Haspe. Als katholischer Geistlicher hat sich Norbert Wohlgemuth der Liebe zu Gott verschrieben. Im Rahmen unserer Serie spricht er über seine Gefühlswelt und den Zölibat.
Der schmachtend dahingehauchte Satz „Ich liebe Dich!“ gehört zu jeder Pilcher-Verfilmung. In der Lebenswirklichkeit eines katholischen Geistlichen fehlt er, seine Ansprache zu Gott klingt anders. „Ich sage auch nicht lieber Gott – Gott ist nicht lieb, Gott ist die Liebe.“ Pastor Norbert Wohlgemuths Stimme klingt fest, überzeugt, ohne Spielraum für Zweifel. „Er ist ein liebender Gott, der die Menschen so annimmt wie sie sind.“
Er selbst habe eine andere Ansprache zu den Menschen, versichert der Chef vom Heiligen Berg in Haspe. Es gehe vielmehr um Wertschätzung. „Mein Gegenüber soll spüren, dass er etwas Besonderes ist. Wenn ich das vermitteln kann, ist das auch ein Zeichen von Liebe.“ Sein Liebesbegriff ist weit gefächert, variantenreich. Jeder Mensch könne so viele Formen der Liebe empfinden, meint der Oberhirte der St.-Bonifatius-Gemeinde. Die Gefühle für die eigene Frau seien ganz andere, als den eigenen Kindern gegenüber. Häufig seien es auch nur partielle Dinge, die man an einem Menschen liebe. „Ich begreife Liebe als eine Geisteshaltung, wie ich mit Menschen umgehe. Unter Christen sollte man den Menschen als Ganzes lieben, mit seinen Stärken und Schwächen. Ein hoher Anspruch, aber jeden Versuch wert.“
Gott als etwas Großes begreifen
Dabei gibt es bei dieser absoluten Liebe zu Gott auch bei Wohlgemuth Momente des Zweifels: „Aber ist das schlimm?“ fragt er eher rhetorisch und verweist auf Dietrich Bonhoeffer der sagte, der Mensch müsse in dieser Welt ohne Gott leben, aber vor Gott. „Das heißt, wir können diesen Gott nicht so greifen oder gar über ihn verfügen und haben Anspruch auf seine Liebe und Gnade.“ Für ihn eine eher naive Betrachtungsweise. „Wir müssen Gott als etwas so Großes begreifen, von dem wir nicht meinen, wir könnten ihn manipulieren und ihn für unsere Zwecke gebrauchen.“ Gott gehe mit den Menschen. Er sei Begleiter, aber nicht schicksalhafter Richtungsgeber. Der Mensch solle niemals annehmen, Gott zu verstehen. „Gott ist in erster Linie ein Geheimnis und eine Erfahrung. So wie auch Liebe eine Erfahrung ist, die sich kaum erklären lässt. Das sind Dinge, die zwischen den Herzen der Menschen ablaufen.“ Wohlgemuth selbst hat längst damit aufgehört, ergründen zu wollen, was Brautpaare aneinander finden. In diesem Sinne möchte er das Geheimnis der Liebe zu Gott gar nicht weiter ergründen, sondern ausschließlich genießen.
Der 55-Jährige agiert inzwischen seit 25 Jahren im priesterlichen Dienst. „Ich war natürlich auch vorher schon Christ, aber das war etwas anderes. Ich habe eine klassische Sakristei-Karriere gemacht, ohne genau zu wissen, was es mit Gott auf sich hat. Es wurde viel vorgegeben. Heute mache ich meine Erfahrung mit Gott immer wieder neu.“
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Natürlich gab es auch den Norbert Wohlgemuth vor seiner Priesterweihe, der als Christ allzu menschliche, fleischliche Beziehungen pflegte: „Ich war noch verliebt bis ins Priesterseminar, da hatte ich auch noch eine Freundin.“ Das prägende Bekehrungserlebnis hat er nie erfahren. „Aber irgendwann habe ich gespürt, dass es mehr geben muss in diesem Leben.“ Jahrelang hatte er bis zum Vordiplom Maschinenbau in Aachen studiert und war praktizierender Christ, ohne dies als eine existenzielle Herausforderung zu betrachten. Während des Studiums habe er jedoch Leute beobachtet, die von der Bordsteinkante herunter hüpften. „Boah, das geht? So eine Leichtigkeit im Leben zu haben, hat mich fasziniert.“ Eine Erlebenswelt abseits der studentischen Themenwelt von Thermodynamik, Statik und Wertstoffkunde.
Sein Verlust von Lebenslust wurde ihm offensichtlich: „Irgendwas mache ich hier falsch, habe ich gedacht.“ Eine Erkenntnis, die ihn in die Klosterwelt der Benediktiner führte und letztlich faszinierte. Höchste Zeit, um mit seiner evangelischen Freundin das Gespräch zu suchen und der Auftakt zu einem lebenslangen, dynamischen Prozess hin zum Glauben. „Wer es mit Gott zu tun bekommt, bei dem setzt sich etwas in Bewegung, bei dem bleibt nichts mehr so, wie es einmal war.“
Lange Gespräche mit der Freundin
Es war nicht Liebe auf den ersten Blick, sondern ein langer Prozess, der Wohlgemuth zu Gott geführt hat. Lange Gespräche mit seiner Freundin, die diese Entwicklung naturgemäß kommen sah, machten das Absehbare zur Gewissheit. „Ich könnte auch nicht sagen, dass ich Gott mehr geliebt habe oder liebte als sie. Ich kann diese Lieben nicht gegeneinander ausspielen. Aber ich habe innerlich gespürt: Das ist es.“ Eine Entscheidung, die das junge Paar trotz aller Widrigkeiten und emotionaler Verluste damals nicht völlig entzweite: „Ich habe sie hinterher noch getraut. Da sind eben keine Verletzungen zurückgeblieben, höchstens Enttäuschung. Wir haben das sehr reif gelöst.“
Damit entsagte Wohlgemuth auch der körperlichen Liebe. Natürlich hatte er mit seiner Freundin bis dahin nicht bloß auf Parkbänken züchtig-verschämt Händchen gehalten. „Ich weiß schon, worauf ich verzichte in meinem priesterlichen Dienst“, formuliert der katholische Geistliche mit Blick auf die radikale Entscheidung, die Kirche einst von ihm einforderte. „Ich gehöre nicht zu jenen Priestern, die den Zölibat brechen“, bezweifelt der 55-Jährige, dass tatsächlich so viele Mitbrüder diese Regel ignorieren wie es häufig in den Medien kolportiert wird.
„Wir dürfen schon darauf vertrauen, dass es eine Berufung zur Ehe gibt und auch eine Berufung zum Zölibat. Ich habe in jungen Jahren es auch nicht für möglich gehalten, dass das geht. Aber es geht.“ Was für ihn nicht gleichbedeutend damit ist, dass er keine Nähe zulassen könne. Und natürlich gibt es auch Phasen, in denen er sich jemand Vertrautes für den zwischenmenschlichen Austausch herbeiwünscht.
Natürlich hat auch Wohlgemuth nicht die abschließende Antwort auf die Frage, ob das vollkommene Glück sich in der Ehe oder im Zölibat findet. Er selbst telefoniert täglich mit einem Kollegen aus Hemer, diskutiert mit ihm über den Tag, über Gelungenes und Gescheitertes, über Erlebtes und Geplantes. „Ich glaube, wir machen das eigentlich nicht schlecht, vielleicht sogar besser als manches Ehepaar, das sich nicht regelmäßig austauscht. Es ist eine gute Art, sich aufgefangen zu wissen.“ Rückkopplung und Erdung im Kollegenkreis.
Dennoch bleibt ihm die körperliche Liebe versagt, sie beschränkt sich auf die platonische Zweisamkeit. „Ich sehe darin weder einen Vor- noch einen Nachteil. Es ist keineswegs so, dass mir etwas fehlen würde.“ Selbst in Traugesprächen, bevor junge Paare natürlich nicht bloß eine emotionale, sondern auch körperliche Lust aufeinander mit dem Jawort besiegeln möchten, bleibt der Pastor gelassen: „Unser Leben ist immer defizitär, immer fehlt irgendetwas“, sagt er sich. „Ich bleibe vor manchen Schicksalsschlägen bewahrt, ich muss niemals befürchten, dass die Wohnung leer ist, wenn ich nach Hause komme und die Frau abgehauen ist.“ Der Schutz vor familiären Ereignissen schafft ihm den Raum, sich auf seine Aufgabe als Geistlicher fokussieren zu können.
Gegenseitige Freiheit
Die Menschheit ist für Wohlgemuth keine Liebesenttäuschung. „Kirche gelingt es erst seit ein paar Jahren, zu vermitteln, dass Glaube nicht in erster Linie ein Gerüst aus Gesetzen, Normen, Verboten und Lehren ist, sondern eine Einladung ins Leben. Es gilt den Reichtum Gottes zu entdecken. Und dabei mache ich den Leuten keine Vorschriften, wie sie zu leben haben. Ich erwarte aber genauso für mich, dass sie mir keine Vorschriften machen, wie ich als Pastor zu leben habe. Ich lebe glaubwürdig, aber nicht so, wie es andere mir vorschreiben, sondern wie ich es verantworten kann – eine gegenseitige Freiheit.“