Hagen. . Mehr als 200 Menschen im Hagener Ratssaal lauschten still und konzentriert auf der Gedenkveranstaltung zur Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz vor 70 Jahren.

Es war dieser kleine, ungeplante Moment, der fast stärker als alle Reden wirkte. Eva Feldheim, Mitglied der gastgebenden jüdischen Gemeinde in Hagen, hatte gerade mit ihrem Vortrag begonnen. Mehr als 200 Menschen im Hagener Ratssaal, darunter OB Erik Schulz sowie seine beiden Stellvertreter Dr. Hans-Dieter Fischer und Horst Wisotzki, lauschten still und konzentriert auf der Gedenkveranstaltung zur Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz vor 70 Jahren. Und mitten hinein in diese Stille: ein Knall.

Eva Feldheim stutzte nur kurz, doch ihre Hände griffen fester um ihr Manuskript, die Stimme zitterte leicht. Viele der Besucher sahen sich um. Ein Polizist stand auf und ging zielstrebig zum Ausgang. Und wohl jeder im Saal realisierte für diesen kleinen Moment, dass es möglich sein könnte. Dass ein Anschlag möglich sein könnte. Und verstand vielleicht, warum Juden in Hagen, 70 Jahre nach Auschwitz, sagen, dass sie Angst haben.

Eine knappe Stunde nahmen sich Politiker, Religionsvertreter, Ratsmitglieder und zahlreiche Bürger Zeit, um an die etwa 150 Hagener Juden zu erinnern, die in Auschwitz den Tod fanden. Mit Reden und Gebeten, Zahlen, Geschichte und Musik schlugen die Verantwortlichen einen eindrücklichen Bogen vom Damals ins Heute. Ein nüchterner, umso ergreifenderer Text des Hageners Kurt Ger­stein, vorgetragen von Wolfram Regeniter, erweckte noch einmal die Grauen der Konzentrationslager, in denen eine perfide Tötungsmaschine den Massenmord perfektioniert hatte.

Rassismus entlarven

Dechant Dr. Norbert Bathen sprach stellvertretend für die Christen in Hagen den Juden seine Solidarität aus: „Es gilt, wachsam zu sein. Ihre Wahrnehmungen über das Klima in Deutschland, in Hagen, müssen wir ernst nehmen.“ Und auch Dr. Hans-Dieter Fischer erteilte Ausländerfeindlichkeit und Fremdenhass eine klare Abfuhr: „Wir brauchen ein gesellschaftliches Klima, in dem jede Form von Rassismus und Ausgrenzung entlarvt wird. Es ist nicht hinnehmbar, dass sich Menschen unsicher fühlen in Hagen. Jeder Angriff auf Minderheiten richtet sich gegen uns alle.“ Mit Stolpersteinen, so Fischer, würde in Hagen an die deportierten Juden erinnert.

Jiddische und italienische Musik

Dabei stelle sich angesichts der kollektiven Begeisterung in den 30er Jahren zwangsläufig auch heute jedem irgendwann die Frage: „Wie hätte ich mich wohl verhalten?“

Hagay Feldheim, Vorbeter der jüdischen Gemeinde in Hagen, zu der heute etwa 300 Menschen zählen, trug den Psalm 140 vor und sprach mit den Gästen ein Gebet; die Gruppe „Brutko“ spielte jiddische und italienische Musik.

Sehr guter Besuch als Zeichen der Solidarität gewertet

Dass der Abend für die Vertreter der jüdischen Gemeinde so besonders wurde, lag an der großen Teilnehmerzahl: Für einen Gedenkakt wohl sehr ungewöhnlich, mussten sogar noch zusätzliche Stühle geholt werden.

„Ich bin froh und glücklich, das ist uns sehr wichtig“, wertete Eva Feldheim dies als Zeichen der Solidarität der Hagener.

Eine gute Nachricht brachte schließlich noch besagter Polizist: „Der Knall – das waren nur ein paar Jugendliche mit Feuerwerkskörpern.“ Doch dieser Knall machte deutlich, dass es 70 Jahre danach wieder vorstellbar ist – dass Menschen, weil sie irgendwie anders sind, angegriffen und getötet werden können. Und dass eine solche Gedenkveranstaltung mit unserer Gegenwart zu tun hat.