Gevelsberg. Drogen, Gewalt, Angst: Das Gebiet vom Nirgena bis zur Haufe in Gevelsberg ist ein einziger Brennpunkt. Die Anwohner fordern Lösungen.
„Ich wohne hier seit 42 Jahren. Es geht nicht nur um Lärm und wildes Parken. Das Viertel ist vernachlässigt, schmutzig und nicht mehr sicher. Ich fühle mich zunehmend unwohl und hilflos“, sagt Wolfgang Steudtner. Er ist einer von vielen Anwohnern, die sich beim ersten Runden Tisch Nirgena/Haufe zu Wort melden. Mehr als 100 Menschen sind der Einladung der Stadt Gevelsberg gefolgt, um gemeinsam die Probleme der Quartiere zu erläutern und Lösungen zu finden.
Zum Hintergrund
Die Initiative für den Runden Tisch wurde durch Anträge der SPD- und CDU-Ratsfraktionen initiiert, die nach einem Spaziergang im vergangenen Sommer einstimmig in einem Ratsbeschluss mündeten. Ziel ist, einen Masterplan zur Bewältigung der Herausforderungen und zur Herausarbeitung der Stärken des Quartiers zu erstellen. Auch die inoffizielle Anfrage wegen der Eröffnung eines möglichen Bordellbetriebs sorgte für große Unruhe, wir berichteten. Der städtische Fachbereichsleiter Björn Remer erklärte dazu nun einige Monate später: „Dies hat uns natürlich alle aufgeschreckt, und wir haben sofort entsprechende Maßnahmen eingeleitet, um dies zu verhindern. Offensichtlich mit Erfolg, denn die anfragende Person hat sich seitdem nicht mehr gemeldet.“
Schmetterlingssaal im Fokus
Gunter Langwieler, Anwohner und Vermieter aus der Hauferstraße, machte den Anfang beim Runden Tisch und verwies auf die „inakzeptable“ Parksituation in der Bahnhofstraße rund um den Schmetterlingssaal. „Besonders sonntags, wenn der Saal für religiöse Veranstaltungen genutzt wird, ist die Straße dicht. Selbst zu Fuß kann man dann dort nicht mehr entlanggehen. Es wird wild geparkt auf dem Bürgersteig, gehupt und überall liegt Müll herum. Keine Chance für die Feuerwehr, wenn es mal brennen sollte. Ich schätze 90 Prozent der Pkw haben ein Hagener Kennzeichen“, berichtete er sichtlich erregt.
Andre Waletzko, Chef des Ordnungsamts, versicherte: „Wir haben den Bereich im Visier und in den letzten Monaten bereits circa 200 kostenpflichtige Verwarnungen verteilt. Künftig wollen wir noch stärker kontrollieren. Wir beginnen noch im Februar mit den Sonntagseinsätzen. Da, wo rechtlich möglich, werden wir auch den Abschleppdienst kommen lassen.“ Große Zustimmung hierzu aus dem Publikum, aber Waletzko musste sich auch Kritik anhören, in der Vergangenheit zu passiv gewesen zu sein. Ein Anwohner beschwerte sich: „Ich habe Sie immer wieder kontaktiert, aber nie eine Antwort erhalten!“
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Auf die Frage nach einem generellen Parkverbot an Sonntagen in der Bahnhofstraße äußerte sich Bürgermeister Claus Jacobi offen: „Das kann man diskutieren, aber die Anwohner müssen das auch mittragen, denn es verknappt die Parkmöglichkeiten natürlich enorm.“ Andere Teilnehmer warnten vor einer solchen Parkverbotsdiskussion, da es heute schon oft genug schwierig sei, einen Stellplatz zu finden. Stattdessen solle man den Veranstalter des Schmetterlingssaals stärker in die Verantwortung nehmen, dass dieser an Veranstaltungstagen mehr Parkplätze auf dem Hinterhof zur Verfügung stelle.
Sauberkeit ein weiteres Problem
Die Sauberkeit der Straßen war ein weiterer Kritikpunkt. Ein Anwohner bemängelte, dass die Kehrmaschine aufgrund des wilden Parkens nicht richtig reinigen könne. Abhilfe schaffen könnte ein temporäres Parkverbot zu bestimmten Zeiten oder eine „manuelle Reinigung“ durch den Straßendienst. So wie aktuell könne es jedenfalls nicht bleiben. Angemahnt wurde zudem eine bessere Barrierefreiheit für behinderte Menschen.
Ein anderer Teilnehmer wies auch auf die aus seiner Sicht problematische Situation in der Mühlenstraße hin. Dort parkten häufig in widerrechtlicher Weise Lkw, was die Verkehrssicherheit gefährde. Eine besorgte Mutter regte eine Geschwindigkeitsmessung auf Höhe des Kindergartens Haufe an, da dort regelmäßig die erlaubte Geschwindigkeit von 30 km/h überschritten werde. Eine ältere Dame machte auf ein vergammeltes Wohnmobil am Ennepebogen aufmerksam, das dort regelmäßig den Wohnmobilstellplatz blockiere.
Rede von Angst, vor die Tür zu gehen
Eine junge Mutter beschrieb die erlebten Veränderungen mit drastischen Worten: „Ich wohne seit 35 Jahren am Nirgena. Es herrscht mittlerweile ein katastrophaler Zustand dort. Ich traue mich nicht mehr vor die Tür, gerade mit meinen zwei Kindern. Leute stehen an der Ecke, lungern herum, belästigen die Passanten. Man fühlt sich einfach nicht mehr wohl.“ (Zwischenrufe: „Es kann nicht sein, dass wir Frauen Angst auf der Straße haben müssen.“). Jacobi dazu: „Wir müssen uns als Stadt mit solchen Problembeschreibungen auseinandersetzen. Wir haben noch keine Patentrezepte, aber wir müssen da ‘ran. Wir müssen auch mal die Polizei und unseren Landrat als Chef der Polizeibehörde einladen beim nächsten Mal, damit wir offen darüber reden können, wie polizeiliches Handeln den Respekt von Ordnungsbehörden verstärken kann. Es ist ein Unterschied, wenn das Ordnungsamt zusammen mit der Polizei agiert. Wir brauchen hier mehr Kooperation.“
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Ein anderer Anwohner ergänzte: „Ich befürchte, dass speziell der Nirgena zunehmend in einen gesetzesfreien Raum abrutscht. Es tauchen Fahrzeuge auf, Lamborghini, teilweise mit ausländischem Kennzeichen und so weiter. Wie können diese zumeist jungen Männer sich das leisten? Warum gehen sie in die Bar/Spielhalle? Was geschieht da? Ich nenne es mal „Raser-/Tunerszene. Mit frisierter Auspuffanlage wie am Nürburgring und lauter Musik mit Bässen, die trotz Doppelverglasung bis ins Wohnzimmer durchdringen.“ Die Respektlosigkeit nehme immer mehr zu.
„Ich wohne seit 50 Jahren hier“, erklärte eine Frau. Auch sie ärgert sich auch über die „Raserei/Poserei auf der Straße. Motor aufheulen lassen, Reifen quietschen. Besonders nachts und am Wochenende. Es ist die Hölle! Wir fühlen uns extrem in unserer Nachtruhe gestört.“ Sie sprach aber noch ein Thema an: „Die Außengastronomie in der Haufe geht die ganze Nacht durch. Da laufen manchmal kleine Kinder allein über die Straßen. Da muss unbedingt etwas gemacht werden.“ Claus Jacobi äußerte sich auch zu diesen Wortbeiträgen deutlich: „Wir müssen die polizeiliche und ordnungsamtsrechtliche Zusammenarbeit vertiefen. Das müssen wir mit polizeilicher Unterstützung angehen.“ (Zwischenruf: „Es muss mehr bestreift werden!“)
Kaputte Treppe Grüntaler Straße
Die kaputte Treppe in der Grüntaler Straße wurde ebenfalls angesprochen. Diese soll innerhalb der nächsten zwei, drei Wochen teilweise wiedereröffnet werden, gefolgt von einer vollständigen Erneuerung im Herbst dieses Jahres. Ein weiteres Thema war die Aufwertung des Haufer Parks. Ein Anwohner, selbst Gärtner, kritisierte den Zustand des Parks und appellierte an die Stadt, diesen kinderfreundlich zu gestalten. „Trotz erheblicher Investitionen verkommt der Park. Hundekot ist überall zu finden“, bemängelte er. Bürgermeister Jacobi stimmte zu „Haufer Park bleibt unter Wert bislang“ und regte an, ein Konzept für eine spielfreundliche Gestaltung zu entwickeln. Die Gastronomie am Ennepebogen wurde ebenfalls thematisiert. Jacobi: „Gastronomie am Ennepebogen bleibt schwierig.“
Neue Willkommenskultur gefordert
Eine andere Perspektive brachte der Wortbeitrag einer Teilnehmerin mit Migrationshintergrund zum Vorschein. „Ich wohne seit acht Jahren in Gevelsberg. Wir müssen eine Balance finden zwischen Integration und der Bereitschaft, auch neue Kulturen kennenzulernen. Die Integrationshilfe, die ich selbst noch vor einigen Jahren kennengelernt habe, ist heute praktisch tot. Zuwanderer leben oft separiert, die Leute fühlen sich allein gelassen. Die Stadt muss offen bleiben“, fordert sie. Der Bürgermeister unterstrich die Bedeutung eines kommunikativen Zugangs für Zuwanderer zur Mehrheitsgesellschaft. Ein besserer Austausch sei nötig.
Fazit und weiteres Vorgehen
Claus Jacobi fasste am Ende des Abends zusammen: „Wir müssen ein Netzwerk aufbauen mit Kümmerern, die auch Zugang zu den verschiedenen Gruppen im Quartier aufbauen und die Menschen im persönlichen Gespräch auf eine Verhaltensänderung verpflichten.“ Er betonte, dass der Runde Tisch einen wichtigen Auftakt darstellt und lobte die offene und konstruktive Gesprächsatmosphäre. Ein erster Zwischenbericht soll bis zur Sommerpause erarbeitet werden. Der gesamte Prozess werde jedoch mehrere Jahre in Anspruch nehmen. „Wir brauchen mehr Repression, ja, aber wir brauchen auch die andere Seite. Bürgerschaftliche Netzwerke, die aktivieren. Die auf unterschiedliche kulturelle Gruppen zugehen und einen Weg finden, um beispielsweise Jugendliche, die sich bislang unangemessen verhalten, wieder einzugliedern“, machte Jacobi deutlich.
Der Runde Tisch soll die Bürger dabei aktiv in den Prozess einbinden. Geplant ist, eine Art „kurzen, heißen Draht“ aus dem Quartier mit der Verwaltung zu etablieren. Verschiedene Bürgergruppen sollen sich um die Themen 1) Sicherheit, Ordnung, Sauberkeit 2) Aktivitäten im Quartier sowie 3) Kinder- und Jugendkonzepte kümmern. Interessierte können ihre Kontaktdaten für die jeweiligen Gruppen hinterlassen, um aktiv an der Gestaltung einer lebenswerten Zukunft für Haufe/Nirgena teilzunehmen. Ein Protokoll der Veranstaltung soll in Kürze auf der Webseite der Stadt veröffentlicht werden.