Gevelsberg. Sein Anbieter liefert keinen Strom mehr, die AVU springt ein. Ein Gevelsberger weiß davon nichts. Jetzt gibt es Streit um die Rechnung.
Es ist ein kurioser Streit um eine Stromrechnung für einen eigentlich nur kurzen Zeitraum. 391,40 Euro stellt der Energieversorger AVU Florian Roth aus Gevelsberg für 515 Kilowattstunden (kWh) in Rechnung, der Preis beträgt 76 Cent pro kWh. Die Energie soll er im Zeitraum vom 14. September 2022 bis zum 31. Oktober 2022 verbraucht haben. Zu dieser Zeit lebte Florian Roth in einer Wohnung in Ennepetal-Rüggeberg. Im November 2022 zog er nach Gevelsberg.
Das Problem: Roth wusste damals laut eigener Aussage gar nicht, dass er von der AVU Strom bezieht. Eigentlich war sein Versorger die Jura Power GmbH & Co. KG. Die hatte aber Ende 2022 Stromlieferungen an ihre Kunden eingestellt, wie die Verbraucherzentrale berichtet. Im November 2023 reichte das Unternehmen demnach einen Insolvenzantrag ein. Dass er keinen Jura-Strom mehr bezieht, sei Florian Roth nicht mitgeteilt worden, wie er sagt. Er habe sogar noch weiter Abschläge an das Unternehmen gezahlt. Geld, von dem er ausgeht, es nicht wiederzubekommen. Es geht um eine vierstellige Summe.
Dass die AVU für Jura Power ersatzweise die Stromversorgung übernimmt, habe er erst später durch die Rechnung der AVU erfahren. Den Preis pro kWh hält er dabei für völlig überzogen. Florian Roth fühlt sich abgezockt. „Man hat mich ins offene Messer laufen lassen“, meint der Gevelsberger. Die AVU verweist bei ihrem Vorgehen auf gesetzliche Vorgaben – Stichwort Ersatzversorgung – und darauf, dass die Information über die Einstellung der Stromlieferung in erster Linie der Jura Power oblag. Der Fall lag zuletzt bei der Schlichtungsstelle Energie in Berlin. Zu einer Einigung kam es dort nicht.
Schlichtungsvorschlag abgelehnt
Die Beschwerde bei der Schlichtungsstelle hat Florian Roth eingereicht. Darin schreibt er: „Ich möchte einen fairen Preis für diese Rechnung bezahlen. Ich hatte niemals eine Chance, mich um einen vernünftigen Tarif zu bemühen. Daher zahle ich maximal 40 Cent /kwh.“ Roth spricht hier von einem durchschnittlichen Preis, den er aus Vergleichen mit anderen Stromanbietern zum genannten Zeitraum heraus ermittelt habe.
Die Schlichtungsstelle Energie erklärt dazu: „Hätte der Beschwerdeführer durch rechtzeitige Information in einen Tarif mit einem Arbeitspreis von durchschnittlich 40,00 ct/kWh gewechselt, hätte er brutto für 515 kWh nicht 391,4 EUR gezahlt, sondern lediglich 206 EUR und somit 185,6 EUR gespart.“
Lesen Sie auch:
Gevelsberg: Attacke auf Behindertenwohnheim der AWo
Straßenausbaubeiträge abgeschafft: Wer trotzdem zahlen muss
Ennepetal: 63 Wohnungen auf ehemaligem Fabrikgelände geplant
Im Sinne des Schlichtungsgedankens und vor dem Hintergrund der verspäteten Belieferungsinformation sollte laut Schlichtungsstelle zumindest ein hälftiger Betrag in Höhe von 92,8 EUR gutgeschrieben werden. „Der Beschwerdeführer (Anm. d. Red.: Florian Roth) zahlt den ausstehenden Forderungsbetrag innerhalb von zwei Wochen nach beiderseitiger Einigung und Beendigung dieses Verfahrens. Auf weitere Verzugskosten verzichtet die Beschwerdegegnerin (Anm. d. Red.: AVU)“, heißt es weiter im finalen Vorschlag zur Einigung. Beide Seiten lehnen das ab. Die Schlichtungsstelle beendet das Verfahren schließlich ohne Ergebnis.
Keine Information wegen Fehler
Im Zuge des Verfahrens hatte die AVU erklärt, dass Ersatzversorger grundsätzlich verpflichtet seien, möglichst schnell eine Vertragsbestätigung zu übersenden. Dass das im Fall von Florian Roth nicht geschehen ist, führt das Unternehmen aus Gevelsberg auf systematische Fehler zurück. Roth selbst ist bereit, in dieser Sache vor Gericht zu ziehen.
Auch Frank Reiber, Leiter des Vorstandsbüros der AVU, geht von einer gerichtlichen Auseinandersetzung aus. „Das Schlichtungsverfahren selbst hat über ein Jahr in Anspruch genommen, am Ende haben beide Seiten den Schlichtungsvorschlag nicht angenommen“, erklärt er auf Nachfrage der Redaktion. „Die Folge ist, dass die Rechtmäßigkeit unseres Zahlungsanspruches vor den ordentlichen Gerichten überprüft werden dürfte.“
+++ Nichts mehr verpassen: Bestellen Sie hier unseren Newsletter aus Ennepetal, Gevelsberg und Schwelm +++
Weiter erklärt er: „Primär hätte der Vorlieferant Herrn Roth informieren müssen, dass er in die Grund- oder Ersatzversorgung des lokalen Versorgers fällt. Idealerweise wären wir anschließend mit einer Vertragsbestätigung schneller gewesen. Diese ist aber kein Wirksamkeitserfordernis für die Grund- oder Ersatzversorgung, da ein gesetzliches Schuldverhältnis entsteht.“ Obwohl der Fall der Ersatzversorgung vorgelegen habe, habe die AVU Florian Roth den günstigeren Grundversorgungspreis berechnet und – aus eigener Sicht – bereits Kulanz gezeigt.
Plötzlich starker Kundenzuwachs
Frank Reiber blickt zur Einordnung in das Jahr 2022 zurück. Da seien die Grund- und Ersatzversorger in die Situation gekommen, unerwartet erheblichen Kundenzuwachs zu erhalten, weil sich Lieferanten aus dem Markt zurückzogen – eine Folge des Ukraine-Krieges, der absurde Preisexplosionen zur Folge hatte. „Ganz kurzzeitig lag der Börsenpreis für eine Kilowattstunde Strom sogar bei über einem Euro“, so der Leiter des AVU-Vorstandsbüros. Einige Energieversorger seien offenbar wegen äußerst kurzfristigen Beschaffungsstrategien in Liquiditätsschwierigkeiten gekommen.
Stichwort Ersatzversorgung
Zur Ersatzversorgung erklärt Frank Reiber, Leiter des Vorstandsbüros der AVU, Folgendes: „Anlässlich der Liberalisierung der Energiemärkte Anfang der 2000er Jahre hatte der Gesetzgeber bereits festgelegt, dass grundsätzlich kein Kunde ins ,bergfreie‘ fallen soll, wenn er keinen Lieferanten hat.“
Werde sich nicht aktiv für ein Angebot eines Lieferanten entschieden und werde trotzdem Energie entnommen, müsse der jeweilige Grundversorger zu den öffentlich bekanntgemachten Grundversorgungskonditionen liefern. „Fällt ein Lieferant weg, etwa durch Insolvenz oder weil dieser den Kunden beim Netzbetreiber einfach ,abmeldet‘, findet bis zu drei Monate eine Ersatzversorgung statt (die wiederum der Grundversorger durchführt)“, so Reiber.
Aus dieser Ersatzversorgung heraus könne der Kunde sich jederzeit einen anderen Lieferanten suchen. Bleibe er untätig, komme er nach drei Monaten in die Grundversorgung.
Der starke Kundenzuwachs habe dazu geführt, dass Energie auf den Kurzfristmärkten zu exorbitanten Konditionen nachbeschafft werden musste, die Ersatzversorgungspreise seien dadurch deutlich angestiegen. Kunden, die in die Grundversorgung gekommen seien, seien in die „Grundversorgung II“ eingestuft worden, so Reiber weiter. Deren Konditionen hätten über denen der „normalen“ Grundversorgung gelegen, weil auch hier die Nachbeschaffungskosten für die zusätzlichen, unerwarteten Kunden betrachtet worden seien.
„Aus unserer Sicht wäre es unlauter gewesen, die ,normalen‘ grundversorgten Kunden die zusätzliche Last mit tragen zu lassen, sodass wir für die neuen grundversorgten Kunden eine ,Grundversorgung 2‘ anboten“, sagt Frank Reiber. „Eine Praxis, derer sich damals viele Grundversorger bedienten und die auch die Landeskartellbehörde mit trug.“
Der Gesetzgeber habe sich allerdings später dazu entschlossen, die Mehrkosten doch über alle grundversorgten Kunden sozialisiert haben zu wollen und dies für die Zukunft ausgeschlossen. Fälle wie der von Florian Roth sind laut Reiber also einige wenige Einzelfälle gewesen, die in dieser Form auch nicht mehr auftreten würden.