Schwelm. Seit 25 Jahren ist die aus dem Iran stammende Silvia Avanoosian im Schwelmer Einzelhandel tätig. So wurde sie von der Schneiderin zur Händlerin.

Ihre Liebe für Mode entwickelte Silvia Avanoosian schon als Kind. „Meine liebsten Spielzeuge waren eine kleine Puppe, Stoffreste, Nadel, Schere und Garn“, erzählt die heute 60-Jährige. Ihre Puppe erhielt von ihr laufend neue Outfits, die Stoffreste bekam Avanoosian von ihrer Mutter, die als Schneiderin arbeitete. Es war früh klar, dass auch Silvia Avanoosian einen Beruf ganz im Zeichen der Mode machen wird. In ihrem Geburtsland Iran machte sie sich als Schneiderin einen Namen. Anfang der 90er-Jahre wanderte sie mit ihrer Familie nach Deutschland aus und eröffnete schließlich vor 25 Jahren ein Modegeschäft in Schwelm. Jetzt feiert sie ihr Jubiläum.

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„Ich hatte von Kindesbeinen an ein Modeverständnis“, sagt Silvia Avanoosian, die damals in einem Schuhkarton Stoffe sammelte. „Ich habe auch eine Zeitlang eine Nähschule besucht, aber zu 80 Prozent habe ich mir das selbst beigebracht.“ Mit selbst entworfenen und genähten Outfits für Mädchen wagte Avanoosian mit Anfang 20 den Schritt in die Selbstständigkeit. In Teheran, der iranischen Hauptstadt, stellte sie ihre Kollektion in Bekleidungsgeschäften für Kinder vor. „Ich dachte mir, dass ich ja nichts zu verlieren habe. Und direkt im ersten Geschäft waren die Inhaber so begeistert, dass sie 20 Kleider bei mir bestellten.“

Mit neuen Entwürfen ging sie zum nächsten Geschäft – und erhielt auf Anhieb einen Auftrag über 200 Teile. Ihre Mutter, die ihr nicht so schnell einen solchen Erfolg zugetraut hätte, sei sprachlos gewesen. Um die Ware fertigzustellen, saß die junge Frau bis nachts um 3 Uhr an der Nähmaschine. „Ich hatte rund einen Monat Zeit dafür.“

Im Iran würden die Kinder feiner angezogen als in Deutschland, erzählt Avanoosian. Das schlug sich auch in ihren Kollektionen nieder: Kleine Kostüme im Chanel-Stil, Blusen passend zu Röcken. „Gerade, wenn Besuche oder Feiertage anstehen, werden die Kinder im Iran besonders angezogen.“

Im Keller ihres Elternhauses richtete Avanoosian ihr Atelier ein, belieferte später zehn Bekleidungsgeschäfte mit ihrer Ware und beschäftigte mehrere Mitarbeiterinnen. Ihr Mann Alfred unterstützte sie bei ihrem Vorhaben. Doch als Armenier und gläubige Christen wurde dem Paar die Lage im Iran zu unsicher. Sie entschieden sich, nach Deutschland auszuwandern. Da war Silvia Avanoosian 26 Jahre alt und ihr Sohn zweieinhalb.

Ihre Karriere ließ sie zurück

Die junge Frau, in ihrem Heimatland so erfolgreich, kam ohne ein Wort Deutsch zu sprechen in dieses für sie fremde Land. Mit Mann und Sohn zog sie direkt nach Schwelm. Um mit Menschen in Kontakt zu kommen und Deutsch zu lernen, arbeitete Avanoosian zunächst als Reinigungskraft. Schneiderte nur noch für sich und ihre Kinder. „Als ich besser Deutsch sprechen konnte, habe ich mich in verschiedenen Geschäften als Änderungsschneiderin vorgestellt.“ Schnell erhielt sie Aufträge. „Mit Kinderwagen und großer Tasche bin ich zu den Geschäften gegangen und habe die Sachen abgeholt.“

Schließlich war sie in mehreren Änderungsschneidereien als Aushilfe tätig und erhielt später sogar Aufträge für Maßanfertigungen. „Ich habe zum Beispiel Gala- oder Brautkleider für Kundinnen genäht“, erinnert sich Avanoosian.

Irgendwann ermutigte sie ihr Ehemann, dass es jetzt doch an der Zeit sei, sich selbstständig zu machen. Doch nicht mit einer Änderungsschneiderei, sondern mit Bekleidung für Kinder. „Ich war damals sehr unsicher, auch weil der Geschmack in Deutschland so anders als der im Iran ist. Die Mentalität ist ganz anders, die Mode auch“, beschreibt Avanoosian ihre anfänglichen Zweifel. „Doch mein Mann meinte: ,Du kannst das!‘“

Paar nahm Kredit in Höhe von 30.000 DM auf

Für ihr erstes Geschäft nahm das Paar 1999 einen Kredit in Höhe von 30.000 DM auf. Viel Geld. „Ohne ging es nicht. Dann sind wir zu Messen gefahren und haben Ware geordert.“ Sie habe sich selbst gesagt: „Wenn ich in einem Jahr als Fachgeschäft für Kindermode bekannt werde, dann schaffe ich es als Selbstständige in Deutschland.“

Es klappte, und Avanoosian erweiterte ihr Sortiment später um Mode für Teenager. Mehrere Jahre ging das sehr gut. „Dann haben in Wuppertal die City-Arkaden mit günstigen Modeketten für junge Leute aufgemacht und die Umsätze gingen zurück. Als die Konkurrenz größer wurde, habe ich zu meinem Mann gesagt, dass wir zusätzlich Damenmode mit ins Sortiment nehmen und schauen, was mehr Umsatz bringt.“ Der Verkauf von Damenbekleidung lief sehr gut, also blieb Avanoosian dabei.

Vor sechs Jahren bezog die Schwelmerin mit ihrem Geschäft „Modetreff Silvia“ das jetzige Ladenlokal an der Hauptstraße 57 und führt heute Marken wie Rabe, Via Appia, Gabriella K. oder Haio in den Größen 36 bis 52. „Für Übergrößen gibt es hier im Umkreis keinen anderen Anbieter.“

Ihr Land vor mehr als 30 Jahren zu verlassen, sich an eine andere Kultur und Mentalität anzupassen, sei nicht immer leicht gewesen. Ihr gutes Gespür im Umgang mit Menschen habe ihr in all den Jahren den Kontakt zu ihren Kundinnen erleichtert. „Das hat mir sehr geholfen.“

Deutsch lernen mit Harald Schmidt

Um besser Deutsch zu lernen, nutzte Avanoosian damals einen ungewöhnlichen Weg. „Ich habe jeden Abend die Show mit Harald Schmidt geschaut“, sagt die 60-Jährige und lacht. Mit einem Wörterbuch auf dem Schoß habe sie vor dem Fernseher gesessen und die Wörter nachgeschlagen.

Ob sie stolz sei auf das, was sie in 25 Jahren im Handel in einem anfangs fremden Land erreicht habe? „Ja, ich bin stolz“, sagt sie. „Da bekomme ich direkt Gänsehaut.“ Es sei sehr schwer, selbstständig zu sein. Das Wichtigste sei, dass ein Vertrauensverhältnis zwischen ihr und ihren Kundinnen entstehe und man sich mit Respekt begegne. „Ich berate ehrlich und so habe ich auch meine zwei Mitarbeiterinnen angelernt“, sagt Avanoosian.

Ihren beiden Kindern – in Deutschland bekam das Paar noch eine Tochter – riet sie aber von der Selbstständigkeit ab: „Du hast keine Freizeit, keinen Urlaub, die ganze Zeit muss man fleißig sein.“ Sie selbst liebt es nach wie vor, neue Modetrends und Schnitte zu entdecken. „Die Änderungsschneiderei mache ich aber nicht mehr.“ Mit Arthrose in den Knien gehe das heute nicht mehr so gut.

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