Hagen. . Ex-Hochschullehrer Dr. Lothar Bertels empfiehlt, die Ergebnisse der Wohnungsmarktstudie zu nutzen, um Fehler der Vergangenheit zu korrigieren.

  • Die jüngste Wohnungsmarktstudie hat gezeigt, dass Hagen dringend neue Qualitätsimpulse braucht
  • Der ehemalige Hochschullehrer Dr. Lothar Bertels empfiehlt, die Fernuni als Magneten zu nutzen
  • Mit einem Ausbau des Präsenz-Anteils ließen sich kreative Köpfe für die Stadtentwicklung anlocken

Mit aufrüttelnden Resultaten und klaren Handlungsempfehlungen hat die im Dezember vorgelegte Wohnungsmarktstudie die Hagener Politik aufhorchen lassen. Unmissverständlich hatte der Wuppertaler Hochschullehrer Prof. Dr. Guido Spars in seiner Studie herausgearbeitet, dass in Hagen systematisch Wohnraum abgerissen, aber auch hochwertigere Immobilien neu entstehen müssten. Das diene angesichts einer Leerstandsquote von mehr als sieben Prozent zum einen der dringend erforderlichen Stabilisierung des Mietpreisniveaus.

Zum anderen sei dieser Stadtumbau erforderlich, um die kreative Oberschicht in der Stadt zu halten. „Im Grunde hat er mit diesen Thesen Recht“, unterstreicht der Raumplaner sowie Stadt- und Regionalsoziologe Dr. Lothar Bertels, inzwischen im Ruhestand befindlicher Professor der Hagener Fernuniversität.

Allerdings fordert der Wissenschaftler, der während der Ägide der beiden Oberbürgermeister Rudolf Loskand und Dietmar Thieser für die Grünen im Hagener Rat agierte, aus dem alarmierenden Ergebnissen der Studie städteplanerische Konsequenzen abzuleiten und neue Urbanität zu schaffen. Er regt an, das Potenzial der Fernuniversität zielgerichtet zu nutzen und sich dafür stark zu machen, an die größte Hochschule der Republik eine Präsenzuni-Segment anzugliedern: „Wir brauchen das Know-how dieses schlafenden Riesen, um Hagen wieder eine Perspektive zu geben.“

SINUS-Milieustudie

Grundsätzlich empfiehlt der ehemalige Fernuni-Professor, die eher holzschnittartige SINUS-Milieustudie des Wuppertaler Raumforschungsinstituts, die sich bei ihrer Ist-Zustandsbeschreibung am groben Quartiersraster der Kommune orientiert, durch präzisere Daten zu engmaschigeren Raummilieus und Siedlungsstrukturen mit präzisen Fakten zu kulturellen Entwicklungen, Sozialraumanalysen sowie Wirtschafts- und Lebenslagen zu unterfüttern: „Nur ein Mosaik aus kleinen Welten beschreibt jene Vielfalt, aus der sich zielführende Maßnahmen ableiten lassen. Diese Exaktheit braucht man, um eine parzellenscharfe Strategie zu definieren“, fordert der Hagener Wissenschaftler die Spars-Ergebnisse durch feinkörnigere Betrachtungsinstrumentarien zu ergänzen.

Intelligentes Schrumpfen

Ähnliche Entwicklungen hat Bertels nach der Wende auch schon beispielhaft im ostdeutschen Gotha als Stadtforscher begleitet, wo der Prozess des demografischen Schrumpfens genutzt wurde, um die städtebaulichen Fehlentwicklungen der Vergangenheit zu korrigieren. „Dort wurden unattraktive Wohnbereiche durch baulich-räumliche Eingriffe und Gebäudesanierungen aufgewertet.“ Oberstes Ziel sei es immer gewesen, die (Infra)-Strukturen von den Rändern zu den Siedlungskernen hin zu konzentrieren.

Nach den Vorstellungen von Dr. Lothar Bertels könnten sich auf dem Campus der Fernuniversität künftig mehr Präsenzstudenten bewegen.
Nach den Vorstellungen von Dr. Lothar Bertels könnten sich auf dem Campus der Fernuniversität künftig mehr Präsenzstudenten bewegen. © Hans Blossey

Dazu gehöre auch, innenstadtnahe Randbereiche sowie die eigentliche City zu attraktivieren und zu entdichten (energetische Sanierung, Durchgrünung und einladende Platzgestaltung), um die Lebensqualität zu erhöhen. Konkret auf Hagen bezogen mahnt Bertels an, endlich die vier Flüsse an die Wohnlagen näher heranzurücken. „Ein Stadtfluss wie die Volme oder auch der Zusammenfluss mit der Ennepe direkt hinter dem Hauptbahnhof eröffnen Chancen, die ergriffen werden müssen“, plädiert der Stadtsoziologe dafür, Stärken zu aktivieren: „Eine Stadt muss aus sich heraus glänzen“, könnte selbst der Bahnhofsvorplatz zum Juwel werden, wenn man ihn nicht ausschließlich funktional betrachten würde.

Sozialer Wohnungsbau

Parallel plädiert Bertels dafür, den sozialen Wohnungsbau als Steuerungsinstrument der Stadtentwicklung wiederzuentdecken: „Im Vorfeld erkennbar werdende Armutsviertel können so weitgehend vermieden werden. Eine Stadt muss sich auch verantwortlich fühlen für die Lebensbedingungen der ärmeren Bevölkerung. Innerstädtische Quartiere dürfen nicht dem marktkonformen Verfall oder einer marktwirtschaftlich gesteuerten Restrukturierung überlassen werden. Hagen sollte die Chance nutzen, preisgünstigen Wohnungsbestand zu erwerben oder sich zumindest Belegungsrechte dafür zu sichern.“

Willkommensangebote

Ausdrücklich plädiert der ehemalige Fernuni-Professor dafür, in Hagen ein Willkommensangebot zu etablieren, das es Führungskräften, die das Leitmilieu der Oberschicht prägen, attraktiv erscheinen lässt, sich nicht bloß in der Stadt niederzulassen, sondern auch das lokale urbane Leben mitzuprägen. Bertels verweist an dieser Stelle auf die Forschungen des US-Ökonomen Richard Florida, der nachgewiesen hat, dass es einen direkten Zusammenhang zwischen einer starken kreativen Klasse (Ingenieure, Wissenschaftler, Mediziner, Anwälte, Manager, Künstler etc.) und einem innovativen, toleranten und weltoffenen Stadtklima gibt.

„Die auch von Prof. Spars als maßgeblicher Impulsgeber charakterisierte kreative Klasse will im Wohnort eine eigene Identität entwickeln können. Dazu zählen ein pulsierendes Umfeld mit Straßenleben, Kunst und Konsum, Authentizität und eine Einzigartigkeit, die sich aus der Vielfalt und dem Lebensstil des Wohnortes ableitet“, skizziert Bertels diese Ansprüche. Allzu häufig würden örtliche Führungspersönlichkeiten wie Richter, Polizeipräsidenten, Professoren, Dezernenten, Geschäftsführer von Wohnungsgesellschaften und zuletzt sogar Oberbürgermeister ein rein berufsbedingtes, funktionales Verhältnis zu Hagen pflegen.

„Man kann sich eine kulturelle Oberschicht nicht ,backen’, sondern muss die Rahmenbedingungen zielorientiert bereitstellen und ein offenes, tolerantes Klima unterstützen.“

Fernuni-Potenzial nutzen

Der ehemalige Hochschullehrer empfiehlt ausdrücklich, die kreative Gemeinschaft der Fernuniversität für Hagen zu entdecken. „Universitäten sind ein zentraler Faktor für die kreative Wirtschaft, für die Niederlassung von zukunftsorientierten Branchen und geben neue Impulse für ökonomisches Wachstum, den hochwertigen Wohnungsbau und die kulturelle Entwicklung der Stadt.“ Er rät zu einer externen Machbarkeitsstudie mit dem Ziel, in Hagen einen höheren Präsenzanteil der Studenten zu etablieren.

„Es geht mir darum, einen Teil des Fernuni-Angebotes in Präsenzform anzubieten und als Präsenzuni zu etablieren und anzugliedern.“ Bertels denkt dabei vorzugsweise an die für die Region relevanten Fächer wie Volks- und Betriebswirtschaft, Informatik, Maschinenbau und Rechtswissenschaft. „Wir brauchen dieses ,Human capital’, um Kreativität an den Standort zu binden und können so einen Entwicklungsschub auf die vorhandenen Strukturen aufsatteln“, wirbt Bertels für einen Schulterschluss zwischen Politik, Hochschule und Land, um eine entsprechende Fördermittel-Kulisse zu aktivieren. Hagen müsse endlich lernen, vom akademischen Leben sowie den sozialen Chancen der größten Hochschule Deutschlands zu profitieren.

>> HINTERGRUND: ABRISS UND NEUAUFBAU

Im Auftrag der Stadt sowie der städtischen Wohnungsgesellschaft HGW hat das Institut für Raumforschung und Immobilienwirtschaft an der Bergischen Universität Wuppertal unter der Regie von Prof. Dr. Guido Spars eine Wohnungsmarktstudie für Hagen erarbeitet.

Dabei wurde offenkundig, dass in Hagen sieben Prozent der Mietwohnungen leer stehen und somit ein massiver Preisverfall voranschreitet. Der Experte hält eine Leerstandsquote von drei Prozent für tolerabel.

Prof. Spars regt daher einen intelligenten Stadtumbau an: Über zehn Jahre hinweg sollten 350 unzeitgemäße Wohneinheiten pro Jahr vom Markt verschwinden, aber parallel auch 150 neue Objekte nach modernem Standard entstehen.