Hagen. . Bei der Ökumenischen Pilgerwanderung folgen mehrere Duzend der Muschel zwischen Werl und Breckerfeld. Redakteur Jens Stubbe wagte den Selbstversuch in Hagen.

Auf dem Stein steht das Ziel. Und der Stein ist nur ein paar Meter von der Pforte der Stiftskirche St. Marien in Herdecke, die den Pilgerstrom ausgespuckt hat, aufgestellt. 2667 Kilometer bis Santiago de Compostela. Das ist an einem Tag unmöglich zu schaffen. Dafür Haspe, St. Bonifatius, an einem halben. Ich bin dann mal weg. Und mit mir gleich mehrere Duzend, die sich in fünf Tagen die ökumenische Pilgerwanderung von Werl bis Breckerfeld antun.

Der Weg ist das Ziel

Eigentlich sind weder Santiago de Compostela noch die Hansestadt das Ziel. Der Weg ist das Ziel. Und der führt zunächst über die Herdecker Hauptstraße. Wobei die Frage bleibt, ob ein Pilger wie ein Lemming bei Rot über eine Ampel... Aber der liebe Gott hat an jenem Tag ein waches Auge auf all’ seine treuen Schäflein.

Der Weg, das Ziel, führt weiter: über die Ruhr, den Kaisberg hinauf und wieder hinunter, über den Tücking bis zur großen katholischen Kirche im Hagener Westen. Schnell wird dem Kurzzeitpilger klar: Der Griff zur langen Jeans war falsch. Beim Pilgern darf man auch die weißesten Waden offen zeigen. Und das macht Sinn. Strömender Wander-Schweiß lässt den schweren Stoff an meinen Beinen kleben.

Selbstversuch: Redakteur Jens Stubbe mit Jakobsmuschel.
Selbstversuch: Redakteur Jens Stubbe mit Jakobsmuschel. © WP Michael Kleinrensing

Pilgern tut weh. Nicht am Auge wegen der Waden. Pilgern tut nach vier Tagen weh. Bei einigen richtig. Die Pilger haben Hüfte, Knie, Rücken und vor allem Blasen an den Füßen. „Schon seit dem ersten Tag“, sagt Valentina Martens. „Aber Pilgern ist ein Erlebnis. Unheimlich bereichernd.“

Dafür sorgen auch Hanna Flemming, Florian Bock und Michael Thieme. Sie sind so etwas wie die helfenden Engel für die Maladen. Sie pilgern ebenfalls – und zwar in einem beigen Malteserbus. Sie kleben Pflaster, sie wickeln Verbände, sie transportieren Gepäck, und sie nehmen diejenigen auf, die bei Dauerhitze während der letzten Tage an die Grenzen ihrer körperlichen Belastbarkeit gelangt sind.

Pilger-Schweiß

Pilger schwitzen. Besonders am Rücken, wo die sieben bis acht Kilo schweren Rucksäcke sich an die Körper pressen. Meiner wiegt höchsten drei Pfund. Ein paar Schnitten, zwei Flaschen Flüssiges, ein Apfel und eine Regenjacke, die ich nicht brauchen werde. Aber das Polo-Shirt ist trotzdem nass.

Pilger aber klagen nicht. Höchstens wenn man sie danach fragt. Die Kilometer zwischen Werl und Herdecke waren kein Zuckerschlecken. Temperaturen bis 34 Grad, wenig Wald, kaum Schatten und mal ein Schauer von oben. „Manchmal fragt man sich morgens schon, warum man sich das antut“, sagt Angelika Stehr aus Werl. Um direkt im Anschluss reichlich Antworten zu liefern. Die entscheidende lautet: „Ich habe beim Pilgern meinen Partner kennengelernt.“ Der marschiert mit und trägt den Rucksack mit der Trinkblase.

Mit echtem König unterwegs

„Licht“ und „König“ sind die Worte, die auf Etappe vier im Mittelpunkt stehen. „Ich bin das Licht der Welt“, sagte Jesus einst, „wer mir nachfolgt, wird nicht in der Finsternis untergehen, sondern wird das Licht des Lebens haben.“ Einen König haben wir auch, einen Schützenkönig. Und sogar seine Königin.

„Radfahrer von hinten.“ Ein lauter Ruf treibt die Herde auseinander. Das funktioniert. Was dem Mann im bunten Trikot auf seiner weißen Rennmaschine ein mildes Lächeln entlockt. „Gestern war das anders“, sagt Karl-Heinz Besler, Mitglied der Jakobus-Freunde Breckerfeld, „da haben wir einen Schweigegang im Wald eingelegt.“

Der Weg ist auch das Ziel wegen der Begegnungen. Pilger schweigen manchmal, aber sie plaudern gern: „Es ist spannend, aus dem Alltag abzutauchen“, sagt Andreas Pradel, „man sieht die Welt anders.“

Pilger begegnen täglich einander. Aber auch täglich anderen Gastgebern: „Wie offen wir als Fremde aufgenommen werden – das ist toll“, sagt Gertraud Kallerhoff, die ihre Freundin Renate Otto in einem Spanisch-Kurus kennengelernt hat. „In zwei Jahren wollen wir auf dem Jakobsweg nach Santiago de Compostela.“ Neben diesem Weg gibt es noch andere Ziele.

2667 Kilometer sind mir zu weit. Auch, wenn man mehr als die Hälfte per Flug oder Zug zurücklegen kann. Ich habe Fuß, Rücken und Hüfte. Mein nächstes Ziel ist auch ein Weg: Der führt von der Dusche vorbei am Kühlschrank direkt aufs Sofa.