Iserlohn/Hagen. Das Internet der Dinge: Die Fachhochschule Südwestfalen startet an drei Standorten eine öffentliche Ringvorlesung für Unternehmen und Studenten.

Der Begriff selbst geistert seit 2011 durchs Land, die Bundesregierung hat ihn 2012 zum Zukunftsbild erklärt und gerade auf der CeBit eine neue Plattform aus der Taufe gehoben: „Industrie 4.0“ ist das ganz große neue Ding. Und das soll jetzt aus den staatlichen Forschungsinstituten und Entwicklungsabteilungen der Großunternehmen in den Mittelstand vordringen.

Diesem Zweck dient auch eine Ringvorlesung der Fachhochschule Südwestfalen in Kooperation mit der Südwestfälischen Industrie- und Handelskammer zu Hagen (SIHK) und dem Märkischen Arbeitgeberverband. Denn die insgesamt 15 Veranstaltungen in Iserlohn, Hagen und Soest wenden sich nicht nur an Studenten, sondern auch an Unternehmer, Geschäftsführer, Betriebsleiter und Entwickler.

Förderung vom Bund

Auf die Beine gestellt hat das Projekt der Iserlohner Informatik-Professor Ulrich Lehmann. Und zwar in rekordverdächtiger Eile: „Im Januar habe ich in einem Interview mit Bundesforschungsministerin Wanka gelesen, dass der Bund jetzt in besonderen Fällen auch die Lehre fördern darf“, sagt der Teilnehmer am 2012er IT-Gipfel der Bundesregierung, „und dann haben wir gleich losgelegt“. Gestern Nachmittag der Auftakt in Iserlohn. Einführung ins Thema. Erster Referent: Lehmann selbst.

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Was also soll das denn nun genau sein, das i4.0? „Man kann auch vom Internet der Dinge sprechen“, erklärt der Informatiker, „im Kern geht es um die Integration von Fertigungstechnik, Kommunikationstechnik und Informationstechnik.“ Und die Zahl stehe für die vierte industrielle Revolution.

Auf die erste der Mechanisierung (1784 mechanischer Webstuhl, Dampfkraft), folgte die zweite der Massenfertigung (1870 erstes Fließband in den Schlachthöfen von Cincinnati) und die dritte, elektronische, ab 1970. Und nun die vollständig durch vernetzte Rechner gesteuerte Fertigung: „Maschinen und Produkte werden durch Sensoren, Programmierbarkeit und Kommunikationsfähigkeit intelligent.“

Autonom fahrende Autos

Sie sind es sogar schon, betont Lehmann und nennt als Beispiele den Einparkassistenten in modernen Kfz, Service-Roboter mit Spracherkennung oder autonom fahrende Autos: „Sie finden Antworten auf Fragen, die sie noch nicht gehört haben und lösen Aufgaben weistestgehend selbstständig.“

Und wenn diese intelligenten Maschinen nun direkt miteinander verhandeln, wo bleibt da der Mensch? Ulrich Lehmann sieht da kein Problem. „Wir brauchen viele hoch qualifizierte Leute. Die Lohnsumme wird gewiss nicht sinken.“

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Die SIHK will es genauer wissen. Dirk Hackenberg, Abteilungsleiter Aus- und Weiterbildung: „Wir planen nach den Osterferien eine Umfrage. Da wird es unter anderem darum gehen, welche Veränderungen in der Arbeitswelt die Unternehmen erwarten.“ Und warum wirbt die Kammer für die Ringvorlesung? „Es geht um Standortsicherung und die Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit“, sagt Hackenberg. „Es besteht ein großer Informationsbedarf: Was müssen mittelständische Unternehmen tun, wenn virtuelle und reale Welt zusammenwachsen, wenn selbststeuernde Systeme dezentral, flexibel und individuell reagieren? Auch die Datensicherheit wird ein immer wichtigeres Thema.“

Das sieht Ulrich Lehmann genau so. Das gilt für alle Unternehmen. Was die mittelständischen speziell treffe, sei das Fehlen von Standards. Da müssten die Zulieferer sich nach ihren Abnehmern richten. Internationale oder wenigstens europäische Normen seien wünschenswert. Für ein größeres Problem hält der Iserlohner Professor aber die Grundlagen: „Deutschland belegt in Sachen Internetkenntnisse europaweit den letzten Platz.“ Nur fünf Prozent der Bevölkerung hätten hoch entwickelte Fähigkeiten, hätten etwa schon einmal eine Webseite gebaut. In Island und Lettland zählen 31 Prozent zu dieser Gruppe. Immerhin verfügten 82 Prozent der Privathaushalte über einen Breitbandanschluss - zehn Prozent mehr als der EU-Durchschnitt. Lehmann sieht Deutschland in Sachen „smart factory“ (schlaue Fabrik) vor allem in Konkurrenz zu den USA: „Das wird ein spannendes Rennen. Wir haben gute Chancen.“

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Voraussetzung sei allerdings auch ein Umdenken in der Aus- und Weiterbildung: „Es genügt immer weniger, gute Maschinenbau-Ingenieure oder Elektroniker und Informatiker zu haben; immer wichtiger wird die Fähigkeit, die Zusammenarbeit der verschiedenen Disziplinen zu managen.“ Die Ausbildung der Ingenieure sei heute in Fakultäten gegliedert, die sich am Bedarf der Industrie des vergangenen Jahrhunderts orientiert hätten. „Was im Zuge der immer weiter gehenden Spezialisierung des letzten Jahrhunderts jetzt fehlt, ist die Ausbildung zu einem, der das Ganze versteht.“

Studenten sollten die Möglichkeit haben, sich ihre Studienpläne aus mehreren Fakultäten zusammenzustellen - ein Teil Informatik, ein Teil Maschinenbau, ein Teil Betriebswirtschaft oder Produktionstechnik. Fakultätsübergreifende Forschungsprojekte, die es noch viel zu selten gäbe, könnten dabei helfen. Oder eben Ringvorlesungen.

Weiterbildung ist schneller

Auch die Wirtschaft selbst könnte nach Lehmanns Ansicht einen großen praktischen Beitrag leisten, denn: „So schnell wie in der beruflichen Weiterbildung können entsprechende Veränderungen in den staatlichen Einrichtungen mit Sicherheit nicht umgesetzt werden.“ In der Zusammenarbeit geht es aber schon: „Als die SIHK mit im Boot war, wurde es leichter, die Dekane aus fünf Fachbereichen zu überzeugen, dass Experten aus ihren Bereichen teilnehmen sollten.“