Hagen. . Bodo Gleiß berichtet aus Hagen von wüsten Beschimpfungen und tätlichen Angriffen. Er fordert mehr Personal, damit Täter Achtung vor Beamten bekommen.

  • in Hagen sind Kriminalitätsraten niedriger als in Großstädten
  • Respektlosigkeit gegenüber der Polizei nimmt zu
  • Justiz und Polizei fehlen Personal

Die Polizei hat Respekt in der Gesellschaft verloren. Das haben nicht nur die Vorfälle in der Kölner Silvesternacht gezeigt. Das stellt auch Bodo Gleiß fest, Kreisgruppenvorsitzender der Gewerkschaft der Polizei Hagen (GdP).

Hat Köln Sie eigentlich überrascht – oder war das für erfahrene Polizisten abzusehen?

Bodo Gleiß: Ich war mehr als 20 Jahre lang Einsatzleiter hier in Hagen. Und auch mit dieser langen Erfahrung war die Vielzahl der Übergriffe und deren Heftigkeit für mich nicht abzusehen. Wer das vorausgesehen hat, der soll bitte für mich Lotto spielen.

Aber hätte die Polizei nicht früher erkennen müssen, wie die Situation eskaliert und Verstärkung anfordern?

Gleiß: Hätte die Landesregierung nicht vor vier Jahren schon erkennen müssen, dass wegen der Krise in Syrien so viele Menschen zu uns kommen und mehr Polizisten einstellen?

Jeder zweite Polizist angegriffen

1500 Stellen sind in den vergangenen zehn Jahren bei der Polizei in NRW abgebaut worden, so die Angaben der GdP NRW.

Bis zum Jahr 2025 werde man weitere 1500 Polizisten verlieren, obgleich die Landesregierung zum Beispiel 2015 annähernd 1900 Stellen geschaffen hat. Zugleich jedoch treten viele Beamte in den Ruhestand. Unter dem Strich blieben in diesem Jahr 64 Polizisten mehr.

Zugleich würden der Polizei immer mehr Aufgaben aufgebürdet, beklagt die GdP.

Die Mehrheit aller Polizisten, die regelmäßig Kontakt zu Bürgern haben, ist im Jahr 2011 mindestens einmal angegriffen worden. Sie wurden geschlagen, gestoßen, getreten, bespuck und mit gefährlichen Gegenständen attackiert. Ein schließlich der Beleidigungen, denen viele Polizisten während ihres Dienstes immer wieder ausgesetzt sind, liegt die Zahl der angegriffenen Polizisten sogar bei 80 Prozent.

Das geht aus der Ende 2014 vom Land veröffentlichten Studie über Gewalt gegen Polizisten hervor.

Dass die Polizei erst so überrascht und dann fast wehrlos war, hat aber Umfragen zufolge das Vertrauen der Bürger in die innere Sicherheit und in die Polizei erschüttert. Können Sie das verstehen?

Gleiß: Nachvollziehen kann ich das. Die Polizei ist aber nach wie vor da und schützt die Bürger. Davon bin ich überzeugt. Die innere Sicherheit ist gewährleistet.

Auch hier in Hagen?

Gleiß: Hier in Hagen kann man sich nach wie vor auf die Straße wagen. Wir haben keine Parallelgesellschaften. Hier ist es noch gut. Die Flüchtlinge, die hier leben, benehmen sich ordentlich. Hagen ist keine Großstadt wie Köln. Hier sind die Kriminalitätsraten auch niedriger.

Aber die Respektlosigkeit der Täter, über die die Kölner Polizisten geklagt haben, die kennen Sie hier doch auch, oder?

Gleiß: Ja, die Respektlosigkeit nimmt seit Jahren zu, insbesondere gegenüber weiblichen Beamten, die oft übel beschimpft werden. Das ist auch in der Herkunft vieler Täter begründet. Von den Frauen lassen sie sich gar nichts sagen. Es kam schon mal vor, dass Kolleginnen mit zwei blauen Augen oder einem gebrochenen Arm aus dem Nachtdienst kamen. Und manche geht mit Tränen in den Augen nach Hause.

Das ist frustrierend, oder?

Gleiß: Umso mehr hat uns geärgert, dass Innenminister Jäger nach der Kölner Silvesternacht erst einmal – ohne die Vorfälle gründlich zu prüfen – der Polizei die Schuld gegeben hat. Er hat diejenigen an den Pranger gestellt, die in der Nacht alles gegeben haben. Eine Unverschämtheit. Erst Tage später hat er hinzugefügt, dass er die Führung meinte, nicht die einzelnen Polizisten. Das hat auch hier in Hagen unter den Kollegen für viel Unmut gesorgt.

Eine solch vorschnelle Kritik – das ist auch eine Form von Respektlosigkeit, oder?

Gleiß: Das stimmt!

Warum hat die Respektlosigkeit eigentlich so zugenommen?

Gleiß: Die Täter wissen, dass ihnen herzlich wenig passiert. Wenn man eine Strafanzeige wegen Beleidigung stellt und es tatsächlich zu einem Gerichtstermin kommt, dann gibt der Richter vielleicht zehn Sozialstunden. Darüber lachen sich diese Leute kaputt. Dementsprechend benehmen sie sich dann gegenüber der Polizei. Aber wie soll man auch sonst in einem Rechtsstaat damit umgehen? Wir wollen schließlich nicht in den Ruf kommen, den Polizeikräfte in anderen Ländern haben. Deshalb haben auch viele der Flüchtlinge aus ihren Herkunftsländern ein ganz anderes Bild von Polizei.

Was muss passieren?

Gleiß: Die geltenden Gesetze müssen angewendet und Strafen verhängt werden. Das muss funktionieren. Aber der Justiz fehlt auch Personal. Städte und Polizei haben nicht genügend Kräfte, um Abschiebungen durchzuführen. Deutschland ist auf diese Flüchtlingszahl nicht eingerichtet.

Also ist die Respektlosigkeit gegenüber der deutschen Polizei ein Problem der Einwanderer?

Gleiß: Nein, der Respekt hat in der ganzen Gesellschaft nachgelassen.

Gibt es zu wenige Polizisten, um sich genügend Respekt zu verschaffen?

Gleiß: Natürlich. Wenn ich mit fünf Streifen auflaufen kann statt mit einer, dann ist die Wirkung eine ganz andere. Zu bestimmten Einsätzen müssen wir mittlerweile mit zwei Wagen fahren, früher reichte einer. Familienstreitigkeiten zum Beispiel. Wir bräuchten also mehr Kräfte. Stattdessen ist hier in Hagen ist unsere Stärke nicht unerheblich verringert worden.

Um wie viel?

Gleiß: Zu Dienststärken darf ich offiziell nichts sagen. Landesweit waren es in den vergangenen 15 Jahren etwa 2000.

Aber NRW hat doch nun zusätzliche Polizisten versprochen, oder?

Gleiß: Es sind 500 zusätzliche Stellen über Nichtpensionierungen angekündigt worden. 250 junge Kollegen werden 2016 zusätzlich ausgebildet. Bis die aber so weit sind, dauert es drei Jahre. Im Jahr 2015 sind etwa 1900 neu eingestellt worden.

Wie viele kommen davon in Hagen an?

Gleiß: Etwa ein Prozent. Wir haben 2015 19 neue Leute bekommen, aber etwa die gleiche Zahl abgegeben. Wir sind also plus/minus Null herausgekommen. Eine Vermehrung ist nicht in Sicht.

Kann ich denn hier in Hagen getrost Karneval feiern?

Gleiß: Ja, klar. Gehen Sie raus.