Hagen. . Die Kinderarmut in Hagen nimmt zu. 7651 Kinder und Jugendliche unter 18 Jahren leben von Hartz IV. Das birgt viele Risiken.
- Armut erfasst viele Generation
- Gewerkschaften fordern Aktionsprogramm
- Kinderschutzbund erlebt wachsende Kinderarmut täglich
Zahlen können erschrecken. So wie diese zum Beispiel: 12 615 Bedarfsgemeinschaften gibt es in Hagen. Hinter diesem weichgespülten Ausdruck verbirgt sich die Armut von 26.735 von 193.298 Hagenern (Stand Februar), die Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch II beziehen. Hinzu kommen all jene, die erst seit kurzem ohne Job sind und Arbeitslosengeld beziehen.
Hartz IV – ein Phänomen, das alle Generationen umfasst, das seine ganze Dramatik aber besonders bei den Alten und den Jungen entfaltet. Während die Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten darauf verweist, dass sich die Anzahl der Bezieher von Grundsicherung in den letzten zehn Jahren in Hagen auf 3454 fast verdoppelt habe und sich dabei auf Zahlen des Statistischen Landesamtes beruft, weisen die aktuellen Zahlen des Jobcenters Hagen auch 7651 Kinder und Jugendliche aus, die auf Hartz IV angewiesen sind. Das entspricht in etwa jedem vierten Kind bzw. Jugendlichem. Bezieht man sich nur auf die Kinder zwischen null und 14 Jahren, so ist laut Angaben des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) sogar jedes dritte Kind betroffen. 2193 Alleinerziehende beziehen in Hagen Leistungen nach dem SGB II.
DGB fordert Aktionsprogramm
„Das ist eine absolut dramatische Zahl“
Über die Kinderarmut in Hagen sprach unsere Zeitung mit dem SPD-Landtagsabgeordneten Wolfgang Jörg, Mitglied im Ausschuss für Familien, Kinder und Jugend.
1 Wie beurteilen Sie die Zahlen zur Kinderarmut?
Das ist eine absolut dramatische Zahl. Zumal wir wissen, dass Kinder in Armut in vielen Bereichen höheren Risiken ausgesetzt sind.
2 Was bedeutet das für die Chancengleichheit?
Mit der ist es nicht weit her. Sozialer Status und Schulbildung bedingen einander. Hinzu kommt, dass ärmere Kinder einem höheren gesundheitlichen Risiko ausgesetzt sind. Auch von sozialer Ausgrenzung sind sie weitaus häufiger betroffen, in dem sie beispielsweise nicht an Freizeiten teilnehmen oder in Sportvereinen mitmachen können. In den Stadtteilen, in denen sich Armut konzentriert, ist die Infrastruktur wesentlich schlechter.
3 Was folg daraus?
Es ist eine gesellschaftliche Aufgabe, sämtliche Hürden im Bildungsbereich von der Kita bis zur Uni abzubauen. Es gibt viele Dinge – beispielsweise Kindergartengebühren, Essenszuschüsse, Kosten für Schulausflüge – die wir als Gesellschaft tragen müssen, anstatt sie den Familien aufzubürden. Wir alle sollten sehr dankbar sein, dass es junge Paare gibt, die eine Familie gründen.
„Besonders kritisch ist, dass gerade Kinder meist lange auf Hartz-IV-Niveau leben müssen“, so der Hagener DGB, „die Armutsforschung zeigt deutlich, dass längere Lebensphasen in Armut bei Kindern deren berufliche und persönliche Chancen im gesamten Leben nachhaltig schädigen.“ Der DGB („Hartz IV darf nicht Lebensstil werden“) fordert ein Aktionsprogramm gegen Kinder- und Familienarmut. Der Bund solle die Hälfte seiner Mehreinnahmen in Folge des Mindestlohns für diese Zwecke aufwenden.
Eine, die mit der wachsenden Kinderarmut täglich konfrontiert wird, ist Manuela Pischkale-Arnold, Geschäftsführerin des Kinderschutzbundes Hagen. „Jeden Mittag ist unser Suppenkasper voll“, berichtet die Pädagogin über das Angebot im Mehrgenerationen-Haus, in dem Mittagsmahlzeiten an Kinder und Familien ausgegeben werden. „Auch bei unseren Ferienfreizeiten merken wir, wie schwer es Familien, die Hartz IV beziehen, fällt, den reduzierten eigenen Beitrag aufzubringen. Dabei richten sie sich teilweise ganz bewusst an Kinder, die noch nie in ihrem Leben im Urlaub waren. Um das Angebot zu gewährleisten, sind wir dringend auf Spenden angewiesen.“
Armut bündelt sich in Quartieren
Hagen liegt über dem NRW-Schnitt
In Hagen leben (Stand Januar) 32 175 Kinder und Jugendliche.
Nicht zuletzt durch den Zuzug (Kriegsflüchtlinge und Migranten aus Ländern der europäischen Union) ist die Zahl wieder steigend.
Im NRW-Landesschnitt beziehen aktuell 9,4 Prozent der Bevölkerung Leistungen nach dem SGB II.
In Hagen sind es (Stand Februar) 26 735 Menschen und damit 13,8 Prozent.
Ein Problem ist aus Sicht des Kinderschutzbundes, dass sich Arbeitslosigkeit und Armut in bestimmten Quartieren bündele. „Die Menschen und die Kinder bleiben in ihren Sozialräumen unter sich“, sagt Manuela Pischkale-Arnold, „das gipfelt dann darin, dass sich die gutbürgerlichen Familien abgrenzen und beispielsweise für ihre Kinder ganz bewusst Grundschulen mit einem niedrigen Anteil von Flüchtlingskindern wählen.“
Dabei steht für den Kinderschutzbund nicht generell der Wunsch nach Kindern in Zusammenhang mit einem erhöhten Armutsrisiko. „Natürlich gilt generell, je mehr Kinder desto höher die Kosten“, sagt Manuela Pischkale-Arnold, „aber es kommen auch andere Faktoren wie plötzliche Arbeitslosigkeit hinzu. Da können auch Familien, die sich gerade für ihren Traum vom Eigenheim verschuldet haben, ganz schnell in eine finanzielle Schieflage geraten.“