Hagen. . Interner Bericht der Arbeitsagentur sagt: Organisierte Banden locken EU-Zuwanderer mit falschen Versprechungen nach Hagen und nutzen sie aus.

Hagen soll deutschlandweit eine von sieben Hochburgen des organisierten Leistungsmissbrauchs im Hartz-IV-System bei der Zuwanderung aus Südosteuropa sein. So steht es jedenfalls in einem internen Bericht der Bundesagentur für Arbeit in Nürnberg, der der WESTFALENPOST vorliegt. Neben Berlin, Dortmund, Gelsenkirchen, Duisburg, Bremerhaven sowie den Kreisen Pinneberg und Neumünster steht demnach die Volmestadt im Fokus „gut organisierter Banden“. Mit harten Zahlen kann die Behörde dies aber öffentlich noch nicht hinterlegen.

Banden bereichern sich auf drei Arten

In dem Bericht heißt es, dass von den Banden Menschen aus Rumänien und Bulgarien gezielt mit falschen Versprechungen nach Deutschland gelockt würden. Auf drei Arten würden sich die Akteure dann bereichern:

  • Zum einen würden sie als Arbeitgeber auftreten, die den Zuwanderern Scheinbeschäftigungen bestätigten, die erst die Eintrittskarte sind, um Sozialleistungen zu beziehen: Da der angebliche Lohn gering ist, besteht Anspruch auf Hartz IV. Ein Teil der Gelder würde von den Banden dann einkassiert.
  • Zum anderen seien eingereiste Südosteuropäer als Selbstständige tätig – allerdings nur zum Schein, fingierte Rechnungen der Banden sollen das bescheinigen. Auch das öffnet bei angeblichem Miniverdienst die Tür zum Sozialsystem.
  • Zudem würden Schrottimmobilien zu überhöhten Preisen an die Zuwanderer vermietet. Oder aber die Zuwanderer würden wieder nach Rumänien gebracht. Bei Terminen im Jobcenter würden sie aber „mit Hilfe einer ausgeklügelten Logistik“ rechtzeitig wieder nach Deutschland gebracht.

Hartz-IV: Zuwanderer-Anstieg höher als im NRW-Schnitt

Wie die Grafik zeigt, ist die Zahl der Hartz-IV-Bedarfsgemeinschaften mit rumänischen und bulgarischen Staatsangehörigen (das können Familien mit Kindern, aber auch Paare sein) weiter gestiegen – und zwar stärker als im NRW-Schnitt: Landesweit waren es 11 Prozent bei Bulgaren (Hagen: 16 Prozent) und 8,1 Prozent bei Rumänen (Hagen 17 Prozent).

Insgesamt gibt es in Hagen rund 28 000 Hartz-IV-Bedarfsgemeinschaften. 2572 davon bestehen aus rumänischen und bulgarischen Bürgern. Nur acht Prozent der Mitglieder daraus seien erwerbsfähig, so Arbeitsagentur-Chef Weichert. Vor allem, weil viele Familien sehr kinderreich seien.

Wieviele solcher Fälle konkret in Hagen bekannt sind, konnte Christoph Löhr, Sprecher der NRW-Arbeitsagentur, nicht sagen. Auch die Stadt Hagen, die die Schwerpunktkontrollen in Zuwandererhäusern koordiniert, hat eine WP-Anfrage noch nicht beantwortet.

Behördenabgleich

Gleichwohl, so Löhr, seien die Strukturen durch intensivere Zusammenarbeit der Behörden klarer geworden: „Wenn wir in unseren Computersystemen feststellen, dass viele Leistungsbezieher an der gleichen Wohnadresse gemeldet sind, dann gleichen wir das mit Erkenntnissen anderer Behörden ab.“

Nach den regelmäßigen Wohnungskontrollen wird bei vielen Zuwanderern der Hartz-IV-Bezug überprüft. Für Hagen hat Löhr zwar keine konkreten Zahlen: „Die generellen Erfahrungen sagen aber , dass sich etwa ein Drittel der Verdachtsfälle tatsächlich bestätigt.“

Der Zuzug in die Sozialsysteme ist in Hagen weiter groß.
Der Zuzug in die Sozialsysteme ist in Hagen weiter groß. © Manuela Nossutta

Man dürfe auch nicht von großen organisierten Strukturen ausgehen, sondern müsse von vielen kleineren Netzwerken ausgehen, die den Sozialbetrug organisierten. Diese zu identifizieren und zu zerschlagen, sei schwierig.

Polizei: Bislang keine Häufung

Es gelingt aber. So hat die Hagener Polizei nach einem Hinweis aus dem Jobcenter einen größeren Fall aufklären können. „Hier hatte eine Firma einer Vielzahl von Zuwanderern Stundenzettel für angeblich geleistete Arbeit ausgestellt“, so Polizeisprecher Ralf Bode. Diese, so ergaben die Ermittlungen, hat es nie gegeben. Eine größere Zahl solcher Verfahren gebe es aber nicht, so Bode: „Die Spezialisten bei uns im Haus haben bislang noch keine Häufung feststellen können.“

Arbeitsagenturchef fordert härtere Maßnahmen

Auch Hagens Arbeitsagenturchef Marcus Weichert ist um ein differenziertes Bild bemüht: „Ganz viele Rumänen und Bulgaren arbeiten hier ganz normal und halten sich an die Regeln.“ Umso mehr müsse man eine harte Linie zu den Betrügern ziehen und auch härtere Sanktionsmöglichkeiten schaffen: „Bei bandenmäßigem Betrug muss auch eine lebenslange Leistungssperre möglich sein.“

„Und Lohnzahlungen von Leistungsempfängern sollten nur noch per Überweisung und nicht mehr bar erfolgen dürfen“, so Weichert. So werde es jetzt schließlich auch schon bei Handwerkerrechnungen praktiziert, wenn man diese von der Steuer absetzen wolle.