Gevelsberg/Schwelm/Hagen. SPD Gevelsberg will Timo Schisanowski für Bundestagswahl unterstützen. Hat der Vorstand vorher die Mitglieder gar nicht dazu befragt?
Recht unmittelbar nach der Veröffentlichung begannen der Whatsapp-Verkehr und die Anrufe bei den Gevelsberger Genossen. Die Verwunderung bei vielen SPD-Mitgliedern - darunter auch welche mit Posten innerhalb der Partei und mit Ratsmandaten - war enorm, als sie lasen, dass die Gevelsberger Sozialdemokraten sich dazu entschieden haben, mit dem aktuellen Abgeordneten Timo Schisanowski erneut in den Bundestagswahlkampf zu gehen. Denn an dieser Entscheidung, so teilen sie mit, seien sie nicht beteiligt gewesen. „Das ist in den einzelnen Ortsvereinen mehrfach besprochen worden“, sagen Stadtverbandsvorsitzender Daniel Berenbruch und Timo Schisanowski hingegen unisono im Gespräch mit der Redaktion. Hat der Stadtverband bei einer derart gewichtigen Entscheidung seine Mitglieder außen vor gelassen oder nicht? Eine Spurensuche.
Basisdemokratie ist in der SPD theoretisch ein sehr hohes Gut, denn die Delegierten entscheiden normalerweise darüber, wer für sie als Kandidat in den Bundestagswahlkampf zieht. Dieses Prozedere folgt für den heimischen Wahlkreis, der die Städte Hagen, Gevelsberg, Ennepetal, Schwelm und Beckerfeld umfasst, ohnehin schon der stillschweigenden Vereinbarung, dass sich sämtliche Delegierte im Rahmen der Aufstellungsversammlungen zur Bundestagswahl lediglich unter Hagener Kandidaten entscheiden dürfen, für die Landtagswahl unter Gevelsbergern. Basis für diese Demokratie ist ausschließlich die Größe der Stadtverbände: Hagen ist der größte, Gevelsberg folgt auf Platz zwei, der Rest darf die Hand heben, aber in der gelebten Praxis keine Kandidaten ins Rennen schicken.
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In diesem Ablauf ist Timo Schisanowski zur Bundestagswahl 2021 angetreten, um seinen Hagener SPD-Kollegen René Röspel, der bereits seit 1998 den Wahlkreis in Berlin vertreten hatte, aus dem Bundestag zu kegeln. Erfolgreich, denn am Ende war er vor allem gegen den Widerstand der Jusos erfolgreich in seinem Werben um Stimmen in den jeweiligen Ortsverbänden. Im Rahmen der Delegiertenversammlung traten Röspel und Schisanowski in eine Kampfabstimmung, aus der der Vorsitzende des SPD-Stadtverbands Hagen als Sieger hervortrat.
Zur Wahl 2025 scheint sich der aktuelle Amtsinhaber Timo Schisanowski frühzeitig abzusichern, dass mit ihm nicht das gleiche geschieht wie mit seinem Vorgänger Röspel, der sich selbst noch nicht am Ende seiner beruflichen Laufbahn wähnte, als die Sozialdemokraten ihn fallen ließen. Denn: Auch wenn die eigentliche Aufstellungsversammlung erst am Samstag, 29. Juni, im Haus Ennepetal stattfindet, hat die SPD Gevelsberg mitgeteilt, Timo Schisanowski bereits in Absprache mit allen Gevelsberger Ortsverbänden nominiert zu haben.
SPD-Mitglieder wissen von nichts
So steht es in einer Pressemitteilung, die der Gevelsberger SPD-Stadtverband am 22. Mai verschickte. „Die SPD Gevelsberg will mit dem amtierenden Bundestagsabgeordneten Timo Schisanowski in den Bundestagswahlkampf 2025 ziehen. Hierfür fasste der Stadtverbandsvorstand der Gevelsberger SPD jetzt ein einstimmiges Votum in Absprache mit allen fünf Ortsvereinen, wie deren Stadtverbandsvorsitzender Daniel Berenbruch offiziell mitteilt“, beginnt der Text. Das sorgte bei vielen Genossinnen und Genossen aus Gevelsberg für Verwunderung. Zum einen überraschte sie der Zeitpunkt der Publikation, mitten in der heißen Phase des Europawahlkampfs den Bundestagskandidaten in den Fokus zu rücken. Andererseits steht ebenfalls im Herbst 2025 die nächste Kommunalwahl an, zu der die SPD noch nicht den symbolischen Schulterschluss zur weiteren Unterstützung von Bürgermeister Claus Jacobi vollzogen hat.
Der nächste Punkt: Entgegen der Mitteilung, die Ortsvereine seien samt und sonders informiert, scheint dies nicht bei allen Mitgliedern angekommen zu sein, die sich zudem fragen, ob dies nun schon die Kandidatenaufstellung vorwegnimmt. Nachfrage beim Stadtverbandsvorsitzenden Daniel Berenbruch. „Das, was wir dort getan haben, ist eine reine Willenserklärung, weil wir mit der Arbeit von Timo Schisanowski sehr zufrieden sind. Das soll ein Signal des Stadtverbands für die folgende formale Aufstellung sein.“ Er habe, so betont Daniel Berenbruch von den Vorsitzenden der fünf Gevelsberger Ortsvereine Gevelsberg, Vogelsang, Silschede, Asbeck und Berge mit ihren etwa 350 Mitgliedern, die Rückmeldung erhalten, dass die Ortsvereine eine erneute Kandidatur Schisanowskis unterstützen. „Meines Wissens sind alle Mitglieder darüber informiert worden.“
Das betont auch Timo Schisanowski: „So weit ich weiß, ist das Thema mehrfach in den Ortsvereinen besprochen worden“, sagt er im Gespräch mit der Redaktion. Dem widersprechen SPD-Mitglieder, die betonen, dass diese Personalie nicht unter den Mitgliedern in den Ortsvereinen und auch nicht außerhalb der Vorstandsebene im Stadtverband - dazu gehören sämtliche Ortsvereinsvorsitzenden - diskutiert worden ist. Weiterhin verwundert, dass ausgerechnet die Gevelsberger und nicht die Sozialdemokraten aus Schisanowskis Heimatstadt Hagen dem Parlamentarier als erstes den Rücken stärken. Timo Schisanowski, der gleichzeitig Vorsitzender des SPD-Unterbezirks in Hagen ist, betont hingegen: „Diese Entscheidung, mit mir erneut in den Wahlkampf zu gehen, ist natürlich zuerst in Hagen gefallen.“ Zumindest öffentlich gemacht haben es die Hagener Genossinnen und Genossen allerdings nicht - weder online noch per Pressemitteilung.
CDU und Co. haben noch keine Kandidaten
So sieht alles danach aus, dass Timo Schisanowski am 29. Juni erneut von der SPD in den Kampf um den Wahlkreis Hagen/Ennepe-Ruhr-Kreis I geschickt wird. Der hat in einer aufreibenden Zeit seine ersten Jahre in der Regierungsfraktion verbracht. „Wenn ich die Parteibrille einmal absetze, dann muss ich sagen, dass wir als Ampel viel Gutes getan haben, aber unsere Außendarstellung mindestens suboptimal ist. Das bekomme ich natürlich auch im Wahlkreis deutlich zu hören.“ Die zweite Hälfte der Corona-Pandemie, der Ukraine-Krieg, die Inflation - „bei so vielen Krisen wird es in unserer Dreierkonstellation schon schwierig, schnell klare Lösungen zu finden“, sagt Timo Schisanowski, der aller Wahrscheinlichkeit nach Ende Juni offiziell von der Partei ins Rennen geschickt wird. Spannend wird sicherlich sein, ob auch alle Delegierten der Gevelsberger Ortsverbände nach dem aktuellen Unmut für ihn votieren.
Die SPD wird damit diesmal die erste Partei sein, die sich personell für die Wahlkreise Hagen und Ennepe-Ruhr-Kreis aufstellt, denn am gleichen Tag soll in Witten auch der Kandidat für den Nordkreis - Amtsinhaber Axel Echeverria - erneut auf den Kandidatenschild gehoben werden. Die anderen Parteien haben bislang öffentlich noch keine Termine für diese Personalentscheidungen mitgeteilt.
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