Schwelm. Kein Personal, immer mehr Einsätze, kein Nachwuchs, kein Chef - die Schwelmer Feuerwehr steht vor riesigen Herausforderungen.

Markus Kosch hat einen analytisch-realistischen Blick auf die Schwelmer Feuerwehr: „Bislang haben wir alles irgendwie hinbekommen. Aber wenn sich nicht bald Dinge grundlegend verbessern, fährt das Ding hier gegen die Pumpe. Für die Feuerwehr Schwelm steht die Uhr auf fünf nach zwölf.“ Der stellvertertende Wehrleiter, auf dessen Schultern seit der Langzeiterkrankung des Schwelmer Feuerwehr-Chefs Matthias Jansen vor mehr als einem Jahr die Hauptverantwortung ruht, hat im Rahmen der Jahreshauptversammlung der Feuerwehr Großalarm bei der Politik und der Verwaltung ausgelöst. Denn: Trotz einiger Lichtblicke und positiver Entwicklungen wird es immer schwieriger, die Sicherheit der Schwelmer Bevölkerung zu jedem Zeitpunkt aufrecht zu erhalten. Es fehlen schlicht und einfach die Leute.

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Das Kernproblem: Es gibt in Deutschland keine arbeitslosen Feuerwehrleute, aber unglaublich viele freie Stellen, so dass sich die guten Kräfte aussuchen können, wo sie arbeiten. Allein in der Nachbarstadt Wuppertal soll es bei der Berufsfeuerwehr zeitweise bis zu 90 offene Stellen geben. Nackte Zahlen, die Kosch im Rahmen der Jahreshauptversammlung mitteilte, zeigen, wie groß der Mangel in Schwelm tatsächlich ist: „Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter leisteten im Jahr 2023 insgesamt 13.552 Überstunden. Wenn man bedenkt, dass man etwas mehr als fünf Vollzeitmitarbeitende braucht, um eine Funktion über ein Jahr, also 8.760 Stunden, zu besetzen, wurden also in etwa acht Mannjahre durch Überstunden kompensiert und trotzdem zu mehr als zwei Dritteln der Zeit der Brandschutzbedarfsplan nicht erfüllt und zeitweise Einsatzmittel nicht besetzt.“ Größere Kommunen locken die Feuerwehrleute zudem mit einem anderen Gehaltsgefüge, die Fluktuation in Schwelm und anderen Kleinstädten ist entsprechend groß.

Dazu kommt: Würden nicht ohnehin schon immer wieder ehrenamtliche Kräfte Aufgaben übernehmen und die Unterbesetzung - manchmal sind nur zwei Feuerwehrbeamte im Dienst - kompensieren, sähe es noch düsterer aus als ohnehin schon. Bereits jetzt ist es so, dass die hauptamtliche Wachbesetzung bei kritische Einsätzen, die über Dinge wie „Hilflose Person hinter Tür“ oder „Ölspur“ hinausgehen, so dezimiert ist, dass sie erst auf bis zu drei freiwillige Feuerwehrleute warten müssen, bis sie überhaupt ausrücken dürfen. Diese Freiwilligen müssen allerdings erstmal von zu Hause, ihrem Arbeitsplatz - oder wo sie sich auch immer aufhalten - zur Hauptwache fahren. „Bislang waren die Kostellationen immer günstig, so dass wir unsere vorgegebenen Zeiten überwiegend erreicht haben“, sagt Markus Kosch, macht aber auch deutlich: „Dabei spielt uns in die Karten, dass wir eine so flächenkleine Kommune sind.“

Markus Kosch erhält für seinen riesigen Einsatz die silberne Ehrennadel des Kreisfeuerwehrverbandes durch den Vizepräsidenten des Kreisfeuerwehrverbandes Michael Willms.
Markus Kosch erhält für seinen riesigen Einsatz die silberne Ehrennadel des Kreisfeuerwehrverbandes durch den Vizepräsidenten des Kreisfeuerwehrverbandes Michael Willms. © WP | Stefan Scherer

Dazu kommt, dass im vergangenen Jahr mit 755 Einsätzen zwar nicht ganz die enorme Zahl von 786 aus dem Jahr 2022 erreicht wurde, aber etwa 200 Einsätze mehr anfielen, als noch vor zehn Jahren. Bei der engen Personaldecke eine weitere große Erschwernis, die der stellvertretende Wehrleiter auch an einer Entwicklung festmacht, die sich seit Jahren abzeichnet: Die Menschen wählen immer öfter bei Bagatellen den Notruf. „Das Selbstschutzvermögen der Bevölkerung nimmt rapide ab“, sagt Markus Kosch, dessen Truppe über die 112 sogar schon zu einer verdreckten Dachrinne gerufen wurde, aus der das Wasser tropfte.

Krankenstand ist riesig

All das hinterlässt Spuren auch bei den Feuerwehr-Beamten, die mit enormem Einsatz den Bevölkerungsschutz in Schwelm aufrecht erhalten. „Die extrem hohe Belastung des hauptamtlichen Personals im Wechselschichtdienst führt zu einer hohen Krankenquote, zu schlechter Stimmung, zu Konflikten zwischen Ehren- und Hauptamt, zu Konflikten bei der Abwägung der Wichtigkeit zwischen Brandschutz und Rettungsdienst und zu einer erheblichen Personalfluktuation, ich könnte auch Aderlass sagen“, machte Markus Kosch bei der Jahreshauptversammlung deutlich, wie schwerwiegend die Folgen sind, die die Abwärtsspirale weiter antreiben. Ganz konkret hat dies im Jahr 2023 erstmals sogar dazu geführt, dass die Schwelmer für einen Tag ein Notarzteinsatzfahrzeug abmelden mussten, weil es schlichtweg nicht besetzt werden konnte.

Doch wie lange können die Ehrenamtlichen noch einspringen? „Im ehrenamtlichen Bereich ist es genauso schwer, Personal für die Arbeit bei der Feuerwehr zu gewinnen“, sagt Markus Kosch. Zuletzt haben drei gute Kräfte den Löschzug Winterberg verlassen wegen beruflicher Belastung, Krankheit, Wohnortwechsel. Im Löschzug Stadt herrscht Stagnation, in Linderhausen gab es einen kleinen Zuwachs. Aber: Zum ersten Mal in ihrer Geschichte gibt es freie Plätze in der Jugendfeuerwehr, in die der Nachwuchs bis Kurzem nur über eine Warteliste eintreten konnte.

„Die Lücke, die wir jetzt in der Jugendfeuerwehr haben, setzt sich in drei bis fünf Jahren bei den Erwachsenen fort“, prognostiziert Kosch. Folge: Wenn die Entwicklung in diese Richtung fortschreitet, ist irgendwann die Sicherheit der Bevölkerung nicht mehr auf dem gewohnten Niveau gewährleistet. Schon die Aufgaben, die der Gutachter der Stadt Schwelm im Jahr 2019 ins Hausaufgabenbuch geschrieben hatte, sind nicht erledigt, in diesem Jahr stünde eigentlich die Fortschreibung des Brandschutzsbedarfsplans an. „Weil der Plan aus 2019 personell nicht umgesetzt ist, macht es aus meiner Sicht wenig Sinn, die aktuellen Zahlen für eine Fortschreibung zu nutzen“, sagt Kosch.

Matthias Jansen, Leiter der Feuerwehr Schwelm, ist seit mehr als einem Jahr erkrankt.
Matthias Jansen, Leiter der Feuerwehr Schwelm, ist seit mehr als einem Jahr erkrankt. © WP | Stefan Scherer

Was tun? Die Stadtverwaltung hat das fortschreitende Problem längst erkannt. Vor allem der Beigeordnete Marcus Kauke arbeitet intensiv daran, das Personalproblem anzugehen und die ausgeschriebenen Stellen zu besetzen. Auch um die Arbeit bei der Feuerwehr Schwelm attraktiv zu gestalten, ist eine nagelneue Drehleiter für eine Million Euro angeschafft worden, die Feuerwehrgerätehäuser am Winterberg und in Linderhausen werden ebenso neu gebaut wie die Hauptwache. Dazu kommen neue Ausrüstungsgegenstände, Einsatzkleidung und viele weitere Dinge, die neu beschafft wurden und noch werden sollen. Bürgermeister Stephan Langhard machte auf der Jahreshauptversammlung - auch mit Blick auf die desolate Finanzlage der Stadt Schwelm - die Notwenigkeit dieser Investitionen deutlich: „Wir planen hier keine Lustbarkeiten, sondern wichtige, unausweichliche Projekte für die Entwicklung unserer Stadt.“

Doch trotz allem stecken diejenigen, die sich bei der Feuerwehr der Stadt Schwelm engagieren, den Kopf nicht in den Sand, sondern arbeiten mit Hochdruck an Konzepten, um die Abwärtsspirale zu stoppen. Dazu gehört als eine der ersten personellen Maßnahmen die Ernennung eines neuen stellvertretenden Wehrleiters. „Es sind herausfordernde Zeiten, und um so mehr danke ich Euch allen, dass ihr auch im vergangenen Jahr 365 Tage rund um die Uhr für die Bürgerinnen und Bürger unserer Stadt da ward. Das ist die Besonderheit des Ehrenamts in der Freiwilligen Feuerwehr, das macht es unvergleichbar mit anderen Ehrenämtern“, schloss Markus Kosch. Dem ist nichts hinzuzufügen.

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