Hagen. . Deutschland sucht das Werbekind: Das Hagener Traditionsunternehmen Brandt will im Internet ein neues Zwieback-Gesicht finden. Doch ein Experte warnt vor Veränderungen bei der Kultmarke.

Er ist super-blond und pausbäckig, trägt die Haare gel-frei und freut sich zu jeder Jahreszeit wie ein Schneekönig: Doch jetzt nagt offenbar der (Milch-)Zahn der Zeit an Deutschlands bekanntestem Zwieback-Jungen, 1983 im Werbestudio geboren. Das Hagener Familienunternehmen Brandt sucht demnächst ein neues Werbegesicht, oder besser: weitere Werbegesichter für die orangefarbenen Zwieback-Packungen - mit Hilfe eines Castings.

„Facelifting“ auf Zwieback-Tüten

Anruf in der Hagener Firmenzentrale: Nach einem kurzen Augenblick ertönt die Warteschleifen-Musik. Gitarrenklänge, die auch vor 32 Jahren entstanden sein könnten, dazu der immer wiederkehrende Liedtext einer hellen Frauenstimme: „Brandt, da steckt das Gute drin!“ Irgendwann ist Andreas Loch am Apparat. Der Marketingleiter, Mitte 40 und zweifacher Familienvater, freut sich darüber, dass das geplante „Facelifting“ auf den Zwieback-Tüten positive Wellen schlägt. Nur einmal im Gespräch muss er ein „Um Gottes Willen!“ seufzen. „Das Casting läuft nicht unter dem Titel ,Aktion Wonneproppen’, wie es schon verbreitet wurde, sondern ,Wir suchen Dein Lächeln!’“

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Seit 1929 lächelt ein Kind auf den Zwieback-Tüten. Zunächst ein Mädchen, darunter der Schriftsatz „Deutscher Zwieback für Kinder und Kranke“. Der hübsche Junge von 1983 (Loch: „sehr süß und eine echte Vertrauensfigur“) ist erst das vierte Werbegesicht in der Firmengeschichte. „Es gehört zu unserer Historie“, erklärt Andreas Loch, „hin und wieder etwas zu verändern.“ Man arbeite schließlich permanent daran, „bei der Markenführung für Aktualität zu sorgen“.

Fotos der Kinder hochladen

Aber ganz behutsam, betont der Marketing-Chef. So bleibt der 83er-Junge auch nach dem Anfang 2016 startenden Casting auf Packungen. Aber es kommen für einen begrenzten Zeitraum und für eine Aktionsauflage von mehreren Millionen Packungen mutmaßlich sieben weitere Kinder-Gesichter hinzu. Auf einer Webseite und in sozialen Medien sollen Eltern Fotos ihrer Kinder hochladen. „Kinder jeden Alters, egal, ob Deutsche oder mit Migrationshintergrund, ob mit blonden Haaren oder braunen“, betont Loch, dass es keine Vorgaben gibt. „Eine Jury entscheidet nach einem Casting, welche neuen Gesichter auf die Packungen gebannt werden.“

In der Jury sitzen unter anderem Mitglieder der Familie Brandt (Loch: „Sie sind hellauf begeistert von der Aktion“) und die in Hagen aufgewachsene Sängerin Nena, auch wegen der regionalen Verbundenheit zum Firmensitz, aber nicht nur: „Auch Nena ist eine Marke, die mit der Zeit gegangen ist, ohne sich zu verbiegen.“

Hagener Familienunternehmen 1912 gegründet

  • Am 21. Oktober 1912 gründet Carl Brandt die „Märkische ­Zwieback- und Keksfabrik“ in Hagen.
  • Carl-Jürgen Brandt wird nach dem Tod von Betty Brandt im Jahr 1984 zum alleinigen Gesell­schafter des Familienunternehmens.
  • Im April 2002 weiht Brandt das neue Zwieback-Werk im thüringischen Ohrdruf ein.

Auf keinen Fall wolle man mit dem neuen Werbegesicht, sozusagen ein Zwieback-Gesicht 2.0, die treue Kundschaft verprellen, in der Social-Media-Sprache: einen Shitstorm auslösen. Loch: „Wir wissen, dass die Marke Brandt-Zwieback sehr nah am Verbraucher ist und viel Geborgenheit, Fürsorge und Emotionalität ausstrahlt.“

Aber genau für diese treuesten der treuen Fans könnte ein neuer Zwieback-Junge ein Schlag ins Gesicht sein, befürchtet Christopher Spall, Berater für Markenidentität. „Ich halte das Vorhaben für extrem gefährlich.“ Das Werbegesicht sei nicht irgendein Design-Stilmittel, sondern Identifikationsfläche für die Marke Brandt. „Nehmen Sie den Leuten eine solche Fläche weg, sind sie irritiert und wenden sich womöglich von der Marke ab.“

Zur Kultmarke geworden

Brandt-Zwieback, der Marktführer, habe sich zu einer Kultmarke entwickelt, so Spall. „Diesen Status muss man verteidigen, indem man sich über Trends stellt. „Ein Kult kommt nie aus der Mode.“ Allenfalls könne man das Gesicht über einen längeren Zeitraum „anpassen“. Den Erkennungsmerkmalen wie blonden Haare oder Pausbäckchen Schritt für Schritt einen neuen Charakter geben. „Leichte Anpassungen, die die Kundschaft nicht wahrnimmt“, so der Markenexperte. „Der Wert der Marke Brandt Zwieback steht und fällt mit dem Gesicht.“

Christopher Spall erinnert sich an den „Fall Jägermeister“ vor gut zehn Jahren. „Da sollte der vermeintlich altbackene Hirsch als Logo auf der Flasche entfernt werden.“ Die Geschäftsführung habe letztendlich entschieden, das Tier doch als Aushängeschild beizubehalten. „Heute ist Jägermeister die erfolgreichste Spirituose der Welt - weil der Schuster bei seinen Leisten geblieben ist.“