Gevelsberg. Der Prozess machte bundesweit Schlagzeilen. Jetzt ist klar: Eine Richterin aus Gevelsberg muss ins Gefängnis. Was das für ihre Zukunft heißt.
Die Hoffnung der 40-jährigen Gevelsbergerin, doch nicht ins Gefängnis zu müssen, hat einen herben Dämpfer erhalten. Zwei Jahre und zehn Monate Haft lautet das zweite Urteil des Hagener Landgerichts, wo das Strafmaß für die kriminelle Richterin nach erfolgreicher Revision vor dem Bundesgerichtshof neu verhandelt wurde. Doch alles deutet darauf hin, dass dieses erneute Urteil immer noch nicht der Schlusspunkt für ein Verfahren ist, das bereits seit fast vier Jahren läuft. Denn der Fall der Gevelsbergerin wird wohl erneut die Karlsruher BGH-Richter beschäftigen.
Die ehemalige Richterin am Amtsgericht in Lüdenscheid war zunächt zu drei Jahren und zehn Monaten Gefängnis verurteilt worden, weil sie in den Jahren von 2016 bis August 2020 zahlreiche Fälle nicht bearbeitet hatte. Zusätzlich hatte sie versucht, ihre Taten durch Lügen und ein gefälschtes Urteil zu vertuschen. Eine Tat wollte sie einem Mitarbeiter der Geschäftsstelle in die Schuhe schieben. Die Folgen für die Opfer der Straf- und Familienrichterin reichten von zu langer U-Haft bis dahin, dass Eltern ihre Kinder zu Unrecht nicht sehen durften.
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Nach dem ersten Urteil im November 2021 legte Verteidiger Torsten Giesecke Revision dagegen beim Bundesgerichtshof ein und war damit erfolgreich. Zwar hatten auch die Bundesrichter keinen Zweifel daran, dass die 40-Jährige die Taten begangen hatte, doch bei einigen Anklagepunkten müsse geprüft werden, ob dort tatsächlich eine aktive Tat vorgelegen hätte oder eine Unterlassung, die strafmildernd zu berücksichtigen sei.
So drehte sich die zweite Runde um die kriminelle Richterin nur noch darum, wie hoch die Strafe nun ausfallen würde. Oberstaatsanwalt Dr. Michael Grunert, der die Anklageschrift für die Staatsanwaltschaft Bochum seinerzeit verfasst hatte, sah in seinem Plädoyer wenig Spielraum, die Zeit in Haft zu verkürzen. Zwar wertete er ihr Geständnis aus dem Prozessauftakt vor zwei Wochen – „Das hätte nicht passieren dürfen. Es ist aber passiert und tut mir sehr leid.“ – als positiv, aber auch als „etwas dünn“. Ebenso hielt er ihr zugute, dass „ein riesiges Damoklesschwert seit der Durchsuchung am 6. Oktober 2020 über ihr schwebt“. Schließlich droht ihr das Ende im juristischen Staatsdienst und sie verliert wohl ihre Pensionsansprüche. Nicht zuletzt liege in ihrem Fall eine besondere Haftempfindlichkeit vor.
Gleichwohl zitierte er den BGH, der von einer Totalverweigerug spricht, die Verfahren abschließen und die Urteile absetzen zu wollen und von einer schweren Missachtung der verfassungsrechtlich geschützten Position des Richteramts. Am Ende forderte er drei Jahre und zwei Monate Haft für die Gevelsbergerin, deren Verteidiger die Sache ganz anders bewertete.
Er plädierte für einen „unbenannten minderschweren Fall.“ Das heißt, dass bei der Rechtsbeugung das Gesetz zwar keinen minderschweren Fall vorsieht, aber gewisse Bedingungen dem Gericht die Möglichkeit geben, die bei einem solchen Fall üblichen strafmildernden Möglichkeiten dennoch auszuschöpfen. Torsten Giesecke argumentierte vor allem mit den Folgen, die ihre Taten ohnehin schon auf ihr Leben haben. Schließlich gehe man auf vier Jahre Verfahrensdauer zu. „Ihr Gesundheitszustand ist seitdem schwer beeinflusst. Sie hat Probleme, sich so aufzustellen, wie es für normal denkende Menschen üblich wäre.“
Kaum berufliche Perspektiven
Ihr berufliches Leben wird sie entsprechend drastisch ändern müssen. Die Rückkehr in den Staatsdienst ist versperrt. Und die Anwaltskammer hat Torsten Giesecke auf Nachfrage bereits mitgeteilt, dass sie mit der Vorstrafe nicht ohne weiteres eine Zulassung erhalten werde. „Sie würde in eine Übergangsphase kommen, in der sie sich bewähren müsste. Sie müsste zeigen, dass sie das Vertrauen in sie zurückgewinnen kann. Das ist ein ganz wesentlicher Punkt für die Zustimmung“, schloss er, bevor er eine „angemessene Freiheitsstrafe zur Bewährung“ forderte.
Doch diesen Wunsch erfüllte ihm die Kammer um den vorsitzenden Richter Jörg Weber-Schmitz nicht. Zwei Jahre und zehn Monate lautet das neue Urteil für die Gevelsbergerin. Die Kammer folgte der Argumentation des BGH und hob die besondere Stellung und Verantwortung der Angeklagten als Richterin hervor. Sie habe im Diensteid geschworen, „das Richteramt getreu dem Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland und getreu dem Gesetz auszuüben, nach bestem Wissen und Gewissen ohne Ansehen der Person zu urteilen und nur der Wahrheit und Gerechtigkeit zu dienen“. Diesen Eid habe sie gebrochen und habe das Vertrauen in die Judikative massiv verletzt.
Nicht zuletzt durch die Anzahl an Taten, den Zeitraum, über den sie sich erstreckten, und den Versuch, ihre Verfehlungen einem Kollegen unterzujubeln, sah er hier keinen minderschweren Fall. „Das war kein Ausrutscher“, sagte Weber-Schmitz, der sich vor seiner Urteilsbegründung noch an die Öffentlichkeit wandte, insbesondere an die Ersteller von Kriminal-Podcasts wie „ZEIT Verbrechen“, die sich mit diesem Fall beschäftigten.
Schelte für vermeintliche Experten
Dort hatten vermeintliche Experten, die nicht einmal im Gerichtssaal gewesen waren, prophezeit, dass das neue Urteil unter zwei Jahren landen würde und die Gevelsbergerin eine Bewährungsstrafe erhalte. „Diese Diskussionen von selbst ernannten Experten finden wir als Kammer sehr befremdlich. Wir hätten gedacht, dass sich Fachkundige an dieser Stelle zurückhalten, denn einzig die Kammer trifft hier eine Entscheidung“, sagte der Richter.
Ist das nun der Schlusspunkt? Wahrscheinlich nicht. Während Oberstaatsanwalt Dr. Michael Grunert sich Rechtsmittel zwar vorbehält, ist es jedoch deutlich wahrscheinlicher, dass die Gevelsbergerin und ihr Verteidiger erneut Revision beim Bundesgerichtshof einlegen. Dann entscheiden die Karlsruher Richter noch einmal, und für die 40-Jährige gibt es zwei Möglichkeiten.
Geben sie das Verfahren erneut zurück, wird zum dritten Mal verhandelt. „Es gab Fälle, die waren drei, vier Mal vor dem BGH“, sagt Torsten Giesecke. Dabei spielt die wachsende Verfahrensdauer der Gevelsbergerin bei ihrer Hoffnung auf Bewährung mit Sicherheit in die Karten.
Bestätigt der BGH nun aber das zweite Hagener Urteil, wird die Frau sich in einer Justizvollzugsanstalt einfinden müssen. Sie wäre mit hoher Wahrscheinlichkeit eine Kandidatin für den offenen Vollzug, allein weil sie als ehemalige Richterin es möglicherweise schwer bei den anderen verurteilten Frauen haben könnte. Doch auch in diesem Fall würde sie zunächst mindestens einige Wochen Vollzeit in Haft verbringen, bevor eine Vollzugskonferenz darüber befindet, wie ein offener Vollzug begonnen und fortgeführt wird.
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