Hagen. . Beleidigungen, Bedrohungen, Provokationen. Stalking heißt der Fachbegriff dafür, dass jemand immer wieder anderen Menschen das Leben zur Hölle macht, sie unter Druck setzt.
- Stalker machen anderen Menschen Leben zur Hölle
- Hagener Paar vom Ex der Frau belästigt
- Mit Hilfe der Polizei schließlich guter Ausgang der Geschichte
Er stand vor der Tür. Das Messer hielt er in der Hand. „Ich bringe dich um“, rief er.
Hans-Peter Neumann (Name geändert) schüttelt noch heute den Kopf. Er, 45 Jahre alt, ein Baum von einem Mann und doch so friedfertig, dass er eigentlich keiner Fliege etwas zu Leide tun kann. „Wenn meine Freundin nicht in diesem Augenblick gekommen wäre und mich von der Wohnungstür weggezogen hätte – ich weiß nicht, was passiert wäre.“
Jener Vorfall im Sommer des letzten Jahres war der vorläufige Höhepunkt einer ganzen Serie ähnlicher Vorkommnisse. Beleidigungen, Bedrohungen, Provokationen. Stalking heißt der Fachbegriff dafür, dass jemand immer wieder anderen Menschen das Leben zur Hölle macht, sie unter Druck setzt, ihnen zeigt: Ich lasse euch niemals in Ruhe. Eine Mischung aus Hass und Liebe ist das Motiv.
SommerserieEs war im Januar, als Hans-Peter Neumann mit seiner Lebensgefährtin zusammenkam. „Sie hat mit offenen Karten gespielt. Mir früh gesagt, dass es einen Ex-Freund gibt, von dem sie schon seit zwei Jahren getrennt ist, der aber mit dieser Trennung nie klar gekommen ist“, sagt Hans-Peter Neumann. „Ich habe gedacht: So schlimm kann das ja nicht sein. Aber wenn ich das geahnt hätte. . .“
Hasstiraden von Haus zu Haus
Der Ex-Freund wohnt nur zwei Häuser weiter. Die Straße ist eine Sackgasse. Aus dem Weg gehen kann man sich kaum. Als ihm im Mai 2015 klar wird, dass seine Ex-Freundin einen Neuen hat, gibt er keine Ruhe mehr. „Ich erinnere mich noch, dass er mich zum ersten Mal wüst beschimpft hat, als er mich hat auf dem Balkon stehen sehen“, sagt Hans-Peter Neumann. „Er ist ein bulliger Typ, hat einen lautstarken Auftritt. Das machte im ersten Moment schon Eindruck.“
Die Hasstiraden von Haus zu Haus sind aber erst der Auftakt zu einem Dauermartyrium, das sich über Monate hinziehen sollte. „Er hat uns beschimpft. Er ist ständig vor dem Haus auf und ab gegangen. Er hat auf unserem Grundstück posiert. Er hat ein Hassvideo auf Facebook gepostet. Und schließlich die Sache mit dem Messer“, sagt Hans-Peter Neumann, der sogar mit einer Videokamera gefilmt hat, wie der Ex-Freund an seinem Auto ein uns andere Mal die Spiegel umgedreht hat. „Er war ständig Gesprächsthema zwischen mir und meiner Freundin. Er war permanent präsent. Wenn man so will: Diesen Erfolg hat er gehabt.“
"Man fühlt sich völlig hilflos"
Immer wieder hat Hans-Peter Neumann bei der Polizei Anzeige erstattet. Wenn überhaupt, so erhielt er Wochen später Post von der Staatsanwaltschaft. Die Antwort war die immer gleiche: Verfahren eingestellt. „Das frustriert“, sagt Hans-Peter Neumann, der zwischenzeitlich sogar eine Anwältin eingeschaltet hatte. „Da wird man beleidigt und bedroht. Und dann soll das Ganze nicht von öffentlichem Interesse sein? Man fühlt sich völlig hilflos.“
„Dem Täter auf den Füßen stehen“
Über das Phänomen Stalking sprach unsere Zeitung mit Wolfgang Heidl von der Dienststelle Opferschutz bei der Polizei Hagen.
Wo liegt Ihr Ansatz bei der Bekämpfung von Stalking?
Wolfgang Heidl: Unser Vorteil ist: Wir sind keine Ermittler. Für uns geht es vor allem darum, den Leidensdruck für die Opfer zu mindern. Dabei machen wir den Betroffenen klar: Nicht ihr, sondern der Täter muss sein Verhalten ändern. Wir geben ihnen zunächst ihr Selbstwertgefühl zurück.
Wie gehen Sie dabei vor?
Heidl: Wir stehen dem Täter von Anfang an auf den Füßen. Wir schreiben ihn an, wie fahren bei ihm zu Hause vorbei, wir stehen einfach vor seiner Tür und klingeln. Wenn das noch nicht hilft, stehen wir wieder bei ihm auf der Matte, unmittelbar nachdem er sein Opfer wieder bedrängt hat. Selbst wenn der Täter uns nicht hereinlässt, so weiß er doch ganz genau: Die Polizei war schon wieder da. In einem direkten Gespräch machen wir ihm klar: Du stehst jetzt unter Beobachtung. Und wir erwarten von dir, dass du dich vernünftig verhältst. Selbstverständlich werden wir jedes jetzt folgende strafrechtlich relevante Verhalten gemeinsam mit dem Opfer zur Anzeige bringen.
Wie arbeiten Sie mit den Opfern zusammen?
Heidl: Sehr eng. Sie bekommen unsere Handynummern, können uns jederzeit anrufen. Am Anfang versuchen wir, eine Einschätzung abzugeben, was passieren kann. Viel hängt davon ab, wie stark das Opfer ist. Das gilt für die Psyche, aber wir reden auch über die finanzielle Situation. Kann es sich beispielsweise jemand leisten, einen neuen Schließzylinder einzubauen oder den Telefonanbieter zu wechseln? Jeder kleine Erfolg stärkt die Opfer. Daneben sind wir angewiesen auf eine vertrauensvolle Zusammenarbeit. Besitzt der Täter beispielsweise Nacktaufnahmen vom Opfer, dann müssen wir – ob peinlich oder nicht – davon wissen, um auch vorausschauend handeln zu können.
Was ist das Ziel?
Heidl: Wir wollen den Opfern ihr normales Leben zurückgeben. Was das Schicksal des Täters angeht – ob er in Haft muss, ob er seinen Job verliert – da sind wir relativ schmerzfrei. Wir zeigen ihm zwar Hilfsangebote auf, begleiten werden wir ihn aber nicht.
Wo liegen die Ursachen für Stalking?
Heidl: Stalking hat häufig mit Beziehungen zu tun. Betroffen sind auch Menschen, die im Beruf eine höhere Position erreicht haben und dort erfolgreich sind, dem Stalker gegenüber aber kein erfolgversprechendes Handlungskonzept vorweisen können. Stalker treten sogar an Arbeitgeber heran und machen deren Mitarbeiter schlecht. Gerade bei konservativen Unternehmen kann das Wirkung zeigen. Seit es soziale Netzwerke gibt, hat Stalking zugenommen.
Aber es gibt Experten, die helfen: Wolfgang Heidl, bei der Hagener Polizei Spezialist für Stalking und Mobbing. Im Herbst hat Hans-Peter Neumann den Opferschutz eingeschaltet. „Eine der ersten und wichtigsten Botschaften war: Gebt nicht nach, geht weiter euren Weg. Sammelt weiter Vorfälle und macht dem Stalker die Akte voll“, sagt Hans-Peter Neumann. „Das hat uns Kraft gegeben. Das hat uns motiviert. Wenn man merkt, dass man kleine Erfolge hat, dann bestärkt einen das.“
Heidl und seine Kollegen arbeiteten parallel zu den Vorfällen. Sie suchten das direkte Gespräch. Sie setzten ihrerseits den Stalker unter Druck und machen ihm klar: Wir behalten dich im Auge (siehe Interview).
Der entscheidende Fehler
Und der Stalker machte Fehler. Den entscheidenden: Er klebte einen Zettel mit einer antisemitischen Beleidigung an das Auto. „Da“, sagt Hans-Peter Neumann, „hatten wir etwas Strafrechtlich relevantes in der Hand.“ Die Staatsanwaltschaft schickte einen Strafbefehl. Und auch auf zivilrechtlichem Weg hatten Neumann und seine Lebensgefährtin Erfolg. „In einem Mediationsverfahren hat er eine Selbstverpflichtungserklärung unterschrieben. Darin steht, dass er auf Bedrohungen und Beleidigungen jeglicher Art verzichtet. Bei Verstößen muss er 1500 Euro zahlen. Ich hatte in der Verhandlung den Eindruck, dass er das, was vorgefallen ist, bereut.“ Seit jenem Tag herrscht endlich Ruhe.
Der Stalker, er hat keinen Erfolg gehabt. Gewonnen hat in diesem Fall die Liebe. Die zwischen Hans-Peter Neumann und seiner Freundin. „Diese Zeit“, sagt Neumann „war wirklich hart. Aber sie hat uns als Paar zusammengeschweißt. Wir haben in keinem Moment an unserer Beziehung, an unserer Liebe gezweifelt. Sonst wäre der Täter erfolgreich gewesen.“