Gevelsberg. Warum die Schließung der Liebfrauenkirche in Gevelsberg einigen egal ist, bei anderen aber tiefe Narben hinterlässt.
Wenn Ludger Janning die Liebfrauenkirche betritt, fühlt er sich zu Hause. Das dunkle Holz, das Wärme ausstrahlt, das Gefühl von Vertrautheit. Vor 33 Jahren hat er in der Gemeinde seinen Dienst als Kirchenmusiker begonnen, verbrachte unzählige Stunden in der Kirche, die bald schon keine mehr sein wird. Im kommenden Jahr könnte das 70-jährige Bestehen des Bauwerks an der Hagener Straße gefeiert werden. Dann wird aber nur noch die Hülle zu sehen sein, der markante Turm und das Kirchenschiff, während im Inneren Wohnraum entsteht – und ein Kindergarten.
Letztes Konzert am 23. April
Zum letzten Orgelkonzert vor der Schließung lädt die Gemeinde am Sonntag, 23. April, in die Liebfrauenkirche ein.
Ludger Janning gibt einen Rückblick über die Musik, die seit Einweihung der Konzertorgel im Jahr 1994 mit dem Instrument gespielt worden ist.
Als musikalischer Gast wirkt Sebastian Steffes (Klavier) mit. Der stilistische Bogen des Programms reicht vom Barock bis in die Moderne.
Das Konzert beginnt um 17 Uhr, Einlass ist ab 16.30 Uhr. Es wird für die Veranstaltung kein fester Eintritt erhoben.
Am Sonntag, 23. April, wird der Kirchenmusiker das letzte Orgelkonzert geben. Am 4. Juni wird die Kirche für immer geschlossen.
Im Sommer wird ausgeräumt
Jeder habe seine Art Abschied zu nehmen, sagt Ludger Janning. Er habe viele Fotos gemacht, damit er nie die Details vergisst, die im Laufe der Jahre immer dazu gehörten, so selbstverständlich waren, aber bald verschwunden sein werden. Er sitzt auf der Bank vor der Orgel, gerade hat er noch darauf gespielt. Jetzt ist es ganz leise in der Kirche, die im Sommer komplett leer sein wird, damit der Investor loslegen kann. Er sagt, der Kaufvertrag ist unterschrieben. Wo das Kirchenschiff ist, entstehen Wohnungen und ein neuer Kindergarten. Der alte wird aufgegeben. Ganz wird Liebfrauen jedoch nicht verschwinden. Die Bücherei soll bleiben und in neue Räume ziehen, ebenso wie die Kleiderkammer und die Pilgerwohnung. Es soll auch ein Treffpunkt für die Gemeinde eingerichtet werden.
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Dass die Kirche aufgegeben werden muss, das habe sich schon vor Jahren angekündigt. „Als das Bistum gegründet wurde, hieß es, überall, wo 1500 Menschen zusammenkommen, soll eine Kirche gebaut werden. Doch es wurde nicht darüber nachgedacht, was es kosten wird, diese später zu renovieren“, sagt Ludger Janning. Die Kosten, der Personalmangel, schrumpfende Gemeinden. Die Schließung von Kirchen wurde unausweichlich.
Keimzelle für das Hospiz
Wehmut schwingt mit, so wie bei vielen andere Gemeindemitgliedern auch. Tausende sind hier getauft worden, haben die Kommunion empfangen, heirateten, feierten, die Musik dazu kam von Ludger Janning. „Die Kirche spielte für viele Gevelsbergerinnen und Gevelsberger eine besondere Rolle“, sagt Ludger Janning. Auch für ihn, seit er im Alter von 25 Jahren nach dem Studium in Mainz nach Gevelsberg kam. Er ist in Haßlinghausen aufgewachsen, wollte zu Liebfrauen.
Als er schon hier arbeitete, wurde das Ökumenische Hospiz Emmaus ins Leben gerufen. Das war vor etwa 30 Jahren. Die Kirche ist die Keimzelle für all die Hilfe, die die Familien in schweren Zeiten erfahren durften. Der damalige Pastor Ulrich Bauer war mit Helga Grams einer der Initiatoren. Die Kirche an der Hagener Straße ist auch die Heimat der Schola Liebfrauen, die über die Stadtgrenzen bekannt ist. Der Chor feiert im Herbst 60. Geburtstag und wurde lange Zeit von Paul Zöllner geleitet. Ludger Janning ist seit 26 Jahren Chorleiter und seit die Gemeinden in der Pfarrei St. Marien zusammen gefasst wurden, lässt er auch in anderen Kirchen die Orgel erklingen. Die Gemeinden rücken schon lange Stück für Stück zusammen. Ludger Janning zeigt Verständnis für die Entscheidung, die Kirche aufzugeben, eine Entscheidung für die es keine Alternative gab – wie in so vielen anderen Städten im Land auch. Schön sei, dass Liebfrauen weiter präsent sein wird. „Das ist wichtig für den Stadtteil.“ Was es ebenfalls leichter macht: „Wir werden von St. Engelbert mit offenen Armen empfangen“, sagt Ludger Janning.
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Doch nicht alles aus Liebfrauen wird mit umziehen. Die Bänke, die von 1954 sind, werden verkauft, das große Bild, das am Altar hängt, wird an die Künstlerin zurück gegeben. Der Altar, das Kreuz, der Tabernakel bleiben im Besitz. Was in St. Engelbert auftauchen wird, wird sich noch zeigen. Es gibt viele Überlegungen, wie die Engelbertkirche im Inneren umgestaltet werden könnte, um Raum für Neues zu schaffen.
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Fest steht, dass die Orgel aus Liebfrauen mitkommen soll. Ludger Janning ist froh darüber. Weil sie so viel besser klingt, angenehm zu spielen und dazu trotz ihrer fast 30 Jahre gut in Schuss ist. Und sie steht im Raum und thront nicht auf einer Empore. „Ich mag es mittendrin zu sein“, sagt der Kirchenmusiker, so rückt die Orgel in der Fokus. 35 Orgelpfeifen sind von außen zu sehen, die anderen verbergen sich im Inneren. 1538 sind es insgesamt. Die viel ältere Orgel in St. Engelbert wird bleiben, es ist Platz für beide. Doch jetzt steht am Sonntag, 23. April, die Liebfrauenorgel ein letztes Mal im Mittelpunkt. „Sie wurde am 24. April 1994 eingeweiht, am Sonntag, fast auf den Tag genau 29 Jahre später findet das letzte Konzert statt.“ An der Orgel – damals wie heute – Ludger Janning. So wie damals wird er seine Orgelschuhe anziehen (Straßenschuhe, die womöglich kleine Steinchen in der Sohle haben, sollten lieber nicht auf die Orgelpedalen) und dieses Mal gemeinsam mit Sebastian Steffes musizieren. „Er ist in der Gemeinde groß geworden und arbeite als Musiklehrer im Gymnasium.“ Die Vorbereitungen für den letzten Gottesdienst im Juni laufen ebenfalls „Es soll ein fröhliches Fest werde“, sagt er, keine Trauerfeier. In Erinnerung an all das Schöne, das hier stattfand.
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