Ennepetal/Hagen. Früher fuhr er Ferrari, heute bezieht er Hartz IV: Ennepetaler Anwalt mit Kanzlei in Hagen findet gnädige Richter.
Doch noch dem Aufenthalt hinter Gittern entgangen: Ein ehemaliger Anwalt (52), der in Ennepetal lebt, kann aufatmen. Die Berufungskammer des Landgerichts Hagen zeigte sich äußerst gnädig mit ihm. Aus ursprünglich gegen ihn verhängten 18 Monaten Gefängnis (ohne Bewährung) wurden in zweiter Instanz neun Monate Haft – mit Bewährung. Pech jedoch für einen Rentner aus Gevelsberg-Silschede, der von dem Juristen finanziell geschädigt wurde: Er wird wohl nicht mehr an sein Geld kommen.
Das milde Urteil trifft den inzwischen 80-jährigen Walter Ballermann besonders hart. Er ist jetzt zum zweiten Mal Opfer geworden. Zum einen, als er im Jahr 2019 einen beinah tödlichen Autounfall erlitt und zum anderen, weil er diesem Rechtsanwalt, der seinen Kanzleisitz in Hagen-Vorfalle hatte, die Abwicklung seines Schadensfalles anvertraute.
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Ein Lastwagen hatte den Rentner an einer Kreuzung regelrecht überrollt. Der Senior wurde dabei in seinem Auto eingeklemmt, die Feuerwehr musste ihn aus dem Wrack schneiden. Der Schwerverletzte wurde im Rettungshubschrauber zu einer Spezialklinik geflogen. Mit zwei Hirnblutungen lag Walter Ballermann im Koma, kämpfte wochenlang um sein Leben.
Verschollener Ferrari
Wieder genesen, ging der Kampf dann gegen den eigenen Anwalt weiter: Der hatte von der gegnerischen Versicherung treuhänderisch eine Abschlagszahlung in Höhe von gut 2600 Euro erhalten, den Regulierungsbetrag aber nicht – wie vorgesehen – an Walter Ballermann weitergeleitet. Denn der Ennepetaler Jurist war verschuldet, sein Konto befand sich zum damaligen Zeitpunkt mit mehr als 56.000 Euro im Minus. Auch das Geld eines weiteren Mandanten sei veruntreut worden, hatte die Staatsanwaltschaft dem angeklagten Ex-Anwalt zur Last gelegt. In erster Instanz war er deshalb noch wegen zweifacher Unterschlagung verurteilt worden. Die Berufungskammer stellte diesen Tatkomplex jedoch nach einem Rechtsgespräch hinter verschlossen Türen ein. Am Aushandeln einer sogenannten „Verständigung“ waren seine beiden Verteidiger, die Vorsitzende Richterin und die Staatsanwältin beteiligt.
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Übrig blieben letztlich die beiden Betrugsversuche, die der angeklagte Advokat im Mai vergangenen Jahres vor dem Schöffengericht Hagen noch hartnäckig bestritten hatte, nunmehr aber, da es nur noch um die Strafhöhe ging, plötzlich voll umfänglich einräumte: zwei fingierte Auffahrunfälle von seinem geleasten Audi R8 – ein Crash passierte in Belgien, ein anderer angeblich in Paris. Für die beiden vorgetäuschten Karambolagen mit gefälschten Unfallberichten, erfundenen Beteiligten und inszenierten Sachverständigen-Gutachten, hatte der damals noch als Anwalt tätige Ennepetaler jeweils knapp 40.000 Euro gegenüber zwei verschiedenen Versicherungen geltend gemacht. Doch der Schwindel war beide Male noch vor einer Schadensregulierung aufgeflogen. Ein wertvoller Ferrari, den der Angeklagte ebenfalls mal besaß, gilt mittlerweile als „verschollen“.
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Im Sommer 2019 brach über den Ennepetaler Juristen alles zusammen: Er verschwand von jetzt auf gleich im Nichts, ließ sich insgeheim mit Verdacht auf Herzinfarkt in ein Krankenhaus einweisen und gab seine im Jahr 2003 erhaltene Zulassung zurück. Insolvenz wurde angemeldet, seine Kanzlei in Hagen-Vorhalle abgewickelt. „Mein Problem lag nicht im Herzen, sondern im Kopf“, erklärt er aus der Anklagebank, „schwere Depressionen und Burn-out“. Er leide unter einer Bi-polaren-Störung, befände sich immer mal wieder in psychiatrischer und psychotherapeutischer Behandlung.
Jetzt beim Jobcenter
Für den geschädigten Ex-Mandanten Walter Ballermann bedeutet das: Der 80-jährige Gevelsberger muss sich in die lange Schlange der Gläubiger einreihen. Es dürfte aber nichts mehr zu holen sein. Den angehäuften Schuldenberg von 720.000 Euro, den der Ennepetaler Jurist im Rahmen seiner Insolvenz angemeldet hat, wird er wohl nie mehr abtragen können. Der ehemalige Anwalt lebt von 490 Euro, die er monatlich, neben der Miete, als Leistungen vom Jobcenter erhält.
Zukunftsaussichten? Vielleicht werde er ja von den medizinischen Gutachtern als „dauerhaft berufsunfähig“ eingestuft. Dann stünden ihm Ansprüche aus dem Anwalts-Versorgungswerk zu. Falls nicht, könnte er sich vorstellen, auch eine „beratende Tätigkeit aufzunehmen.“ Was genau sei noch unklar, aber eines ganz sicher: „Nichts mehr mit Juristerei.“
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