Hagen. . Täglich verkauft sie ihren Körper an Hagener Freier. Die bulgarische Prostituierte „Claudia“ versorgt mit dem Hurenlohn ihre Familie. Uns hat sie ihre Geschichte erzählt.
Paris steht in goldenen Lettern auf ihrem schwarzen Kleid. Dazu das große „P“, das sich über ihren Brüsten spannt. Dieses Paris, es ist die Stadt der Liebe.
Rehbraune Augen und schwarze Haare
Dieses Paris aber ist so weit entfernt von jenem Ort, an dem Claudia (35) arbeitet, wie für die Frau mit den rehbraunen Augen und den schwarzen Haaren die große Liebe selbst. Düppenbecker Straße. Hagen.
Die Bässe dröhnen aus einem überdimensionalen Rekorder, der hinter einem der geöffneten Fenster steht. Die ersten Männer tingeln zwischen den Fenstern von einer Straßenseite auf die andere. Hier geht es ums Geld, hier geht es ums Geschäft. Um eines der ältesten in der Geschichte der Menschheit.
SommerserieParis steht auf einem schwarzen Kleid, das unter der Gürtellinie endet, das Nötigste bedeckt und dann den begierigen Blick freigibt auf zwei lange Beine. Claudia, die Prostituierte, die Frau, die für Geld mit Männern ins Bett steigt, versteht es, Reize zu setzen.
Wie sie ihren Job empfindet? „Manchmal so, manchmal so“, sagt sie und lächelt. „Wenn genug Geld rein kommt, ist das okay.“
Nur die wichtigsten Vokabeln
Geld, das Kunden zahlen, die schon am späten Nachmittag auf und ab schleichen. Sie nähern sich den Fenstern, klopfen an und verhandeln mit Frauen, die ihre Körper präsentieren und kaum mehr als ein paar Brocken deutsch verstehen. Darunter die entscheidenden Vokabeln, die man eben so benötigt, um eine (Liebes-)Dienstleistung und den dazugehörigen Preis zu vereinbaren. Gezahlt wird ausschließlich per Vorkasse.
Manche der Männer, die zu Claudia kommen, viele davon Stammkunden, suchen die schnelle Befriedigung, einige vielleicht auch so etwas wie Liebe oder einen Ersatz dafür. Claudia, die hier in einem Haus an der Düppenbecker Straße ein Zimmer gemietet hat und auf eigene Rechnung anschafft, hat andere Träume.
Sechs Fragen zum Rotlicht-Milieu in Hagen
1. Wie viele Betriebe im Rotlichtmilieu gibt es eigentlich in Hagen? Und wie viele Prostituierte arbeiten dort?
In der Hagener Innenstadt existiert ein Bordell in der Düppenbecker Straße, in dem in zehn Häusern der Prostitution nachgegangen wird. Darüber hinaus prostituieren sich Frauen überwiegend in so genannten Terminwohnungen. Diese Wohnungen befinden sich in gewöhnlichen Mehrfamilienhäusern, die im gesamten Stadtgebiet verteilt sind. Die Anzahl dieser Wohnungen liegt im zweistelligen Bereich, sie unterliegt aber einem gewissen Wandel. Nicht jeder Vermieter akzeptiert eine derartige „Mieterin“ in seinem Wohnhaus über einen längeren Zeitraum. Vereinzelt wird die Prostitution auch in so genannten „Love-Mobilen“ angeboten, die an der Stadtgrenze nach Unna aufgestellt sind. Einige aus der Vergangenheit bekannte Etablissements im Bahnhofsbereich haben schon seit einiger Zeit ihren Betrieb eingestellt. Gleiches gilt für einen hier über mehrere Jahre betriebenen Swingerclub. In der Vergangenheit haben sich vereinzelte Hinweise auf einen Straßenstrich ergeben, die sich allerdings nicht bestätigt haben. Vollständigkeitshalber sei erwähnt, dass es in Hagen keinen Sperrbezirk gibt.
2. Welche Behörde muss ein Bordell oder eine andere Einrichtungen, in der der Prostitution nachgegangen wird, genehmigen?
Die Gewerbeanmeldungen obliegen der Zuständigkeit der Stadt Hagen.
3. Wegen welcher Verstöße musste die Polizei zuletzt tätig werden?
Zuletzt reduzierten sich die polizeilichen Maßnahmen auf Einsätze bei Zahlungsstreitigkeiten oder so genannten „Zechanschlussdelikten“, also wenn Betrunkene Straftaten ausführen. In länger zurückliegender Zeit wurden überwiegend Verstöße wegen des illegalen Aufenthalts festgestellt, als Frauen zumeist aus afrikanischen Staaten hier unerlaubt der Prostitution nachgegangen waren und dadurch ihren Touristenstatus verloren haben. Im Januar 2010 gab es einen brutalen Mord an einer afrikanischen Prostituierten. Seitdem, so die Polizei, habe es aber kein größeres Gewaltverbrechen mehr dort gegeben. Insgesamt, so die Einschätzung der Ordnungshüter, sei die Szene in Hagen „sehr ruhig“.
4. Beobachtet die Polizei ständig die Rotlicht-Szene?
Außerhalb von konkreten Ermittlungen beschränken sich die Streifentätigkeiten fast ausschließlich auf den Bordellbetrieb in der Hagener Innenstadt. Es werden regelmäßig Fahrzeug- und Personenkontrollen durchgeführt. Unregelmäßig erfolgen mehrfach im Jahr Kontrollen, die auch die anderen Objekte mit einbeziehen. Ein Schwerpunkt dieser Kontrollen bezieht sich auf die Verhinderung der Prostitution durch Minderjährige. Hier, so die Bilanz der Polizei, sei in den letzten Jahren aber kein Verstoß festzustellen gewesen .
5. Woher stammen die Prostituierten in Hagen?
Die Prostituierten stammen ganz überwiegend aus den osteuropäischen Ländern mit einem Schwerpunkt aus Rumänien und Bulgarien. Da es sich um EU-Ausland handelt, ist deren Aufenthalt laut Polizei als legal einzustufen.
6.Wie ist die organisiert? Sind die Hintermänner „Vermieter“ oder „Zuhälter“? Und wer genau steckt hinter der Szene?
Hier blockt die Polizei ab: „Eine Beantwortung ist aus kriminaltaktischer Sicht nicht möglich.“
Den, vom nächsten Urlaub in Bulgarien zum Beispiel. Von der Reise in jenes Land, aus dem sie einst nach Deutschland gekommen ist, um in einem ganz normalen Job zu arbeiten. Bulgarien ist ihre Heimat. Es ist das Land, in dem ihre Kinder bei den Großeltern leben. Seit drei Jahren war sie nicht mehr dort, seit drei Jahren hat sie sie nicht mehr gesehen.
„Niemand hat in meiner Heimat Arbeit“, erzählt Claudia, „meine Oma nicht, mein Opa nicht, mein Bruder nicht.“ Ihre älteste Tochter, gerade 16 Jahre alt, ist schwanger. Sie soll bald heiraten.
Familie lebt vom Geld
Was Claudia in Deutschland macht, wie sie Geld beschafft... „Nein“, sagt die Frau mit den roten Fingernägeln, steckt sich eine Zigarette an und bläst den Qualm zwischen ihren geschminkten Lippen hindurch, „zu Hause weiß das niemand. Sie denken, ich würde als Köchin arbeiten.“ Vom dem Geld, das sie hier verdient, kann die Familie auf dem Balkan leben.
Liebe, so etwas wie Zuneigung – wenn sie mit den Männern ins Bett steigt, empfindet Claudia nichts davon. „Karin“, sagt sie, „die ist wie eine Mutter für mich.“ Karin, die Kettenraucherin, ist keines der anderen Mädchen. Karin, der ein Sauerstoffgerät beim Atmen hilft, gehört hier zum Inventar. Sie ist so etwas wie der gute Geist in einer Straße, die von allen guten Geistern verlassen zu sein scheint. Karin kassiert die Miete, Karin, die gebrechliche Frau mit den Grauen Haaren, die Jahrzehnte selbst ihren Körper an Männer verkauft hat, ist da für ein paar nette Worte. Karin kennt hier jede.
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Um 17 Uhr beginnt das Geschäft. Eines, das anfangs sehr gewöhnungsbedürftig für eine dreifache Mutter war. „Das war ein komische Gefühl, mit Männern ins Bett zu gehen, die ich ja gar nicht kannte“, sagt Claudia, „mittlerweile habe ich mich daran gewöhnt.“
Trotzdem gibt es Grenzen, die Claudia absteckt. Ohne Kondom geht nichts. Auch nicht, wenn Kunden sich als besonders zahlungswillig erweisen. „Und küssen ist nicht erlaubt“, sagt die Frau, die nächtelang durcharbeitet, ohne sich und ihrem Körper eine Pause zu gönnen. „Frei mache ich eigentlich nicht. Vielleicht alle zwei Wochen mal einen Tag. Und bald will ich Urlaub machen.“
Traum von der Heimat
Da ist er wieder, ihr Traum: Claudia will zurück nach Bulgarien. Der Urlaub soll mehr sein. Eine Rückkehr. Leben will sie von dem, was sie in Deutschland verdient hat. Von dem, was davon noch übrig ist.
„Weihnachten“, sagt Karin und lacht mit rauer Stimme und zieht an ihrer Zigarette, „Weihnachten bist du dann wieder da.“