Hagen. Der sechsjährige Konstantinos Tsoraklidis hat Diabetes und muss regelmäßig seinen Blutzuckerspiegel messen. Bei der Auswertung der Daten braucht er Hilfe. Doch seine Klassenlehrerin scheut die Verantwortung: Sie hat Angst vor rechtlichen Folgen.
Der sechsjährige Konstantinos hat eine rote und eine gelbe Butterbrotdose im Ranzen stecken. Und dazu einige Tüten Gummibärchen. Wenn sein Blutzuckerspiegel zur großen Pause in Ordnung ist, nimmt er sein Frühstück aus der gelben Dose: ein belegtes Brot, das ihm seine Mutter geschmiert hat. Liegt der Zuckerwert jedoch über 200 Milligramm pro Deziliter Blut, greift er zur roten Dose mit einem Stück Wurst, mit Gurken und Tomaten. Denn dann darf er keine Kohlenhydrate essen.
Konstantinos ist zuckerkrank, Typ Diabetes mellitus I, seine Krankheit ist angeboren. Die Zellen, die bei gesunden Menschen Insulin produzieren, sind bei ihm zerstört. Er geht offen mit seiner Krankheit um, er sagt: „Manchmal wird mir komisch. Mein Körper wird schwach, ich kriege Heißhunger.” Er hat gelernt, mit dem Blutzuckermessgerät umzugehen. Ein Pieks in den Finger, etwas Blut auf den Teststreifen, und nach wenigen Sekunden zeigt das Gerät den Blutzuckerwert an. Liegt dieser exorbitant hoch, kann Konstantinos sich sogar selbst Insulin injizieren.
Lehrerin sollte an Termine erinnern und Messwerte vorlesen
Am Dienstag jedoch, nach dem ersten Schultag, habe sich Konstantinos zum ersten Mal für seine Krankheit geschämt, berichtet sein Vater Ioannis Tsoraklidis. Was war geschehen? Ioannis Tsoraklidis und seine Frau Tina hatten die Klassenlehrerin an der Freien Evangelischen Schule in Haspe gebeten, ihren Sohn an die Messtermine zu erinnern und ihm das Messergebnis zu nennen. Denn der Sechsjährige kann noch nicht lesen.
„Wir haben der Lehrerin gesagt, bei welchen Werten Konstantinos aus der roten und wann er aus der linken Dose frühstücken soll.” Und wann er, wenn der Blutzuckerspiegel einmal extrem niedrig ausfallen sollte, mit einer Tüte Gummibärchen Abhilfe schaffen kann. Aber die Lehrerin weigerte sich. Sie möchte die Verantwortung nicht übernehmen. Denn würde sie nicht zur Rechenschaft gezogen, falls Konstantinos etwas passieren sollte? Falls er einen Zuckerschock erlitte, ins Koma fiele oder sterben würde?
Kindergartenmitarbeiter hatten geholfen
Zum ersten Mal in seinem Leben erlebte der Junge seine Krankheit als Makel. Im Kindergarten an der Waldecker Straße war das anders gewesen. Alle Erzieherinnen hätten sich liebevoll um Konstantinos gekümmert, berichten die Eltern, täglich seinen Zuckerwert gemessen und ihm Insulin injiziert. Schließlich seien sogar zwei Diabetologen aus dem Allgemeinen Krankenhaus gekommen, um das Personal zu schulen.
Die Situation an der Schule erscheine ihm jedoch riskant, so der Vater. Konstantinos kennt zwar ein paar Zahlen, aber was ist, wenn er sie verwechselt? Wenn er aus der gelben Dose frühstückt statt aus der roten? „Ich kann ihn nicht von der Schule nehmen, es besteht ja Schulpflicht”, so Ioannis Tsoraklidis. „Aber ich will ihn auch nicht zum Sterben auf die Schule schicken.”
Keine rechtliche Handhabe
Er könne die Eltern verstehen, so Schulleiter Arnfried Szymanski: „Die Geschichte tut mir im Herzen leid.” Er sei bemüht, Konstantinos zu helfen und denke darüber nach, ihn in die Parallelklasse zu versetzen. Tatsächlich gibt es keine rechtliche Handhabe für derartige Fälle. Man könne die Lehrerin nicht dazu verpflichten, quasi-medizinische Aufgaben zu übernehmen, so Jörg Harm vom Landesschulministerium in Düsseldorf.
Am einfachsten sei es, einen Lehrer zu finden, der weniger Probleme mit dieser Thematik habe: „Die Schule muss über Gespräche eine Lösung finden.” Am Einschulungstag habe Konstantinos geweint, berichtet der Vater. Vom Hickhack um seine Person habe er nur verstanden, dass er nicht wie die anderen Kinder zur Schule gehen dürfe.