Hagen. An der Blätterhöhle in Hagen graben Archäologen weiter in Richtung Eiszeit. Neuestes Fundstück: ein Pfeilschaftglätter aus der Steinzeit.
Zeit wird relativ. Was sind schon elf Jahre? Seit 2004 wird an der Blätterhöhle immer wieder mal gegraben. Und so – um es mit den Worten einiger Gallier auszudrücken – befinden wir uns im Jahr 9600 vor Christi Geburt. Wenn man das wiederum umrechnet auf jene Schichten, die vor einer der außergewöhnlichsten archäologischen Grabungsstätten des Landes abgetragen werden, macht das pro Zentimeter rund 50 Jahre.
Zentimeter um Zentimeter arbeiten sich Studenten der Universitäten Bochum, Köln und Berlin mit Grabungsleiter Wolfgang Heuschen voran. Auf jeweils einem viertel Quadratmeter werden fünf Zentimeter abgetragen. Nicht mit der groben Kelle, sondern mit einem kleinen Spachtel. Eine Sisyphusarbeit. Kleine Schätze treten so in der Höhle und auf dem Vorplatz zu Tage. Die Fundorte werden in dreidimensionalen Plänen festgehalten, die Knochen, Steine und Werkzeuge später untersucht.
Seltene Schätze aus der Steinzeit
Schätze wie der, den Wolfgang Heuschen in den Händen hält. Ein fast rechteckiger, scheinbar geschliffener Stein mit einer Rille in der Mitte. „Ein Pfeilschaftglätter“, erklärt der Grabungsleiter und weist auf eine Zeichnung, die einen Steinzeitmenschen mit dem seltenen Werkzeug zeigt. „Die Menschen haben zwei dieser Glätter aufeinander gelegt und dann ihre Pfeile durch die Rille gezogen. Rinde wurde so gelöst, Reste von abzweigenden Ästen geglättet.“
LWL finanziert
Der Landschaftsverband Westfalen-Lippe (LWL) hat die Finanzierung der aktuellen Grabungskampagne an der Blätterhöhle übernommen. Die Mittel stammen aus dem Denkmal-Förderprogramm NRW.
Darüber hinaus gibt es die Perspektive, dass auch weitere Grabungen in den nächsten Jahren über Fördertöpfe, auf die der LWL zugreifen kann, finanziert werden können.
Der Archäologe Dr. Jörg Orschiedt referiert am heutigen Samstag, 19. September, 15 Uhr, im Historischen Centrum, Eilper Straße 75 bis 79, über die Blätterhöhle.
Datiert ist der Stein noch nicht. Professor Michael Baales, Leiter der Außenstelle Olpe der Archäologie des Landschaftsverbandes Westfalen-Lippe, vermutet aber, dass es sich um ein Werkzeug aus der Mittelsteinzeit handelt.
Auswertung braucht Zeit
Die Fundstücke selbst – neben dem Pfeilschaftglätter menschliche Knochen, Tierknochen, Werkzeuge, Feuersteine und Feuerstellen (aber einst auch Limoflaschen aus den 50ern sowie Schminkzeug) – stehen für die Experten nicht unmittelbar im Vordergrund. „Uns interessieren vor allem die Rückschlüsse, die sich aus den Funden ergeben“, sagt Michael Baales. Die Auswertung braucht Zeit. Dahinter steckt ein riesiges Puzzle. Es beschreibt das Zusammenleben von Menschen und ihre Umwelt vor tausenden von Jahren. Und mit jedem kleinen Puzzlestück, das analysiert wird, wächst das Puzzle zu einem Gesamtbild.
Gepuzzelt wird seit rund acht Wochen. Das ferne Ziel: die späte Eiszeit. „Bis dahin vorzudringen wäre ein Highlight“, sagt Baales. Für unrealistisch halten das die Experten aber keineswegs. „Wir stehen im Moment auf sieben Meter freiem Sediment“, erklärt der Archäologe Dr. Jörg Orschiedt, der das Forschungsprojekt Blätterhöhle seit neun Jahren leitet, „bis auf ein Niveau von 4,30 Metern unterhalb der jetzigen Grabungen haben wir schon gebohrt. Mag sein, dass wir die Eiszeit in einem Meter erreichen, vielleicht aber auch erst in zwei Metern. So genau kann man das nicht prognostizieren.“
Zeitreise in Hagen
Dass diese Zeitreise in Hagen überhaupt ihren Anfang genommen hat, ist eher einem Zufall zu verdanken. 2004 waren es Mitglieder des Arbeitskreises Kluterthöhle, die erste Blätterschichten (daher der Name) aus der Höhle räumten. Zwei Jahre später begannen die ersten Grabungskampagnen. „Zunächst mussten große Felsbrocken weggeräumt werden“, so Jörg Orschiedt über die in NRW einmalige Fundstelle, „sie haben dafür gesorgt, dass die Fundstücke über die Jahrtausende geschützt waren.“
Wie weit die Zeitreise in und vor der Höhle noch führt, wissen die Experten noch nicht. Zeit ist eben relativ.