Schwelm/Gevelsberg/Ennepetal. Die Bezahlkarte für Flüchtlinge soll in Schwelm, Gevelsberg und Ennepetal kommen. Welche Bürgermeister das gut finden und welche skeptisch sind.

Plötzlich ging alles ganz schnell: Nachdem einige Landkreise und Städte in Deutschland die Bezahlkarte für Flüchtlinge eingeführt haben, um Bürokratie zu senken und Überweisungen deutscher Sozialleistungen ins Ausland zu verhindern, fiel Ende vergangener Woche die Entscheidung, dass das bargeldlose System flächendeckend kommen soll.

Verantwortlich dafür, dass die Flüchtlinge ihr Geld – bislang komplett bar – ausgezahlt bekommen, sind die Kommunen. Die wurden einerseits von der Entscheidung an sich ein wenig überrascht, andererseits aber vor allem von der Ankündigung von NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst, dass sie die Einführung komplett selbst zahlen sollen. Die Redaktion hat in Schwelm, Gevelsberg und Ennepetal nachgefragt: Wie stehen die Stadtoberhäupter zu dem geplanten System, wie wollen sie es umsetzen und wie ist die aktuelle Flüchtlingssituation vor Ort überhaupt aktuell?

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„Vorteil der Einführung einer solchen Bezahlkarte wird sein, dass keine Überweisungen von dem auf der Karte befindlichen Guthaben in die Herkunftsländer mehr erfolgen können. Die ausgezahlten Geldleistungen sollen den Lebensunterhalt der geflüchteten Menschen decken und nicht den der in der Heimat verbliebenen Angehörigen“, befürwortet der Gevelsberger Bürgermeister Claus Jacobi die Karte und bekommt volle Rückendeckung von seiner Ennepetaler Amtskollegin Imke Heymann: „Leider ist das bisherige Auszahlungssystem der staatlichen Sozialleistungen stark missbrauchsanfällig und setzt oftmals falsche Anreize. Es war an der Zeit, dass endlich Bewegung in die Einführung der Bezahlkarte kommt und konkrete Schritte eingeleitet werden.“

Das Rupprecht-Haus in der Top-Innenstadt-Lage in Gevelsberg ist seit Jahren Sammelunterkunft für Flüchtlinge.
Das Rupprecht-Haus in der Top-Innenstadt-Lage in Gevelsberg ist seit Jahren Sammelunterkunft für Flüchtlinge. © Schwelm | Max Kölsch

Derzeit sieht es landauf, landab so aus, dass die Auszahlungen – die Höhe der Barleistung beträgt für einen Erwachsenen im Monat 460 Euro und bei Eheleuten pro Person je 410 Euro – meist über einen Barscheck erfolgen, den die Asylbewerber dann bei der Sparkasse an Ennepe und Ruhr beziehungsweise Sparkasse Schwelm-Sprockhövel in Geld eintauschen. Weil nur eine geringe Anzahl dieser Menschen über Bankkonten in Deutschland verfügen, sind die Mitarbeiter der Verwaltung insbesondere an Auszahlungstagen zeitlich stark eingebunden, betont die Stadt Gevelsberg und hofft auf weniger Bürokratie durch die Karte.

Auch hier ist die Auffassung mit der aus Ennepetal nahezu deckungsgleich. Imke Heymann: „Ich erhoffe mir auch, damit unsere Verwaltung durch weniger bürokratischen Aufwand zu entlasten. Grundsätzlich begrüße ich jede Vereinfachung und jegliche Form des Bürokratieabbaus, ob dies mit der Bezahlkarte gelingt, bleibt abzuwarten, zumal – außer der grundsätzlichen politischen Einigung der Bundesländer – noch nicht sehr viel über die konkrete Umsetzung bekannt ist.“

Skepsis, ob die Bezahlkarte überhaupt das Mittel der Wahl ist, herrscht beim Schwelmer Bürgermeister Stephan Langhard, vor allem wegen der Zuständigkeiten, die die Landesregierung aus Düsseldorf in die Rathäuser schiebt: „Die Kommunen in NRW sind durch das Land von der Idee überrascht worden, selbst über die Einführung einer Bezahlkarte entscheiden zu sollen. Auch die damit verbundenen Sach- und Personalkosten sollen die Kommunen tragen.“ Er fragt sich, in welchem Verhältnis dieser Aufwand durch tatsächlich stattfindende Überweisungen in die Herkunftsländer gerechtfertigt ist.

Denn: Erkenntnisse darüber, wie viel Geld aus den kommunalen Sozialleistungen tatsächlich ins Ausland transferiert wird, liegen bei den Stadtverwaltungen nicht vor. Und auch auf die Frage, ob die Städte eine eigene Lösung nach Vorbild einiger Landkreise in Deutschland sowie der Stadt Hannover anstreben oder im Verbund agieren wollen, gibt es noch keine abschließenden Antworten. Während Gevelsberg auf eine landesweite Lösung blickt, geht Ennepetal davon aus, dass zumindest ein „einheitliches System in der Region“ Vorteile bietet. Schwelm will zunächst einmal alle Optionen prüfen.

Die Stadt Ennepetal nutzt das Gebäude der ehemaligen Hauptschule Friedenshöhe als Flüchtlingsunterkunft. Sie bietet Platz für bis zu 250 Menschen. Hier Ulrike Mertes von der Standortleitung des DRK Schwelm an der Essensausgabe.
Die Stadt Ennepetal nutzt das Gebäude der ehemaligen Hauptschule Friedenshöhe als Flüchtlingsunterkunft. Sie bietet Platz für bis zu 250 Menschen. Hier Ulrike Mertes von der Standortleitung des DRK Schwelm an der Essensausgabe. © WP | Hartmut Breyer

Die monatlichen Kosten für die Flüchtlinge sind durchaus unterschiedlich: Schwelm hat im Januar 61.300 Euro ausgezahlt, die Stadt Ennepetal im Schnitt des vergangenen Jahres monatlich etwa 97.000 Euro. Dies sind die reinen Auszahlungen für den Lebensunterhalt. Dazu kommen Wohnung, Energie und die Kosten für die Gesundheitsversorgung, die je nach Krankheit oder Verletzung sehr stark differieren. Die Stadt Gevelsberg hat keine aufsummierten monatlichen Kosten angegeben.

Dies spiegelt sich auch in den Aufnahmequoten wider: Ennepetal erfüllt diese derzeit mit 107 Prozent über, hat noch Kapazitäten für 45 weitere Menschen. Gevelsberg erfüllt seine Quote derzeit zu 89 Prozent und ist noch mit 55 Personen aufnahmepflichtig. In Schwelm ist durch den Erstbezug der Sammelunterkunft in der ehemaligen Kita Sternenzelt ganz aktuell Bewegung in der Sache. Zuvor erfüllte Schwelm die Aufnahmequote mit 96 Prozent und musste 17 weitere Menschen aufnehmen. Wohnungen – vor allem im niedrigen preislichen Bereich – sind in allen Städten mittlerweile absolute Mangelware, auch weil die Kommunen diese anmieten und weiterhin suchen.

Unstreitig hält das Thema vor allem durch die enormen Kosten, die die Asylbewerber in den Stadtkassen verursachen, die Kommunen weiterhin in Atem. Denn: Es sind auch diese Millionen-Summen, die dafür sorgen, dass noch keine der drei Städte einen Haushalt für das laufende Jahr beschlossen hat. Da sorgt die Nachricht von Hendrik Wüst, dass die Städte das Bezahlkarten-System selbst bezahlen sollen, für eine massive weitere Verstimmung. Eine schnelle Entscheidung bei der Bezahlkarte zeichnet sich weder in Schwelm noch in Gevelsberg oder Ennepetal ab.

Gegenwind bekommt der höchste NRW-Politiker als erstes von den Südkreis-Städten aus Ennepetal, wo sich die SPD mit einer klaren Forderung nach Protest gegen den CDU-Mann Wüst und seine Idee, die Städte allein zahlen zu lassen, an Bürgermeisterin Imke Heymann wendet. „Dagegen erwarten wir eine öffentliche Protestnote. Ennepetal sollte sich klar positionieren und könnte dabei dem Geschäftsführer des Städtetags NRW, Helmut Dedy, folgen. Dieser hat ebenfalls die flächendeckende Einführung der Bezahlkarte und die Kostenübernahme seitens des Landes eingefordert“, schreibt Fraktionsvorsitzender Volker Rauleff.

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