Ennepetal. Mit Fensterbeschlägen fing es an. Längst ist ThyssenKrupp Bilstein weltweit für seine Stoßdämpfer bekannt. Nun feiert das Unternehmen Jubiläum.
In Millionen von Fahrzeugen sorgen Stoßdämpfer aus Ennepetal seit Jahrzehnten für die optimale Straßenlage – ob im Alltagsverkehr oder auf der Rennstrecke. Und sogar Gebäude werden durch die Technik besser vor Schäden durch Erdbeben geschützt. In diesem Jahr feiert ThyssenKrupp Bilstein 150-jähriges Bestehen. Bis heute hat das Unternehmen, das in der Automobilbranche einen hervorragenden Ruf genießt, seinen Sitz an der Klutert.
In den 1950er Jahren hatte die Firma August Bilstein, wie sie nach ihrem Gründer hieß, mit der Entwicklung der ersten serienreifen Einrohr-Gasdruck-Stoßdämpfer nach dem De-Carbon-Prinzip (einer Idee des französischen Schwingungsforschers Bourcier de Carbon) den Automobilmarkt erobert. Das besondere daran: Ein Gasdruckpolster gleicht den Volumenunterschied beim Ein- und Ausfahren des Kolbens aus. Als Mercedes Benz die Stoßdämpfer aus Ennepetal ab 1957 in der Serienproduktion einsetzt, beginnt der weltweite Siegeszug der Technik, der bis heute als wesentlicher Beitrag zur aktiven Fahrsicherheit gilt. In den 1960er Jahre begann dann auch Porsche damit, alle neuen Sportwagen-Modelle mit Bilstein-Stoßdämpfern auszustatten, was den Ruf der Marke Bilstein in Deutschland weiter festigte.
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Der Name Bilstein hat sich im Laufe der Zeit dermaßen in der Automobilszene und da insbesondere im sportlichen Bereich eingebrannt, dass das Unternehmen innerhalb des ThyssenKrupp-Konzerns, zu dem es mittlerweile gehört, in gewisser Weise eine Ausnahmestellung hat. Das berichtet der Betriebsratsvorsitzende Binali Ateser mit einem Schmunzeln: „Wir dürfen als einziges Unternehmen bei ThyssenKrupp mit unserem ursprünglichen Namen Bilstein auftreten.“ Gerade im Motorsport seien die „Bilsteiner“ weithin bekannt. Auch als „die Gelben aus Ennepetal“ werde man aufgrund der zum allergrößten Teil gelb lackierten Stoßdämpfer (blau und gelb sind die traditionellen Unternehmensfarben) bezeichnet.
1960 war Bilstein in den Motorsport eingestiegen. Nach ersten Erfolgen von Mercedes mit Stoßdämpfern aus Ennepetal bei einer Rallye wurde das Unternehmen auch Partner von Formel-1-Teams, rüstete Fahrzeuge für 24-Stunden-Rennen und auch die Deutsche Tourenwagen-Meisterschaft aus. Unzählige Male landeten Fahrzeuge, die mit Bilstein-Dämpfern ausgerüstet waren, ganz vorne. Untrennbar verbunden mit dem Aufstieg von Bilstein im Motorsport war der 1995 verstorbene Rennsport- und PR-Chef Hugo Emde. Er galt lange Zeit sogar als einflussreichster und mächtigster Mann im deutschen Automobilsport. Nach Emdes Tod schaltete Bilstein im Motorsport einige Gänge zurück. „Wir verstärken unser Engagement in dem Bereich aber wieder“, betont Binali Ateser. Es gebe eine eigene Motorsportabteilung mit zehn Mitarbeitenden direkt am Nürburgring. Und erst kürzlich kam das „Mercedes-AMG Team Bilstein“ beim 24-Stunden-Rennen auf der legendären Rennstrecke in der Eifel auf Platz drei ins Ziel.
Stoßdämpfer aus dem Hause ThyssenKrupp Bilstein werden von zahlreichen Pkw-Herstellern wie Mercedes, Porsche, Jaguar und Tesla für verschiedene Serien verwendet. „Wir entwickeln hier im Werk 1 an der August-Bilstein-Straße die Dämpfer für die Erstausrüstung“, erklärt Binali Ateser. „In Werk 3 an der Milsper Straße produzieren wir aber vor allem Stoßdämpfer für den Ersatzteilmarkt. Etwa 600.000 Stück werden hier pro Jahr gefertigt.“ Werk 2, das einst an der Gartenstraße beheimatet war, gibt es schon lange nicht mehr. Insgesamt stellt ThyssenKrupp Bilstein weltweit mit 4700 Mitarbeitenden etwa 10 Millionen Stoßdämpfer jährlich her. In Deutschland betreibt ThyssenKrupp Bilstein neben Ennepetal in Mandern (Rheinland-Pfalz) eine weitere Produktionsstätte, das Hans-Bilstein-Werk. Das ist nach dem Sohn des Firmengründers benannt, der einst die entscheidenden Weichen hin zu Autoteilen gestellt hatte.
Das Unternehmen produziert auch Dämpfer für Militärfahrzeuge, für Kehrmaschinen, für Waggons der Bundesbahn oder Kleinstserien für gepanzerte Fahrzeuge, mit denen Staatsoberhäupter herumkutschiert werden. Diese Fahrzeuge sind nämlich besonders schwer und benötigen entsprechend leistungsstarke Stoßdämpfer. Nicht zuletzt stelle man auch Gebäudedämpfer her. „Hauptsächlich für den asiatischen Markt“, erklärt Binali Ateser. Mit diesen unter dem Dach montierten Dämpfern können Schwingungen durch Erdbeben aufgefangen werden und so die Standsicherheit von Gebäuden verbessern.
440 Mitarbeiter beschäftigt das Unternehmen in Ennepetal, jeweils die Hälfte davon in Werk 1 und in Werk 3. „Wir arbeiten von montags bis freitags im Drei-Schicht-Betrieb“, berichtet der Betriebsratsvorsitzende, der 1992/93 als Zeitarbeiter zu Bilstein kam, dann für zwei Jahre wegging, bevor er 1995 wieder in Festanstellung zurückkehrte. Der gelernte Industriemechaniker war unter anderem Schichtführer und arbeitete im Verbesserungswesen. Seit 2012 ist er freigestellter Betriebsrat und seit 2018 Betriebsratsvorsitzender. In Ennepetal gebe es eine enge Verbindung der Belegschaft mit Bilstein. „Bei vielen war schon der Opa und der Vater Bilsteiner oder arbeitet der Sohn hier“, erzählt Ateser. Es ist gar keine Seltenheit, dass hier jemand sein 50-jähriges Arbeitsjubiläum feiern kann.“
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Als das Unternehmen im Jahr 2016 etwa 200 Arbeitsplätze nach Bochum verlagerte, da kamen Sorgen auf, dass das einen weiteren Stellenabbau in Ennepetal nach sich ziehen könnte. Doch das bewahrheitete sich bisher nicht, nach wie vor zählt der Traditionsbetrieb zu den größten Arbeitgebern in Ennepetal. „Nach der Finanzkrise haben wir zwar Arbeitsplätze abgebaut. Aber 2015 hatten wir hier am Standort keinen Platz mehr“, erklärt Binali Ateser. Passende Flächen habe man nicht gefunden, deshalb seien Verwaltungsarbeitsplätze nach Bochum gezogen. Inzwischen habe man diese in die ThyssenKrupp-Zentrale nach Essen verlagert. Aktuell sehe es gut für das Unternehmen aus. „Die Auftragsbücher sind voll“, so der Betriebsratsvorsitzende. Und am hiesigen Standort seien in den vergangenen zwei Jahren noch Investitionen getätigt worden. Dass der Firmensitz in Ennepetal geblieben sei, meint Ateser, dafür habe man mit Erfolg gekämpft. Und so sorgt Bilstein aus Ennepetal auch in Zukunft für die perfekte Straßenlage.
Firmenchef stirbt bei Verkehrsunfall
August Bilstein gründete im Jahr 1873 einen Betrieb für die Herstellung von Fensterbeschlägen. Nur wenige Jahre später kamen Baubeschläge und Schraubzwingen hinzu.
Mit der Übernahme des Betriebs durch August Bilsteins Sohn Hans 1919 begann ein neuer bedeutender Abschnitt in der Firmengeschichte: der Bau eines eigenen Bandeisen-Walzwerkes. 1930 übernahm Bilstein die Berliner Firma Levator, die Wagenheber und Krananlagen herstellte. Kurz darauf beginnt Bilstein, Stoßstangen für Autos herzustellen und wird der erste Lieferant für verchromte Stoßstangen, die bei Serienfahrzeugen eingesetzt werden. 1938 folgt der Kauf der Wiener Firma Rudolf Robitschek, die hydraulische Wagenheber produziert und 1940 begibt sich Hans Bilstein auf ein neues Gebiet, das nach Kriegsende wichtig wird: Schwenk- und Drehkräne zur Instandsetzung von Militärfahrzeugen.
1954 dann legte Bilstein mit der Entwicklung des ersten serienreifen Einrohr-Gasdruck-Stoßdämpfers nach dem De-Carbon-Prinzip den Grundstein für den weltweiten Erfolg des Unternehmens.
Der langjährige Unternehmenslenker Hans Bilstein verunglückte 1970 tödlich, als er auf der Mittelstraße vor dem Firmengebäude von einem Motorrad überfahren wird.
1973 gründete das Ennepetaler Unternehmen die Bilstein Corporation of America in San Diego/Kalifornien und forcierte damit die Internationalisierung. 1988 wurde das Unternehmen an die Hoesch AG verkauft. Diese wiederum wurde 1991 von der Krupp Stahl AG übernommen, die wiederum im Jahr 1999 mit der Thyssen AG fusionierte. Seit 2011 heißt die einstige Firma August Bilstein seit 2011 nun ThyssenKrupp Bilstein GmbH.
Das Firmenjubiläum wurde übrigens weltweit gefeiert. In Ennepetal gab es am 16. September ein großes Fest für die Belegschaft, zu dem auch ehemalige „Bilsteiner“ eingeladen waren.