Ennepetal. Die Landsmannschaften in Ennepetal sind fast alle Geschichte. Auch das Aus für den Bund der Vertriebenen schien besiegelt. Etwas Hoffnung bleibt.
Hat der Bund der Vertriebenen (BdV) in Ennepetal noch eine Zukunft? Eigentlich schien das Ende festzustehen: Bei einem letzten gemeinsamen Essen sollte die Erinnerung an die Zeiten in den verschiedenen Landsmannschaften im Mittelpunkt stehen, für die der BdV als Dachverband agierte. Doch bei dem Treffen kündigten einige Teilnehmer den Versuch an, die Aktivitäten wieder aufzunehmen.
Fast 60 Frauen und Männer waren am Donnerstagabend im Restaurant Weltmann in Voerde versammelt. Die Landsmannschaften der Schlesier, der Pommern, der Ostpreußen – sie alle gibt es inzwischen nicht mehr in Ennepetal. Nur die Siebenbürger Nachbarschaft, die von Katharina Freitag geleitet wird, bietet den in Ennepetal lebenden Menschen aus Siebenbürgen (Rumänien) weiterhin ein Stück Heimat. Doch was macht der Dachverband der Landsmannschaften, der BdV, der viele Jahre in Ennepetal den „Tag der Heimat“ in Zusammenarbeit mit der Stadt und dem Heimatbund durchführte? Es gebe ihn nicht mehr, hieß es im Vorfeld des Treffens.
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Doch erst vor wenigen Wochen haben sich einige (ehemalige) Funktionsträger getroffen, mit dem Ziel, die Arbeit des BdV-Stadtverbands, die aufgrund der Einschränkungen durch die Corona-Pandemie weitestgehend eingeschlafen war, wieder zu beleben. Friedbert Mock, Enepetaler und Vorstandsmitglied auf Kreisebene, schließt die Weiterführung des jährlichen „Tages der Heimat“ in Ennepetal nicht aus, wenn weitere Akteure wie zum Beispiel die Stadt mit dabei seien. In diesem Jahr fiel die Veranstaltung in Ennepetal aus. Das deutschlandweite Motto des Tages lautete: „Krieg und Vertreibung – Geißeln der Menschheit“. Ein überaus aktuelles Thema.
Die jährliche Feierstunde an dem Gedenkstein an der Mittelstraße/Loher Straße in Altenvoerde wird es auch in Zukunft geben. Alfred Spruth, der viele Jahre lang die Landsmannschaft Pommern leitete und auch Zweiter Vorsitzender des Bundes der Vertriebenen in Ennepetal war, wird zusammen mit seinem Sohn Thomas Spruth die Gedenkfeier organisieren. Er kündigte es im Gespräch mit dieser Zeitung an.
Die im Jahre 2016 eingerichtete Heimatstube im Hause des Stadtarchivs in Milspe ist schon seit einiger Zeit geschlossen. Das Inventar und die Archivalien befinden sich jetzt in der von Dr. Hubert Köhler betreuten Stadthistorischen Sammlung.
Wie war das, als nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges die vor den sowjetischen Truppen geflüchteten oder auch aus ihren Städten und Dörfern vertriebenen Menschen zu Tausenden nach Westen flüchteten? 1,5 Millionen sollen es gewesen sein, sagen Historiker. Hunderte kamen in Trecks in Milspe und Voerde an, darunter Familien ohne Väter, weil die im Krieg gefallen waren oder sich noch in Kriegsgefangenschaft befanden. Wohnraum musste her. Oft mussten sich Einheimische ihre Wohnungen mit den Menschen, die alles verloren hatten, teilen. Viele Flüchtlinge wurden in Schulen und Gemeinschaftsunterkünften untergebracht. Nachdem 1949 aus den Gemeinden Milspe und Voerde die Stadt Ennepetal gegründet war, entstanden etliche Wohnhäuser für die Neubürger, später auch Siedlungen wie die in Oberbauer. Die heimische Industrie profitierte von dem Zuzug der Geflüchteten. Arbeitskräfte fehlten nämlich.
Landsmannschaften fehlte der Nachwuchs
Der Bund der Vertriebenen war noch nicht gegründet, da gab es schon Landsmannschaften. Der jetzt 85-jährige Alfred Spruth kam als Kind mit Mutter und Geschwistern an die Ennepe. Er erinnert sich an die Treffen der Landsmannschaft der Pommern im Milsper Gasthof Zur Post. Dort wurden Probleme besprochen, dort wurde aber auch gefeiert. Hier lernte Spruth als junger Mann seine spätere Frau Hannelore kennen. Er erzählte mit einem Lächeln im Gesicht: „Auf dem Nachhauseweg regnete es. Ich bot ihr meinen Schirm an. Am nächsten Tag war ich schon bei ihr zu Hause. Ihre Eltern mochten mich, Hannelore bald ebenso!“ Heute sind sie 64 Jahre verheiratet. Hannelore Spruth kommt aus der Nähe von Kolberg. Alfred Spruth blieb immer der Landsmannschaft Pommern treu und war viele Jahre Vorsitzender.
An den Tischen bei Weltmann wurde sich erinnert: an Paul Fahner und Gerhard Sadlowski, die den Bund der Vertriebenen in Ennepetal jeweils viele Jahre leiteten und beide mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet wurden. Sadlowski war auch Vorsitzender der Ostpreußen. Als er starb übernahm Monika Wakenhut das Amt. Unvergessen ist Hans Hamlischer aus Oberbauer, der Nachbarschaftsvater der Siebenbürger war. Wenn Josef Kaps seine Schlesier zur Versammlung lud, dann war auch Annelies Altenhenne dabei. Oft brachte sie ihr Akkordeon mit und spielte Lieder der Heimat. Doch in den vergangenen Jahren lösten sich die meisten Landsmannschaften auf, weil kaum junge Leute hinzukamen.
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Eingeladen zum Treff bei Weltmann war auch Peter Tillmann. Es war ein Dankeschön, denn Tillmann war bei den „Tagen der Heimat“ mit seinem Chor der Feuerwehr Oberbauer seit Jahren dabei. Gesungen wurde auch beim Abschiedstreff aus dem Liederbuch „Singende Heimat!“ Was noch anklang: Mit den Vertretern der heimischen Politik und der Stadtverwaltung habe man immer sehr gut zusammengearbeitet. Noch etwas Besonderes: Der BdV war mit dem Heimatbund Ennepetal verbandelt und der Milsper Heimatverein trat oft bei den „Tagen der Heimat“ auf.
Rainer Wakenhut hatte das Treffen initiiert, das als ein letztes offizielles Zusammensein zum Aus der Vertriebenenorganisationen in Ennepetal angekündigt war. Er begrüßte unter den Gästen auch den Vorsitzenden der Landsmannschaft Schlesien in Schwelm, Norbert Brosat. Brosat sprach über die Geschichte des Bundes der Vertriebenen auf Bundesebene und fragte: „Was bleibt, wo wir immer weniger werden? Wer erinnert noch an den deutschen Osten?“ Er rief allen Anwesenden zu: „Vergessen sie unsere Heimat nicht!“