Schwelm. Ein Immobilien-Experte warnt vor den Auswirkungen, die eine geplante Stromtrasse auf Immobilienwerte in Schwelm haben kann.

Verlieren Häuser in der feinsten Schwelmer Wohngegend mehr oder weniger über Nacht fast ihren gesamten Wert? Lösen sich diese Altersvorsorgen und Vermögen quasi in Luft auf, wenn die Firma Amprion ihren Plan ab dem Jahr 2028 in die Tat umsetzt und quer durch Schwelm eine gigantische Hochspannungstrasse baut? Zu diesen Folgen des geplanten Bauvorhabens kommt zumindest der Schwelmer Sachverständige für Bewertungen von Immobilien, Horst Prange.

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Im Auftrag des noch jungen Vereins „Energievernunft Schwelm“, der das Hochspannungsprojekt stoppen will, hat er ein Gutachten erstellt und zu dem Gesamtkomplex, welche Chancen Häuser im Schatten von Hochspannungsleitungen auf dem Markt überhaupt noch haben, aktuell eine Online-Umfrage gestartet, um empirisches Datenmaterial zu dem Themenkomplex zu sammeln.

Das ist geplant: Als notwendiger Teil, um deutsche Strombedarfe auch nach Abschaltung der Atom- und Kohlekraftwerke decken zu können, müssen bundesweit neue Verbindungen geschaffen werden; beispielsweise, weil in Windparks in der Nordsee sehr viel Strom erzeugt wird, die Industrie in Baden-Württemberg hingegen die Bedarfe hat. Dazu benötigt es leistungsstarke Netze, die während der kommenden Jahre massiv ausgebaut werden. Ein Teil davon ist die Leitung, die von Hattingen nach Wuppertal verlaufen und 2033 in Betrieb genommen werden soll.

Vorgeschriebene Abstände sind nicht vorhanden

Dazu will Amprion die bestehende Trasse, die einmal quer durch die Stadt und vor allem durch das hochwertige Wohngebiet zwischen Ochsenkamp und Göckinghof führt, aufrüsten. Bislang führen die Masten 110-Kilovolt-Kabel, die nur selten genutzt werden. Wegen der vergleichsweise niedrigen Spannung geben sie kein Knistern von sich. Die Freileitung besteht seit den 50er Jahren, verläuft an manchen Stellen direkt über Wohnhäusern. Der Gutachter listet zudem auf: „Innerhalb eines Abstandes von 200 m besteht eine Bebauung von Ein- und Zweifamilienhäusern, Mehrfamilienhäusern, Kleingewerbeanlagen, Kindergarten, Seniorenheim, Sportplatzanlagen, Friedhof und Kleingartenanlage.“ Werden solche Trassen neu errichtet, müssen zu solchen Bebauungen eigentlich 400 Meter Abstand gehalten werden. In Schwelm soll aus der kaum genutzten 110-kV-Trasse nun eine riesige 380-kV-Trasse werden.

Die bestehende Trasse soll durch deutlich höhere Masten ersetzt werden, führt quer durch ein Wohngebiet. Betroffen sind zahlreiche Straßen.
Die bestehende Trasse soll durch deutlich höhere Masten ersetzt werden, führt quer durch ein Wohngebiet. Betroffen sind zahlreiche Straßen. © WP | Stefan Scherer

Die Leitungen, die bei der höheren Spannunng deutlich knistern und summen werden, laufen in Schwelm direkt über Gärten. Mit Berufung auf die Bestandstrasse will Amprion hier nun die deutlich größere Anlage errichten. Neben Lärm und gesundheitlichen Risiken für die Menschen, die direkt unter beziehungsweise neben den Leitungen leben, hat Gutachter Horst Prange die Risiken für die Immobilienwerte in Schwelm ermittelt und kommt zu Zahlen, die die Besitzer der Häuser zusammenzucken lassen dürften.

Bereits für die aktuelle Leitung beziffert er einen Abschlag vom Verkehrswert von durchschnittlich zehn Prozent, was sich aus seiner Sicht durch die geplante Anlage deutlich verschlechtern würde. „In den vergangenen Jahren wurde der Abschlag von bis zu zehn Prozent bei weiteren Immobilienverkäufen in der Taubenstraße und im Falkenweg akzeptiert.“ Dies gelte ebenso für Liegenschaften in Linderhausen.

Protest professionell organisiert

Nicht zuletzt, weil der Schutzstreifen in Schwelm nicht gegeben sein wird, ist die Entfernung zu den Leitungen und den Masten entscheidend dafür, welchen Preis eine Immobilie am Markt erzielen kann. „Bei Grundstücken, welche sich im Blickfeld der Leitungen befinden, eine Schattenwirkung von den Hochspannungsmasten zeigen und eine Geräuschentwicklung vorweisen, ist ein Abschlag entsprechend der Entfernung und der Beeinträchtigung vorzunehmen“, teilt der Gutachter mit, für den eine ganz entscheidende Frage dabei ist, ob der Markt die Immobilien überhaupt akzeptiert. Horst Prange hat zur Erhebung empirischer Daten eine Online-Umfrage gestartet, in der das wesentliche Thema ist, ob und für welche Konditionen Menschen Immobilien unter oder neben Hochspannungstrassen erwerben würden. Wer teilnehmen will, kann dies tun unter: www.survio.com/survey/d/X4E5M1F5Y4C7H8W1S.

Schon jetzt steht für ihn fest, dass die Abschläge, mit denen die Hausbesitzer rechnen müssen, entlang der Leitung von zehn bis deutlich über 35 Prozent liegen werden, um dieses Manko des Hauses auszugleichen. Für Liegenschaften, die direkt unter den Leitungen sind, geht er sogar davon aus, dass potenzielle Käufer 80 Prozent weniger zahlen würden als für die gleiche Immobilie, wenn dort keine Leitungen verlaufen würden. Und Horst Prange geht noch weiter: „Bei unbebauten Grundstücken (Bauland) wird ein Verkauf kaum noch möglich sein.“

Zudem rät er denjenigen, die ihre Häuser vor der geplanten Inbetriebnahme der Trasse im Jahr 2033 verkaufen wollen, dazu, die Kaufinteressenten unbedingt auf das Amprion-Vorhaben hinzuweisen. Und: Je höherwertiger die Wohngegend ist, desto höher werde der Abschlag durch die Geräuschkulisse, die Schatten der Masten, die verschandelte Aussicht ausfallen. Das trifft wohl insbesondere auf den Bereich an der Präsidentenstraße zu.

Nicht zuletzt um den massiven Ausbau der Trasse in Schwelm und den Werteverfall von Grundstücken und Immobilien zu verhindern, haben sich zahlreiche Schwelmer zu dem Verein „Energievernunft Schwelm“ zusammengeschlossen. Die Mitglieder forcieren Erdkabel als Alternative zu den Oberlandleitungen mit bis zu 80 Meter hohen Masten. Weitere Infos unter energievernunft-schwelm.de.

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