Gevelsberg. Ein Gevelsberger ist verzweifelt. Weil seine Eltern Windeln tragen müssen, sind ihre Müllgebühren stark gestiegen. Die Stadt sieht keine Lösung.

Werden inkontinente Menschen und junge Familien, die jeweils auf Windeln angewiesen sind, bei den Abfallgebühren in Gevelsberg benachteiligt? Diese Frage beschäftigt Wilfried Michalczik aus Gevelsberg nun seit einer Weile. Seine Eltern sind mit mehr als 90 Jahren pflegebedürftig, leben dank Unterstützung aber noch in ihrem eigenen Zuhause.

Seit ein paar Jahren gehört die Inkontinenz zum Leben der beiden Senioren. Wegen der Windeln sind die monatlichen Abfallentsorgungskosten für sie drastisch gestiegen. Michalczik sagt klar: „Das liegt an den Wiegekosten und dem Wechsel von der 120-Liter-Tonne auf die 240-Liter-Tonne. Nasse Pampers von erwachsenen Menschen haben ein enormes Gewicht.“ Mit den Wiegekosten meint der 66-Jährige die gewichtsbezogene Gebühr, die die Stadt Gevelsberg – anders als beispielsweise Schwelm oder Ennepetal – zusätzlich zu den Kosten für die Mülltonnen an sich erhebt.

Wilfried Michalczik hat die Summen dokumentiert: 2020 zahlten seine Eltern insgesamt 94 Euro für ihre Restmülltonne und 181 Kilogramm Abfall. Zum Vergleich: 2015 mussten sie noch 73 Euro berappen. Das Jahr 2022 schlug bei ihnen mit insgesamt 312 Euro für Tonne und 502 Kilo Abfall zu Buche. Die größere Tonne kostet sie mittlerweile sogar 93 Euro statt wie zuvor 48. Seine Eltern seien inzwischen auf Windeln in einem Umfang angewiesen, der neben den Einkaufskosten das monatliche Budget der beiden Rentner erheblich belaste, macht sich Wilfried Michalczik Sorgen.

Gevelsberger sieht Benachteiligung

„Ich sehe hier eine ganz klare Benachteiligung ausgerechnet des ,schwachen’ Teils der Bevölkerung“, ärgert sich der Gevelsberger. Das hatte er 2020 auch an Gevelsbergs Bürgermeister Claus Jacobi geschrieben. Denn Wilfried Michalczik findet, dass das Wiegesystem der Stadt den Menschen nicht gerecht wird, die auf Windeln angewiesen sind.

„Alternativ schlage ich die Ausgabe von Plastiktüten vor, die gerne von mir direkt am Bauhof abgegeben werden können“, schrieb Michalczik damals. „Eventuell ist auch eine Verbundlösung von Altenheimen, Pflegediensten und privaten Haushalten denkbar.“

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Ein gutes Beispiel ist für ihn die Stadt Emden in Niedersachsen. Die stellt Babys und Kleinkindern bis zu einem Alter von 36 Monaten zwei Windelsäcke pro Monat zur Verfügung. Inkontinente Emder Bürger dürfen nach Vorlage eines ärztlichen Attests je nach Schweregrad der Erkrankung pro Monat 30 beziehungsweise 80 Kilo Restabfall bei der Abrechnung gebührenfrei entsorgen. Die Stadt Gevelsberg verweist allerdings auf eine nordrhein-westfälische Gesetzgebung.

Arbeitsgruppe findet keine Lösung

„Ich stimme Ihnen absolut zu, dass wir Familien und Senioren die bestmögliche Unterstützung bei der Gestaltung ihrer Lebensverhältnisse zukommen lassen müssen“, hatte Bürgermeister Claus Jacobi Wilfried Michalczik geantwortet. Er bemühe sich daher persönlich – gemeinsam mit Stadtrat und dem zuständigen Fachbereich bei der Stadtverwaltung – intensiv darum, Gevelsberg für Familien und Senioren noch attraktiver zu machen.

Eine kostenlose Entsorgung von Windeln sei wegen einer sehr klaren Satzungs- und Rechtslage aber nicht möglich. Jacobi sicherte Wilfried Michalczik aber zu, noch einmal eine Projektgruppe, die im Rahmen des Projektes „Familiengerechte Kommune“ arbeitet, zu bitten, weitere Lösungen zu suchen.

Die Redaktion wollte nun wissen, ob diese Gruppe mittlerweile zu einem Ergebnis gekommen ist. „Die Arbeitsgruppe ,Familiengerechte Kommune’ hat das Thema seinerzeit mehrfach und in unterschiedlichen Zeiträumen beraten und ist zu dem Schluss gekommen, dass eine Ermäßigung – wenn auch für die Arbeitsgruppe unbefriedigend – an gebührenrechtliche Grenzen stößt und damit nicht durchsetzbar ist“, so die Antwort der Stadt.

Verweis auf zu hohe Kosten

Die Satzungs- und Rechtslage für die Kalkulation, auf die Claus Jacobi sich bezieht ist übrigens das Kommunalabgabengesetz des Landes NRW (KAG NRW), wie die Stadt erklärt. Dem unterliegt die Stadt Emden nicht. „Die Gebühren sind nach dem sogenannten Äquivalenzprinzip zu berechnen“, heißt es dazu. „Das bedeutet einfach gesprochen, dass die Kosten verursachungsgerecht zuzuordnen sind.“

Durch die Verwiegung des Restabfalls mit dem exakten Gewicht des Abfalles werde genau diesem Anspruch Rechnung getragen. „Der Ansatz einer Reduzierung bei einzelnen Betroffenen führt automatisch dazu, dass die restlichen Gebührenzahler über die eigene Verursachung hinaus belastet werden“, so die Stadt weiter. „Diese Berücksichtigung von sozialen und damit gebührenrechtlich sachfremden Aspekten ist unzulässig.“

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Das könne alleine über allgemeine Haushaltsmittel erfolgen. Der Bundesverband Medizintechnologie gehe davon aus, dass circa zehn Prozent der Bevölkerung in Deutschland unter Inkontinenz leiden, Tendenz steigend. Ein kostenloser Windelsack würde somit zu einer erheblichen Mehrbelastung des kommunalen Haushalts führen.

Für Stadt Gevelsberg unzulässig

Es sei unzulässig eine Reduzierung der Abfallgebühren zu gewähren oder zum Beispiel eine kostenlose Windeltonne oder einen kostenlosen Windelsack für Familien mit Kleinkindern, für Familien mit pflegebedürftigen älteren Personen oder für Haushalte mit Inkontinenten Personen, die auf Einwegwindeln angewiesen sind, einzuführen und die Kosten für den Müll oder eine Windeltonne beziehungsweise einen Windelsack über die Abfallgebühren auf alle Abfallgebührenzahler umzulegen.

„Die Unzulässigkeit ergibt sich daraus, dass derjenige, der Müll produziert, zum Beispiel Einwegwindeln benutzt, entsprechend der Abfallmenge auch zu Abfallgebühren herangezogen werden muss“, heißt es aus dem Rathaus. Diese Belastung entspreche auch den rechtlichen Vorgaben des Landes NRW, wonach nur derjenige wirksame Anreize über die Abfallgebühr erhalten soll, der Abfälle vermeidet oder verwertet. Ein Wechsel auf ein anderes System, wie beispielsweise ein System, welchem der Volumenmaßstab zugrunde liege, würde aus Sicht der Stadt Gevelsberg zu demselben Ergebnis führen. „Insofern ist ein Wechsel des Systems nicht als zielführend zu sehen“, so die Erklärung.

Wilfried Michalczik sieht in der Windel-Problematik hingegen ein gesellschaftliches Thema. „Wir sind alle irgendwann potenzielle Windelträger“, sagt Wilfried Michalczik. „Wir waren es als Kind und werden es wieder.“