Hagen. . Wegen versuchten Totschlags muss einer der Schläger vom Fritz-Kahl-Turnier 2016 sich vor Gericht verantworten. Seine Mittäter blieben unerkannt.

  • Die brutale Prügelattacke beim Fritz-Kahl-Turnier 2016 endet vor Gericht
  • Einer der Schläger muss sich wegen versuchten Totschlags verantworten
  • Seine fünf Komplizen konnten nicht eindeutig identifiziert werden

Nach der äußerst brutalen Schlägerattacke vor einem Jahr am Rande des vom TSV Fichte Hagen organisierten Fritz-Kahl-Fußballturniers in Eilpe hat die Hagener Staatsanwaltschaft jetzt gegen den Haupttäter Anklage wegen versuchten Totschlags erhoben. In den Augen der Ermittler ist es erwiesen, dass der 26-Jährige eines der Opfer unter anderem mit dem Fuß mehrfach ins Gesicht getreten hat: „Daraus leitet sich der Tötungsvorsatz her“, erläutert Oberstaatsanwalt Dr. Gerhard Pauli.

Keine sichere Identifizierung

Wer die übrigen Täter an diesem denkwürdigen Sommerabend in Eilpe waren, bleibt derweil ein Rätsel. „Eine sichere Identifizierung der übrigen Beteiligten ist nicht gelungen“, räumt Pauli ein. Zwar habe es im Rahmen der umfangreichen Ermittlungen und Befragungen viele Vermutungen zur Identität der Mitbeteiligten gegeben. Doch am Ende sei die Kripo auf eine Mauer des Schweigens gestoßen.

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Auch die Festnahme des vermeintlichen Haupttäters im Januar dieses Jahres erbrachte mit Blick auf dessen Komplizen keinerlei Erkenntnisgewinn. Nach gut sechs Wochen in U-Haft wurde der Angeklagte damals wieder auf freien Fuß gesetzt, bis er sich jetzt vor Gericht verantworten muss.

Bodybuilder-Truppe zahlt Eintritt

Es geschah in der Halbzeitpause der Partie von Cemspor Hagen gegen ETuS Schwerte: Während der ersten Hälfte fuhren zwei Pkw am Sportareal an der Wörthstraße vor, aus denen sechs muskelbepackte Bodybuilder-Typen ausstiegen. Das Sextett bezahlte an der Kasse noch artig seine 20 Euro Eintritt und mischte sich zunächst unter die übrigen knapp 300 Zuschauer – darunter etwa 40 Kinder.

Mit dem Halbzeitpfiff wurde das Publikum dann Zeuge eine unfassbar brutalen Prügelattacke, die sich zunächst gegen den Cemspor-Coach richtete. Der Trainer hatte sich mit seinem Team gerade in eine Ecke des Platzes zur Halbzeitansprache zurückgezogen, als die sechs Gestalten über den Übungsleiter herfielen.

Als der Geschäftsführer des Vereins versuchte, sich den Angreifern entgegenzustellen, wurde auch dieser zusammengeschlagen und -getreten. Sein Tag endete mit schweren Kopfverletzungen im Krankenhaus, wo auch der Trainer angesichts seiner Verletzungen versorgt werden musste.

Ordner wagten nicht einzuschreiten

Angesichts dieses massiven Gewaltexzesses traute sich niemand, sich dem Schlägertrupp bei seinem Rückzug in den Weg zu stellen. An den geschockten Zuschauern vorbei schritten die breitschultrigen Angreifer gemessenen Schrittes in Richtung Ausgang und fuhren unbehelligt mit ihren Autos davon. „Da hätten auch ein paar Ordner mit Armbinden nicht geholfen“, meinte am Morgen danach ein ebenfalls erschütterter Rupert Freytag, Fußball-Abteilungsleiter bei TSV Fichte Hagen. „Das waren ausgebildete Schlägertypen.“

Trotz umfangreicher Ermittlungen erhielt die Kripo in den Wochen danach nur äußerst dürre Hinweise zur möglichen Identität der etwa 20 bis 30 Jahre alten Männer und zu deren jeweiliger Tatbeteiligung. „Eine Anklage wegen gemeinschaftlicher Körperverletzung wäre allemal möglich“, ordnet Oberstaatsanwalt Pauli den Hergang ein, dazu bedürfe es jedoch der eindeutigen Identifizierung der Männer. Doch die Zeugen hatte schlichtweg Angst, die Namen der Schläger zu benennen.

Kürzerer Draht zur Polizei

Mit Blick auf das 39. Fritz-Kahl-Turnier, das am 18. Juli startet, gibt sich TSV-Fichte-Abteilungsleiter Freytag derweil zuversichtlich, dass die Ereignisse des Vorjahres nicht mehr nachwirken: „Wir kennen die Teams, das sind alles liebe, nette Leute“, will der 71-Jährige dennoch versuchen, so viele Ordner wie möglich aufzutreiben.

Amateurfußball-Tumulte in Westfalen und im Ruhrgebiet

Veltins-Hallenmasters Meschede

Nach insgesamt 19 Auflagen war im Januar 2015 Schluss für das beliebte Hallenturnier. In zwei aufeinanderfolgenden Jahren hatten zunächst Ultras des FC Schalke 04, die ihre U23 zum Turnier begleiteten, sowie ein Jahr später Ultras vom Regionalliga-Aufsteiger KFC Uerdingen, Hessen Kassel und Fortuna Düsseldorf (ebenfalls mit der U 23 vertreten) für Ausschreitungen gesorgt.

Tür-Dilemma in der Halle Dortmund

Im Nachhinein eher belustigend: Bei den Dortmunder Stadtmeisterschaften 2016 wollte ein Zuschauer Marcel Großkreutz, Cousin von Ex-BVB-Star Kevin, an die Wäsche. Dieser knallte nach einem Zweikampf versehentlich gegen eine Tür am Spielfeldrand - hinter dieser stand jedoch direkt ein aufgebrachter Fan, der den Platz stürmte und daraufhin Großkreutz mit erhobener Faust angriff. Den versuchten Schlag konnte der Kicker des VfL Kemminghausen allerdings abwehren. (Video: https://www.youtube.com/watch?v=FQV8U0Nh2VY )

Gesichtstritt in Unna

Im September 2015 wurde die Partie zwischen dem Königsborner SV und dem SuS Lünern in der 85. Minute aufgrund einer Schlägerei abgebrochen. "Höhepunkt" der Schlägerei war der gewaltsame Tritt eines Spielers gegen einen am Boden liegenden Gegner. "Mehrere Zuschauer vom KSV sind auf den Platz gelaufen und auf mehrere Spieler von uns los. Wir haben uns zur Wehr gesetzt, wie das halt normal ist. Dann ist die Situation gekommen, dass ein Spieler vom Königsborner SV mit Anlauf einem am Boden liegenden Spieler ins Gesicht getreten hat", erinnert sich Ingo Tiede, Trainer des SuS.

Schlagstöcke in Duisburg

Im Oktober 2015 konnte eine Schlägerei bei einem Kreisliga-Spiel zwischen der zweiten Mannschaft des TS Rahm 06 und dem VfL Wedau nur durch einen Polizeieinsatz mit Schlagstöcken beendet werden. Drei Spieler des TS Rahm 06 II sind bei der Schlägerei so stark verletzt worden, dass sie vorübergehend arbeitsunfähig wurden.

"Menschenjagd" in Lohberg

Das Kreisliga A-Platzderby in Dinslaken-Lohberg zwischen RWS und dem VfB im April 2015 wird den Beteiligten noch länger unschön in Erinnerung bleiben. RWS-Torschütze Hakan Tütüncü soll VfB-Trainer Thomas Grefen mit einem Faustschlag niedergestreckt haben, der zuvor die Spieler von RWS beleidigt haben soll. Der Auslöser für eine deftige Massenschlägerei mit Spielern und Anhängern beider Klubs, die sich sogar quer über die Straße, welche beide Platzanlagen der Klubs verbindet, hinzog.

Messer-Attacke in Ahlen

Im Juni 2014 wurden zwei Anhänger des Westfalen-Oberligisten SC Zweckel beim Auswärtsspiel bei Rot Weiss Ahlen verletzt. Nach dem Abpfiff der Partie, die der SV Zweckel mit 4:2 gewann, stürmten mehr als 100 Ahlener Chaoten den Gästeblock und attackierten die Zweckeler Anhänger, zwei von ihnen erlitten Messerstiche.

Schiri-Würger in Gelsenkirchen

In der Kreisliga C-Partie Wacker Gladbeck III gegen SV Hansa Scholven II (Dezember 2013) kam es Mitte der zweiten Halbzeit zu einem Spielabbruch. Ein Spieler von Hansa Scholven rastete nach einem nicht zugesprochenen Freistoß aus und bedrohte den Schiedsrichter. Zudem würgte der Spieler den Unparteiischen. Die Folge: Hansa Scholven meldete seine zweite Mannschaft nach dem Spiel mit sofortiger Wirkung vom Spielbetrieb ab.

Altenessener Kopftreter

Der wohl schockierendste Gewaltexzess der letzten Jahre ereignete sich im September 2014 beim Kreisliga C-Spiel DJK Altenessen gegen Sportfreunde Altenessen. Ein Angreifer von Juspo Altenessen II, der seinen Gegenspieler zunächst mit einem Kopfstoß niederstreckte und dem am Boden liegenden Opfer anschließend mehrfach vor den Kopf trat, wurde von der Kreisspruchkammer des Essener Nord-West-Kreises lebenslang aus dem Verkehr gezogen.

1/8

Außerdem wird der Draht zur Polizei, die bei ihren Streifenfahrten regelmäßiger in Eilpe vorbeischaut, noch kürzer sein. „Ich lasse mir von solchen Leuten, die nur auf Provokation aus sind, diese Veranstaltung nicht kaputt machen“, setzt Freitag auf ein ruhiges und friedliches Fritz-Kahl-Turnier 2017.

Nebulös bleiben weiterhin die Hintergründe und Motive der Schläger-Attacke. Spekulationen, dass es sich um einen initiierten Racheakt eines verschmähten Mitspielers gehandelt habe, der über seine Nichtberücksichtigung im Kader unzufrieden war, lassen sich bis heute ebenfalls nicht belegen. Hier bleibt abzuwarten, ob vielleicht vor Gericht noch weitere Details ans Licht kommen. Die Hauptverhandlung vor dem Hagener Schwurgericht beginnt voraussichtlich im Herbst.

>>> Hintergrund: Mauer des Schweigens

Die Ermittler der Polizei gehen eigentlich davon aus, dass die Schlägertruppe vom Fritz-Kahl-Turnier 2016 aus vorangegangenen Gewaltdelikten bereits aktenkundig ist.

Allerdings scheint die Angst bei den potenziellen Zeugen vor dem gewaltbereiten Sextett so groß zu sein, dass sich kaum ein Beobachter zur konkreten Tatbeteiligung der Verdächtigen äußern möchte.

Auch die Spieler der damaligen Cemspor-Mannschaft, die allesamt mit ansehen mussten, wie ihr Trainer und Geschäftsführer krankenhausreif geprügelt wurden, waren nach dem Vorfall so eingeschüchtert, dass sie auf konkrete Aussagen bei der Polizei verzichteten.