Hagen. . Fast zwei Drittel aller Wohnungen in Hagen werden vermietet. Doch der Mieterverein bemängelt: Mieter hätten trotzdem keine richtige Lobby.
Sie sind eine Macht – jedenfalls theoretisch. Sie müssten umworben werden von den politischen Parteien, weil sie eine Riesen-Wählergruppe darstellen. Sie müssten im Fokus des Interesses der Stadtverwaltung stehen, weil sie die Mehrheit der Hagener Bevölkerung darstellen. Und Handel und Wirtschaft müssten sie umgarnen, weil sie so viele sind. Es geht um die Menschen in Hagen, die zur Miete wohnen. Doch wird sich wirklich um sie gekümmert? „Nein“, sagt Klaus Dietrich vom Mieterverein: „Mieter haben in Hagen keine Lobby.“
Ist das wirklich so? Ist Hagen kein guter Ort für Mieter? Für die Antworten hilft ein Blick auf die Fakten:
Die Mieter-Quote: 65,3 Prozent der Wohnimmobilien in Hagen werden vermietet. In absoluten Zahlen gibt es rund 66 700 Mietwohnungen. Das ist eine deutlich höher Quote als in der etwa gleich großen Stadt Hamm (56,3 %) oder im ländlichen Hochsauerlandkres (40,7 %). Und in etwa auf dem Niveau anderer Ruhrgebiets-Großstädte wie Bochum (66,9 %) oder Dortmund (69,2 %). Aber niedriger als im reichen Düsseldorf (73,7 %)
Die Leerstandsquote: 7 Prozent der Hagener Wohnungen stehen leer. Das ist ein deutlich höherer Wert als in Hamm (3,9 %), dem HSK (4,8 %), Bochum (3,7 %), Dortmund (3,9 %) oder Düsseldorf (2,9 %).
Politik sieht genug Wohnraum in allen Preisklassen
Stoßen die Mieter in Hagens Politik auf kein Interesse? Spielt Wohnen keine Rolle? Das sagen die Ratsfraktionen:
Das Wohnungsangebot in Hagen ist im Gegensatz zu größeren Städten im Umland wesentlich größer als die Nachfrage. So haben Mieter speziell in Hagen Vorteile bei der Wohnungssuche und den Mietkosten. Die beste Lobby ist eine städtische Wohnungsbaugesellschaft, die wir pflegen.“
Mark Krippner, SPD
Hagen hat ein mehr als ausreichendes Angebot an Wohnungen in allen Preisklassen. Wer in Hagen eine günstige zentrumsnahe Bleibe sucht, wird sie finden. Die Stadt sorgt mit der HGW für eine attraktive Wohnungswirtschaft. Und die CDU bemüht sich seit Jahrzehnten, ausreichend Flächen für Wohnbebauung auszuweisen.“
Woffgang Röspel, CDU
Es ist wahr, dass explizit das Thema Wohnen in der Kommunalpolitik keine große Rolle spielt. Aber es gibt angesichts des entspannten Wohnungsmarktes auch keine großen Probleme. Wer ein Anliegen hat, findet bei der Linken aber ein offenes Ohr.
Ingo Hentschel, Linke
Im Vergleich zu vielen Großstädten im Ruhrgebiet ist die Wohnungssituation in Hagen heute noch gut. Aber acht Prozent Leerstand sind besorgniserregend. Deshalb: Keine weiteren Erschließungen auf der ‘grünen Wiese’, stattdessen Aufwertung des Bestandes an Mehrfamilienhäusern.“
Hans-Georg Panzer, Grüne
Hagen verfügt im Bestand über einen entspannten Wohnungsmarkt. Allerdings müssen benachteiligte Gebiete durch Modernisierung, Verbesserung des Wohnumfelds und Rückbau stabilisiert und aufgewertet werden. Wir sind für eine öffentliche Förderung für Investitionen.
Karin Nigbur-Martini, Hagen Aktiv
Natürlich haben Mieter in Hagen eine starke Lobby. Neben dem Mieterverein können sie sich an die Wohnungsgesellschaften oder die Politik wenden – auch an die FDP-. Der Hagener Wohnungsmarkt ist sehr entspannt. Es gibt genügend guten Wohnraum in allen Preisklassen und zentraler Lage. “
Claus Thielmann, FDP
Mieterschutz wäre eine Senkung der Grundsteuer.“
Michael Eiche, AFD
Das Mietniveau: Das Mietniveau ist relativ günstig. Als Richtschnur: Für den Quadratmeter müssen je nach Alter der Immobilie und der Wohnlage zwischen 3,90 und 8,60 Euro laut Hagener Mietspiegel bezahlt werden. Individuelle Faktoren können aber noch niedrigere oder auch höhere Preise auslösen. Die 8,60 Euro sind aber eher eine Rarität. Das ist durchaus auf einem Niveau mit Hamm (4,10 bis 7,90 Euro), Dortmund (3,58 bis 8,18 Euro), Wetter/Herdecke (3,70 bis 7,45 Euro) sowie Gevelsberg/Ennepetal und Breckerfeld (3,90 bis 8,20 Euro). Hagen ist aber viel günstiger als Düsseldorf mit von 4,85 bis 10,50 Euro.
Stadt Hagen hat kein umfassendes Wohnkonzept
Das Fazit: In Hagen gibt es also viele Mietwohnungen. Die hohe Leerstandsquote sorgt dafür, dass es generell mehr als genug Wohnraum gibt und damit der Mieter Auswahl hat. Er ist sogar ein „begehrtes Gut“. Durch den Überhang an Wohnraum sind innerhalb der Quadratmeterpreis-Spanne eher die günstigen Werte Standard.
Klaus Dietrich vom Mieterverein sieht diese Vorteile auch: „Hagen ist tatsächlich eine generell preiswerte Stadt.“ Aber er schränkt ein: „Das heißt noch lange nicht, dass alles gut ist.“ Aber warum? „Weil gutes Wohnen mehr ist. Es gehört nicht nur der Mietpreis dazu, sondern auch ein gutes Umfeld mit Nahversorgung, guter Verkehrs- und Busanbindung.“
Doch ein umfassendes Wohnkonzept habe die Hagener Kommunalpolitik in den vergangenen Jahren nicht auf den Weg gebracht, sagt Mieter-Funktionär Dietrich, der selbst schon für die Grünen und später für die CDU kommunalpolitisch aktiv war. Dazu gehöre an erster Stelle ein neuer Flächennutzungsplan, der festlege, wo in Zukunft Wohnen stattfinden solle und wo nicht: „Da könnten zum Beispiel Flächen entlang der B7 rausgenommen werden.“ Um sich stattdessen auf den Wohnwert anderen Gebiete zu konzentrieren.
Schwer zu organisieren
Mut und Weitsicht vermisst Klaus Dietrich. Er ist aber auch skeptisch, dass sich Mieter zusammenschließen, um tatsächlich gemeinsam ihre Macht zu demonstrieren und ihre Interessen zu artikulieren: „Mieter wohnen oft nicht so lange in einer Wohnung, dass sie sich tatsächlich verbünden.“ Im Mieterverein selbst sind auch „nur“ rund 6500 Mieter Mitglied. Klaus Dietrich bietet seinen Verein dennoch als Schützenhilfe an: „Wenn sich Initiativen von Mietern bilden, dann können wir diese unterstützen.“