Hagen. . Sind wir inzwischen so weit, dass sich Juden in Deutschland ausgegrenzt fühlen müssen? „Ja, wir haben Angst“, sagen Hagay Feldheim, Vorsitzender der Jüdischen Gemeinde in Hagen, und seine Frau Eva.

Sind wir inzwischen so weit, dass sich Juden in Deutschland bzw. in Europa ausgegrenzt fühlen müssen? „Ja, wir haben Angst“, sagen Hagay Feldheim, Vorsitzender der Jüdischen Gemeinde in Hagen, und seine Frau Eva: „Wir fühlen uns hier nicht mehr wohl.“

Die Attentate auf die Redaktion des Satire-Magazins Charlie Hebdo und den koscheren Supermarkt in Paris sind für Feldheims nur die offen-hässliche Fratze für einen zunehmenden Antisemitismus, der sich auch in Hagen manifestiere. Das Ehepaar verweist auf die anti-israelische Demonstration am 1. August, als Parolen wie „Kindermörder Israel“ gebrüllt worden seien und die Polizei den Demonstranten dafür auch noch ein Megaphon zur Verfügung gestellt habe. „Was an der Kundgebung so besonders erschütternd war, war vor allem die deutliche Judenfeindlichkeit, die auf ihr offen dokumentiert wurde“, beklagt Eva Feldheim.

Dem jüdischen Ehepaar ist unbehaglich dabei zumute, dass Salafisten regelmäßig in der Innenstadt den Koran verteilen und für ihre Sache werben dürfen. Sie sind schockiert darüber, dass die CDU-Bundestagsabgeordnete Cemile Giousouf eine Abordnung der islamischen Bewegung Milly Görüs, der demokratiefeindliche und antisemitische Tendenzen nachgesagt werden, empfangen und sich für ein gemeinsames Foto – nach Geschlechtern fein getrennt – hat ablichten lassen. In der Öffentlichkeit werde Judenhass mehr und mehr als Selbstverständlichkeit hingenommen, analysiert Eva Feldheim: „Und ich würde mir wünschen, dass in der Mehrheitsgesellschaft ein Bewusstsein dafür entsteht, wie groß dieser Hass inzwischen geworden ist. Diesen Hass, den hatten wir schon mal in Deutschland. . .“

Standards würden aufgeweicht

Noch ist das Vertrauen in den Rechtsstaat ungebrochen. Sie seien davon überzeugt, dass der Staatsschutz verfassungsfeindliche Organisationen überwache und kontrolliere, betonen Hagay und Eva Feldheim. Und als überzeugte Demokraten müssten sie es aushalten können, dass unsinnige oder gefährliche Dinge über Juden verbreitet würden. Aber die ethischen Standards, an denen sich der politische und gesellschaftliche Diskurs jahrzehntelang orientiert hätte, drohten aufgeweicht zu werden. Verletzendes, intolerantes Verhalten würde immer häufiger akzeptiert.

Etwa 200 Juden leben derzeit in Hagen

In Hagen leben nach Schätzungen derzeit etwa 200 jüdische Mitbürger.

Zur jüdischen Gemeinde mit ihren gut 310 Mitgliedern gehört auch das Umland von Hagen.

Die Jüdische Gemeinde wurde Anfang des 18. Jahrhunderts gegründet.

Feldheims sind davon überzeugt, dass es weitere islamistische Anschläge in Europa geben wird. Er habe stets dafür plädiert, das jüdische Kulturzentrum und die Synagoge in der Potthofstraße nicht zur Festung auszubauen, sondern als offenen Ort der Begegnung zu gestalten, sagt Hagay Feldheim, der auch Vorbeter der jüdischen Gemeinde ist. Die fürchterlichen Anschlägen von Paris haben die Situation verändert, in Absprache mit der Polizei sollen die Sicherheitsvorkehrungen nun doch verstärkt werden. Und mit der Kippa auf dem Kopf oder einem anderen Kleidungsstück, das ihn als Jude kennzeichnet, wagt sich der Gelehrte nicht mehr auf die Straße.

Ungute Prozesse im Gange

Ja, die Verlegung von Stolpersteinen zur Erinnerung an von den Nazis ermordete Juden werde öffentlich zelebriert, doch die unbequemen Fragen, die sich in Zusammenhang mit der gegenwärtigen jüdischen Gemeinschaft stellten, würden gern verdrängt, hat Feldheim festgestellt: „Dass wir Juden uns unwohl fühlen, ist vielleicht ein Seismograph für den Zustand der Gesellschaft.“ Die Juden als winzige, sensible Gemeinschaft spürten die unguten Prozesse, die derzeit im Gange seien, zuerst: den Hass, und mit ihm die Angst.