Schwelm. Nach der Stellwerksabotage in Schwelm, Essen und Leverkusen hüllen sich Behörden und Bahn in Schweigen. Nun geraten die Mitarbeiter ins Visier.

Der Deutschen Bahn ist extrem daran gelegen, das Thema aus der Öffentlichkeit herauszuhalten, und sie weicht allen Fragen aus; ist hier doch die Sicherheit zehntausender Menschen, die täglich in Zügen durch NRW fahren, massiv berührt. Denn: Auch eine Woche, nachdem sich Unbekannte zu vier Stellwerken – darunter dem in Schwelm – Zutritt verschafft und den Zugverkehr manipuliert hatten, sind keine Täter gefasst. Aber: Diese Zeitung erfuhr aus sicherer Quelle, dass es sich bei den Saboteuren mit hoher Wahrscheinlichkeit um Bahnmitarbeiter handelt – oder diese den Tätern zumindest geholfen haben, Zugriff auf die Weichen- und Signaltechnik zu erhalten. Auch die ermittelnde Staatsanwaltschaft Essen gibt sich – angesprochen auf die Recherche-Ergebnisse dieser Zeitung – recht wortkarg.

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Die Taten geschahen am Sonntag, 29. Januar. Nach bisherigem Kenntnisstand sind in Leverkusen Küppersteg im Serverraum des Stellwerks fünf Notausschalter betätigt worden, wodurch unter anderem Signale beeinflusst worden sind. Ein Intercity-Express und ein Regional-Express sollen dadurch zwangsgebremst worden sein. In Essen-Kray und in Schwelm betätigten Unbekannte jeweils die Hauptsicherungsschalter, wodurch in den von dort aus gesteuerten Abschnitten der Strom abgeschaltet wurde.

Mauer des Schweigens bei der Deutschen Bahn

Nachdem die Deutsche Bahn eine bundesweite Pressemitteilung herausgegeben hatte, aus der wenig Konkretes und gar nichts zu Schwelm hervorging, hakte die Redaktion bei dem ÖPNV-Giganten nach. Antwort: Die Redaktion möge die Fragen bitte schriftlich zusenden, „damit sich die Kollegin, die intensiv in diesem Fall recherchiert, damit auseinandersetzen kann“, wie eine leitende Bahnsprecherin am Telefon mitteilte. Dieser Bitte kam diese Zeitung selbstverständlich nach und übermittelte folgende und zahlreiche weitere Fragen: „Was ist in Schwelm genau vorgefallen? Wie verschafften sich die Täter Zutritt in das Gebäude? Was haben sie dort genau manipuliert beziehungsweise sabotiert? Welche konkreten Auswirkungen hat dies auf den Zugverkehr gehabt? Schwelm ist Hauptstrecke, wo auf mehreren Gleisen Züge von der S-Bahn bis zum ICE verkehren, außerdem Güterverkehr. Auf welche Stecken ist vom Stellwerk aus der Zugriff möglich?“ Die Antwort der Bahn überrascht ein wenig. Zwar teilt sie mit, dass zu keinem Zeitpunkt eine Gefahr bestanden habe, aber ansonsten sendet sie exakt die alte Pressemitteilung.

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Auf mehrfache Nachfrage heißt es schließlich: „Das Stellwerk Schwelm wird aus Wuppertal-Oberbarmen ferngesteuert. Es steuert den Bahnhof Schwelm mit den S-Bahn- und Fernverkehrsgleisen sowie die S-Bahn von Schwelm nach Gevelsberg-West. Es gab eine kurzzeitige Unterbrechung der Stromversorgung. Deshalb war kein Zugverkehr möglich.“ Zudem verweist die Bahn darauf, dass sie diese sensible Infrastruktur in Zusammenarbeit mit der Bundespolizei bereits seit dem vergangenen Jahr intensiver schütze, als Sabotage-Akte unter anderem in Herne stattfanden.

Der DB Rot-Schlüssel. Er ist ein Auslaufmodell, aber seit Jahren bekommt es die Bahn nicht hin, die alte Schließtechnik flächendeckend auszutauschen.
Der DB Rot-Schlüssel. Er ist ein Auslaufmodell, aber seit Jahren bekommt es die Bahn nicht hin, die alte Schließtechnik flächendeckend auszutauschen. © WP / Stefan Scherer | Stefan Scherer

Die Recherche dieser Zeitung hat auch ergeben, wie diese Maßnahmen konkret aussehen. So dürfen Bahnmitarbeiter, die bei Störungen die heimischen Stellwerke betreten müssen, dies nicht mehr ohne Begleitung von Bundespolizisten tun, weil neben anderen Möglichkeiten auch der starke Verdacht besteht, dass ein Bahnmitarbeiter in die Manipulationen involviert oder gar dafür verantwortlich ist. Bei Routine-Einsätzen dürfen sie noch ohne Polizeigeleit in die Stellwerke.

Entscheidender Punkt: Die Polizei hat nach Informationen dieser Zeitung keinerlei Einbruchsspuren an den Gebäuden gefunden. Und: Gewisse Kenntnisse und Hierarchieebenen sind wohl notwendig, um diese Stellwerke gezielt auszusuchen, zu betreten und dort die bestehenden Manipulationen vorzunehmen.

Drei Arten von Schlüsseln für Stellwerke

Um in die Stellwerke zu gelangen, gibt es drei Arten von Schlüsseln. Den alten DB Rot-Schlüssel, der keinen Chip in sich trägt, aber per eingravierter Nummer personalisiert ist, den ISS-Schlüssel, der die Tür elektronisch entriegelt, und den ISS-Schlüssel, der die Daten bei Zugang speichert. In den Stellwerken mit neuerer Schlüsseltechnik sind zudem Alarmmechanismen verbaut. Schwelm und die weiteren betroffenen Stellwerke haben Schließanlagen, die nichts erfassen. Stellwerkschlüssel bekommen Bahnmitarbeiter erst, wenn sie mindestens Signalmechaniker mit zusätzlich bestandener Schlüsselprüfung sind. Das dauert ein paar Dienstjahre.

Ein ISS-Schlüssel, in den zusätzlich ein elektronischer Chip zur Sicherung der Stellwerke verbaut ist.
Ein ISS-Schlüssel, in den zusätzlich ein elektronischer Chip zur Sicherung der Stellwerke verbaut ist. © WP / Stefan Scherer | Stefan Scherer

Zudem – so heißt es aus gut informierten Bahn-Quellen – soll die Technik auf eine Art und Weise manipuliert worden sein, dass dafür tiefe Kenntnisse notwendig sind. Mit Hilfe eines so genannten Ersatzsteckers soll mindestens in einem Fall der Stellwerk-Technik vorgegaukelt worden sein, es sei alles in Ordnung, während gleichzeitig manipuliert worden sein soll. „Ob ein Zusammenstoß zweier Personenzüge auf diese Art auf diesen Strecken herbeigeführt werden kann, hängt von vielen Faktoren ab, auf jeden Fall könnte jemand mit diesen Befugnissen und diesem Wissen enormen Schaden anrichten“, heißt es aus eben diesen Bahn-Kreisen im Gespräch mit der Redaktion.

Die tritt mit ihren Recherche-Ergebnissen neben der Deutschen Bahn auch auf die Staatsanwaltschaft in Essen zu, die die Ermittlungshoheit in diesem Fall hat. „Es wird weiterhin in alle Richtungen ermittelt und wir warten auf die Ergebnisse der umfangreichen Spurensicherung“, teilt Staatsanwältin und Pressesprecherin Marion Weise im Gespräch mit dieser Zeitung mit.

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