Hagen. . Der 5600 Jahre alte Schädel wurde von Rechtsmedizinerin Dr. Constanze Niess rekonstruiert. Er steht im Mittelpunkt der Archäologischen Landesausstellung

Sie hat eine freche Stupsnase, lächelt gern und blickt neugierig in die Welt. Wenn die sympathische junge Frau neben einem im Bus säße, würde sie nicht weiter auffallen. Doch das Steinzeitmädchen ist 5600 Jahre alt. Jetzt hat es ein Gesicht erhalten. Damit ist die älteste Südwestfälin auch der früheste rekonstruierte Mensch in ganz Westfalen.

Der rekonstruierte Kopf des Steinzeitmädchens. (Foto: Michael Kleinrensing)
Der rekonstruierte Kopf des Steinzeitmädchens. (Foto: Michael Kleinrensing) © WP Michael Kleinrensing

Dr. Constanze Niess mag sich gar nicht trennen. „Man baut ja doch so ein bisschen eine Beziehung auf“, verrät die Frankfurter Rechtsmedizinerin. Gestern stellte sie in Hagen die vollendete Gesichtsrekonstruktion des Schädelfundes aus der Hagener Blätterhöhle vor. Die Plastik wird zum Höhepunkt der großen archäologischen Landesausstellung „Revolution Jungsteinzeit“, die ab 5. September in Bonn zu sehen ist und dann nach Herne und Detmold geht. Sogar das Ausstellungsplakat ist dem Steinzeitmädchen gewidmet.

Der archäologische Fund markiert eine wissenschaftliche Sensation. Denn die Untersuchung der Knochenreste im Labor für Paläogenetik der Universität Mainz ergab, dass sich die 17- 22-Jährige vorwiegend von Wild und Fisch ernährt hat und damit zu den sogenannten Wildbeutern gehört. Die mobile Kultur der Jäger und Sammler bildet die Urbevölkerung Europas. Aber in der Jungsteinzeit sollte sie eigentlich längst verschwunden sein, nachdem sich die wirtschaftlich erfolgreicheren sesshaften Ackerbauern etabliert hatten.

Steinzeitmädchen aus Hagen

Rechtsmedizinerin Dr. Constanze Niess.
Rechtsmedizinerin Dr. Constanze Niess. © WP Michael Kleinrensing
Archäologe Dr. Jörg Orschiedt in der Blätterhöhle.
Archäologe Dr. Jörg Orschiedt in der Blätterhöhle. © WP Michael Kleinrensing
Gesichtsrekonstruktiondes  Hagener Steinzeitmädchen.
Gesichtsrekonstruktiondes Hagener Steinzeitmädchen. © WP Michael Kleinrensing
Rechtsmedizinerin Dr. Constanze Niess.
Rechtsmedizinerin Dr. Constanze Niess. © WP Michael Kleinrensing
Rechtsmedizinerin Dr. Constanze Niess.
Rechtsmedizinerin Dr. Constanze Niess. © WP Michael Kleinrensing
Grabungen an der Blätterhöhle.
Grabungen an der Blätterhöhle. © WP Michael Kleinrensing
Dr. Constanze Niess, Historiker Cr. Ralf Blank und Simon Matzerath vom LVR LandesMuseum Bonn.
Dr. Constanze Niess, Historiker Cr. Ralf Blank und Simon Matzerath vom LVR LandesMuseum Bonn. © WP Michael Kleinrensing
Der Abdruck des Schädels der jungen Frau.
Der Abdruck des Schädels der jungen Frau. © WP Michael Kleinrensing
Historiker Dr. Ralf Blank.
Historiker Dr. Ralf Blank. © WP Michael Kleinrensing
Rechtsmedizinerin Dr. Constanze Niess.
Rechtsmedizinerin Dr. Constanze Niess. © WP Michael Kleinrensing
Funde in der Blätterhöhle.
Funde in der Blätterhöhle. © WP Michael Kleinrensing
1/11

Diese Lehrmeinung musste die internationale Wissenschaft dank der Hagener Blätterhöhle inzwischen korrigieren. Ackerbauern und Wildbeuter haben über einen längeren Zeitraum hinweg nebeneinander existiert. Dr. Ralf Blank, selbst Archäologe und Leiter der wissenschaftlichen Museen und Archive der Stadt Hagen: „Die Befunde in der Blätterhöhle weisen das nördliche Sauerland als eine Region aus, in der es noch 2000 Jahre nach der Neolithischen Revolution überwiegend von der Jagd und vom Fischfang lebende Gemeinschaften gab. In der Hagener Blätterhöhle wurden solche Befunde weltweit zum ersten Mal direkt und im Fundzusammenhang nachgewiesen.“

Neue Grabungs-Kampagne

Wegen der wissenschaftlichen Bedeutung des Grabungsortes und der großen symbolischen Strahlkraft des Fundes entstand dann auch rasch die Idee, den 5600 Jahre alten Schädel in der Landesausstellung prominent zu würdigen. Mit Hilfe des Landes, des Landesmuseums und der Sparda-Bank konnte das Projekt realisiert werden. Die Arbeitsstunde einer Gerichtsmedizinerin wird in der Regel mit 100 Euro entschädigt. In dem Kopf stecken etwa 60 Stunden Arbeit – abgesehen von der nicht bezifferbaren künstlerischen Leistung. Nähere Angaben möchte Constanze Niess zu den Kosten nicht machen, schließlich wird jede archäologische Gesichtsrekonstruktion einzeln vereinbart, wobei viele Faktoren eine Rolle spielen. „Ich bin ja auch mit Herzblut dabei.“

Auch interessant

Die Blätterhöhle bleibt ein spannendes archäologisches Terrain. Ab dem 4. August wird bis Ende September eine neue Grabungskampagne nach Erkenntnissen über das Leben der ersten Westfalen forschen. Weitere spektakuläre Entdeckungen sind dabei zu erwarten. „Es handelt sich um eine der wenigen durch frühere Ausgrabungen nicht gestörten archäologischen Höhlenfundstellen in Europa und darüber hinaus“, so Ralf Blank. „Besonders interessant wird es, wenn die laufenden Grabungen in eiszeitliche Schichten vorstoßen und dabei wichtige Hinweise zur Klimageschichte in der Region geben können.“

Neues Zuhause in Hagen

Das Steinzeitmädchen wird nach der Landesausstellung ein neues Zuhause im Hagener Museum für Ur- und Frühgeschichte Wasserschloss Werdringen erhalten und damit allen Besuchern erzählen: So sahen unsere Vorfahren aus. Denn das Verfahren der Gesichtsrekonstruktion ist zuverlässig - es wird ja in der Regel von der Polizei für Identifizierungen eingesetzt. „Sie ist dem historischen Mädchen sehr ähnlich“, zeigt sich Constanze Niess überzeugt. „Wenn jemand sie früher gekannt hätte und sie jetzt sehen würde, würde er sie wiedererkennen.“