Hagen. . Die alt-katholische Kirche ist eine kleine Kirche, eine verschwindend kleine. Ganze sechs Hagener bekennen sich zu ihr.
Für Rudolf Geuchen war es die schwierigste Entscheidung seines Lebens: Sollte er der römisch-katholischen Kirche den Rücken kehren, seinem Bischof den versprochenen Gehorsam verweigern und den Zölibat, das Gelöbnis der lebenslangen Ehelosigkeit als Priester, aufkündigen? Er rang lange mit sich, im Rückblick sagt er, es sei ein schwieriger, schmerzhafter Prozess für ihn gewesen: „Denn die Kirche verlässt man ja nicht wie man ein Hemd wechselt.“ Schließlich erklärte der Priester aber doch seinen Austritt aus der römisch-katholischen Kirche, an die er sein Leben lang geglaubt hatte und der er ein Leben lang dienen wollte, um die Frau, die er kennen und lieben gelernt hatte, zu heiraten: „Ich wollte diese Beziehung nicht verheimlichen. Nein, ich konnte mein Versprechen, das Versprechen des Zölibats, vor meinem Gewissen nicht länger halten.“
Das war 1982. Heute ist Geuchen 63 Jahre alt und sagt, er habe seine Entscheidung von damals nie bereut. Er ist immer noch verheiratet, er ist Vater geworden, Großvater, und er sagt, er sei glücklich. Was wohl auch damit zu tun hat, dass er immer noch Priester ist. Denn Geuchen wechselte seinerzeit von der römisch-katholischen zur alt-katholischen Kirche und leitet seit 32 Jahren die alt-katholische Gemeinde Dortmund, zu der der gesamte Regierungsbezirk Arnsberg und damit auch Hagen gehört.
Die alt-katholische Kirche ist eine kleine Kirche, eine verschwindend kleine. Ganze sechs Hagener bekennen sich zu ihr, im gesamten Regierungsbezirk sind es 228 Gläubige. Dabei gilt sie als Körperschaft des öffentlichen Rechts und wird, wie die römisch-katholische und die evangelische Kirche, über das staatliche Kirchensteuereinzugssystem finanziert. Und wer eine alt-katholische Messe besucht, wird kaum Unterschiede zur römisch-katholischen Messe feststellen können, hier wie dort gibt es den Ritus mit Gabenbereitung, Eucharistiegebet (ohne Segenswunsch für den Papst) und Kommunion. „Allerdings ist bei uns die Kelchkommunion üblich“, betont Geuchen. Den Gläubigen werden also bei der Kommunion Brot und Wein gereicht.
Bruch mit Rom
Die Abspaltung von der römisch-katholischen Kirche geht auf das Jahr 1870 zurück. Damals erhob das Erste Vatikanische Konzil die oberste Rechtsgewalt und die Unfehlbarkeit des Papstes in Glaubens- und Sittenfragen zum Dogma, zum verbindlichen Glaubenssatz. Manche Katholiken lehnten diese Lehren ab, da sie weder durch die Bibel noch die römische Tradition begründet seien. Der Bruch mit der Kirche in Rom war perfekt, als der Papst die Abtrünnigen exkommunizierte, vom Empfang der Sakramente und damit aus der Kirche ausschloss. Sie gründeten eigene Gemeinden, die am „alten“ katholischen Glauben festhielten. „Der Papst ist für uns zunächst einmal der Bischof von Rom“, so Dr. Werner Heisig (62), Diakon der alt-katholischen Gemeinde: „Als Nachfolger von Petrus hat er eine besondere Stellung, aber nicht eine so hervorragende, wie er sie beansprucht. Wir sehen ihn eher als Ersten unter Gleichen.“
Nach der Trennung von Rom gingen die Alt-Katholiken eigene Wege, neben der päpstlichen Unfehlbarkeit verwarfen sie die Verpflichtung zum Zölibat, da er ein biblisch nicht begründbares Kirchengesetz darstelle und Ehelosigkeit keine Voraussetzung für kirchliche Ämter sei. Heute können sogar Frauen die Priesterweihe empfangen, wiederverheiratete Geschiedene sind zur Kommunion zugelassen, Pfarrer und Bischöfe werden von Gemeindeversammlungen bzw. Synoden gewählt, homosexuelle Paare erhalten, wenngleich sie nicht getraut werden, den kirchlichen Segen.
Ökumenische Beziehungen
Der Name Alt-Katholiken, der eine konservative, ja unzeitgemäße Kirche erwarten lässt, täuscht also. Die alt-katholische Kirche ist in vielerlei Hinsicht fortschrittlicher als andere christliche Kirchen, sie unterhält ökumenische Beziehungen zur anglikanischen und zur evangelischen Kirche. „Bei uns gibt es sowohl das bischöfliche Element als auch synodale Strukturen“, so Dagmar Kuhle (45), Mitglied im Kirchenvorstand.
Die Alt-Katholiken halten also einerseits am „alten“ Glauben fest, andererseits gehen sie, wenn man so will, mit der Zeit und entwickeln ihre Kirche weiter. Allerdings bewegen sie sich aufgrund ihrer geringen Mitgliederzahl in Hagen stets am Rande der Bedeutungslosigkeit. Immerhin findet im ökumenischen Gemeindezentrum in Helfe alle zwei Wochen ein alt-katholischer Gottesdienst statt, wozu die Gemeinde den Kirchenraum der evangelischen Jakobus-Gemeinde nutzen darf. Dabei befindet sich in Hagen sogar noch ein Gotteshaus im Besitz der Alt-Katholiken: die Kirche auf der Elfriedenhöhe im Stadtgarten, die 1989 an die griechisch-orthodoxe Gemeinde vermietet und von dieser mit Ikonostasen und Wandmalereien umgestaltet wurde. Schon knapp 20 Jahre zuvor war der letzte alt-katholische Pfarrer in Hagen in den Ruhestand gegangen.
Sieben Sakramente
„Mit der Anglikanischen Kirche eint uns Kirchengemeinschaft, mit den Orthodoxen Kirchen verbindet uns Glaubens-Einheit, mit den Evangelischen Christen sind wir durch die gegenseitige Einladung zum Abendmahl verbunden“, heißt es auf der Homepage der Alt-Katholiken. Nur von der römisch-katholischen Kirche, aus der sie doch einst hervorgegangen ist, scheint derzeit keine Brücke herüberzuführen. Zwar gibt es in alt-katholischen Kirchen geweihtes Wasser, mit dem man sich bekreuzigen kann, in den Bänken kann man sich hinknien, es leuchtet ein „ewiges Licht”, das die Gegenwart Jesu Christi symbolisiert, die Priester tragen die in katholischen Kirchen gewohnte liturgische Kleidung und auch die Zahl der Sakramente ist gleich: Taufe, Firmung, Eucharistie, Buße, Ehe, Weihe und Krankensalbung.
Glaube an apostolische Nachfolge
Trotz dieser Gemeinsamkeiten gelten die Alt-Katholiken im Vatikan als Vertreter einer Irrlehre, als vom rechten Glauben abgekommen. Soviel Distanz ist den Alt-Katholiken fremd, sie sehen sich ja selbst als katholische Kirche, an der apostolischen Nachfolge würden sie nie rütteln. „Die katholische Kirche ist für uns eine Schwesterkirche, wir sind ja alle durch die Taufe als Christen vereint“, drückt es Heiser aus.
Pfarrer Geuchen jedenfalls ist mit sich im Reinen. „Ich habe mit meinem Bischof zusammen geheult“, erinnert er sich an das Ende jenes Gesprächs, in dem er seinem Vorgesetzten mitteilte, dass er heiraten wolle. Bei den Alt-Katholiken hat er eine neue Heimat gefunden.