Hagen. . Der Geiger Kolja Blacher führt die Hagener Philharmoniker vom Konzertmeisterpult aus zu Höhenflügen. Das Publikum bejubelt ein außergewöhnliches Konzert.

Der Dirigent ist eine Erfindung der Neuzeit. Als im 19. Jahrhundert die Kunst für das Bürgertum zur Ersatzreligion wurde, fand der neue Maestro mit dem Taktstock Bewunderung und Verehrung wie ein Priester. Als erster Berufsdirigent im heutigen Sinne gilt Felix Mendelssohn-Bartholdy. Aber noch zu den Zeiten des jungen Beethoven ging es lediglich darum, dass der Musiker, der den besten Überblick über die Gesamtpartitur hatte, das Tempo und den Bogenstrich kontrollierte.

In der Oper war das meist vom Cembalo aus der Kapellmeister und im Konzert der Konzertmeister. Als Folge der historisch informierten Aufführungspraxis kommt es heute wieder häufiger vor, dass ein Solist aus dem Orchester heraus führt. Die Hagener Philharmoniker haben hier gute Erfahrungen gemacht, zuletzt mit dem Oboisten Albrecht Mayer.

Erster unter Gleichen

Nun interpretiert der Geiger Kolja Blacher im Sinfoniekonzert Beethoven, Bruch und Bartok vom Konzertmeisterpult aus. Das Klangerlebnis ist so überwältigend, dass das Publikum mit dem Beifall gar nicht mehr aufhören mag. Und die Musiker bedanken sich bei dem langjährigen Konzertmeister der Berliner Philharmoniker sogar mit Blumen für seine Arbeit – auch das sieht man selten.

Kolja Blacher spielt Bartoks Divertimento für Streichorchester und die 1. Sinfonie von Ludwig van Beethoven als Erster unter Gleichen komplett mit. Nur gelegentlich gibt er mit dem Bogen Einsätze. Ansonsten leitet er die Musiker durch seine Mimik – und durch die Kommunikation der gemeinsamen Konzentration. Für die Musiker bedeutet das viel Freiheit, aber auch viel Verantwortung. Doch daraus entsteht ein wunderschönes, durchsichtiges Klangbild, getragen von regelrecht musikantischer Spielfreude und belebt durch einen wunderbar atmenden Puls.

Davon profitiert vor allem die Interpretation von Beethovens „Erster“. Mit fröhlicher Leichtfüßigkeit geht das Orchester die kecken Läufe an, lässt die Motive durch die Stimmen wandern, spielt sich die Themen in köstlichen Dialogen zu. Das wirkt alles so unangestrengt und doch so mitreißend, dass auch die Interpretationsabsicht deutlich hörbar wird: In seiner ersten Sinfonie verbeugt sich Beethoven zwar vor Mozart und Haydn, doch er schlägt neue Zukunftstöne an.

Schlachtross des Repertoires

Bartoks „Divertimento“ hingegen profitiert von der durchsichtigen Präsenz dieser Führung. Die kontrapunktischen Elemente sowie die volkstanzartigen Rhythmen kommen auf den Punkt und präzise, und die Streicher agieren mit seltener Sauberkeit und Akkuratesse.

Max Bruchs Violinkonzert gilt als unverwüstliches Schlachtross des Repertoires. Und trotzdem hört man sich nicht satt an dieser Musik. Kolja Blacher spielt das Werk mit kostbar leuchtendem Ton auf seiner Stradivari. Dieser Strich ist klar und rund, berückend schön und enthält trotzdem jene dunkle Magie, die dem Publikum klar macht, dass hier ein herausragender Solist sich mit tiefem Ernst einem großen Kunstwerk nähert. So entsteht Romantik im Sinne des Wortes, ohne Sentimentalität, aber voller Sehnsucht und Geheimnis. Zu den ergreifenden Momenten gehört der langsame Satz, eine Kantilene, die sich zum innigen Gebet steigert.

Orchester und Solist sind in wunderbarem Dialog, die Übergänge und Spannungsbögen entwickeln sich ganz fließend und organisch, und die Philharmoniker singen an allen Pulten aus tiefstem Herzen mit der Geige mit.