in Arbeit.