Hagen. Während viele Patienten über lange Wartezeiten, aber auch die Qualität von Ärzten klagen, haben die Mediziner keine Antwort darauf, wie sie dem Andrang von Patienten in Hagen künftig Herr werden sollen

  • Lange Wartezeiten in Hagen Praxen
  • Engpässe bei den Kinderärzten
  • Weitere Psychotherapeuten erforderlich

Unsere Berichterstattung zur ärztlichen Versorgung in Hagen in der gestrigen Ausgabe bewegt Leser und Mediziner gleichermaßen. Während viele Patienten über lange Wartezeiten, aber auch die Qualität von Ärzten klagen, haben die Mediziner keine Antwort darauf, wie sie dem Andrang von Patienten in Hagen künftig Herr werden sollen. Obwohl die Kassenärztliche Vereinigung (KV) im haus- und fachärztlichen Bereich überall eine Überversorgung in Hagen sieht und keine weiteren Niederlassungen zugelassen werden, gehen viele Praxen auf dem Zahnfleisch.

Leser berichteten uns gestern von enorm langen Wartezeiten auf einen Termin und vor Ort in den Praxen von Hagens Haus- und Fachärzten. Und darüber, dass die Verhältniszahl, die vom Gemeinsamen Bundesausschuss und der Kassenärztlichen Vereinigung angelegt wird (1671 Einwohner je Arzt), in vielen Hagener Bezirken nicht hinkommt. Zum Beispiel im Norden, wo fast 1900 Bürger auf einen Mediziner kommen. Exem­plarisch haben wir dazu mit zwei Medizinern aus der Praxis gesprochen.

Beispiel Kinderärzte

„Ja“, sagt Kinderärztin Karin Geitmann, die stellvertretend für sich und ihre zwölf Kollegen in Hagen spricht, „es gibt eine große Diskrepanz zwischen der Statistik der KV und der Wirklichkeit. Es wird dabei nie nach der effektiven Arbeitszeit der Kollegen geguckt.“

Zu den rund 30.000 Kindern, die in Hagen versorgt werden müssen, kommen noch die Kinder kommunal untergebrachter Flüchtlingsfamilien und die Betreuung der Kinder in den vier Notunterkünften der Stadt. „Das machen wir außerhalb der Arbeitszeit. Weil Hagen in NRW die Stadt mit dem höchsten Migrantenanteil sei, dauert die Behandlung vieler Kinder wegen der Sprachbarrieren bei den Eltern zum Beispiel entsprechend länger. Es müssten eigentlich viel mehr Kinderarztpraxen in Hagen eröffnen.“

Lange Wartezeiten bei Fachärzten und teilweise überforderte Hausärzte. Eigentlich, so glauben Mediziner in Hagen,müssten sich weitere Ärzte in Hagen niederlassen.
Lange Wartezeiten bei Fachärzten und teilweise überforderte Hausärzte. Eigentlich, so glauben Mediziner in Hagen,müssten sich weitere Ärzte in Hagen niederlassen. © WP Michael Kleinrensing

Das sei aber erstens wegen des offiziellen Überversorgungsgrades nicht erlaubt, und zweitens fänden sich aktuell auch keine Interessierten, die sich in Hagen niederlassen wollen würden. „Es gibt heute andere Lebensmodelle als noch vor 30 Jahren. Da war klar, dass man sich niederlässt und 50 bis 60 Stunden arbeitet. Heute wollen die jungen Kollegen entweder wegen der Familie auch nur halbtags arbeiten können, oder sie gehen in die Kliniken, weil sich dort besseres Geld verdienen lässt“, so Karin Geitmann.

Beispiel Psychotherapeuten

Die psychischen Erkrankungen liegen mittlerweile auf Platz zwei der Gründe für Krankschreibungen deutschlandweit – auch in Hagen. „Ich sehe einen riesigen Engpass in Hagen“, sagt Dr. Nikolaus Grünherz. Zehn Psychotherapeuten würden in Hagen bei Weitem nicht reichen, um dem Bedarf gerecht zu werden. „Ich habe die KV deswegen auch schon angeschrieben, aber dort wurde mein Hinweis abgeschmettert.“

Grünherz ist Leitender Arzt der Abteilung für Psychiatrie und Psychotherapie des St.-Johannes-Hospitals und als solcher auch der dort angegliederten Tagesklinik. „Dort spüren wir das Problem deutlich. Wo gehen die Patienten hin, wenn sie dort entlassen werden?“

Viele zum Beispiel an Depressionen Erkrankte könnten gesundheitsbedingt nicht die Kraft aufbringen, eine lange Liste von Therapeuten abzutelefonieren, um für einen Termin zu kämpfen.

„Unter diesen Umständen kann sich der Krankenstand in Hagen nicht verringern. Wir benötigen mehr Psychotherapeuten.“ Interessant ist vor diesem Hintergrund, dass das Fach Psychologie die höchsten Einschreibungsquoten an deutschen Universitäten hat. „Wo die ausgebildeten jungen Leute aber alle arbeiten können, wird man nicht sagen können“, so Grünherz.