Ennepe-Ruhr-Kreis. Das Gesundheitsamt des Ennepe-Ruhr-Kreises verzeichnet mehr als 771 gemeldete Grippefälle. Personalengpässe und fehlende Kapazitäten.

Das Gesundheitsamt des Ennepe-Ruhr-Kreises verzeichnet seit Oktober „auffällig hohe“ Zahlen mit Blick auf Grippefälle. Ingo Niemann, Pressesprecher des Kreises, berichtet, dass es seit Oktober mehr als 771 gemeldete Fälle von Grippeerkrankungen im Kreis gab (Stand: 22. Dezember). Beim Blick auf die Zahlen sei allerdings zu berücksichtigen: Die Statistik des EN-Kreises erfasst nur diejenigen, bei denen die Grippe labordiagnostisch nachgewiesen wurde. Dieser Test wird nicht bei jedem Erkrankten gemacht. Damit liegt die Zahl der Grippeinfizierten an Ennepe und Ruhr deutlich höher.

Im Vergleich dazu: Im Vorjahr waren es im gleichen Zeitraum lediglich zwei Fälle. Und auch in der Zeit vor Corona, beispielsweise im Jahr 2017, zählte das Kreisgesundheitsamt bis Ende Dezember nur um die 26 Grippe-Erkrankten. Auch mit Blick auf die Grippe-Inzidenz, die in der 49. Kalenderwoche bei 125,41 (pro 100.000 Einwohner) lag, landet der EN-Kreis NRW-weit auf Platz drei. Davor stehen lediglich Krefeld (Platz zwei) und Solingen (Platz eins).

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Diese enorm hohe Krankheitsquote führe dazu, dass die Lage in Krankenhäusern, im Rettungsdienst und auch in den Praxen sehr angespannt sei, erklärt Ingo Niemann weiter. Insbesondere Kinderärzte stehen derweil vor großen Herausforderungen. Denn Kinder im Alter von bis zu sechs Jahren seien am stärksten betroffen, so das Gesundheitsamt. Kreisweit betreffen 29 Prozent aller gemeldeten Grippefälle diese Altersgruppe. Sieben bis 17-Jährige seien laut Gesundheitsamt mit 27,1 Prozent betroffen und die große Gruppe der 18- bis 65-Jährigen mit 36,9 Prozent.

„Was die aktuell hohen Zahlen für die kommenden Monate bedeuten, können wir nicht vorhersagen. Möglicherweise stehen wir vor einer sehr starken Grippesaison, vielleicht flacht die Kurve aber auch ab“, sagt Amtsärztin Dr. Sabine Klinke-Rehbein vor dem Hintergrund, dass die meisten Grippefälle üblicherweise im Februar und März auftreten. Da eine Schutzimpfung das Erkrankungsrisiko deutlich senke, sei ein entsprechender Piks in jedem Fall eine Überlegung wert.

Das Robert Koch-Institut empfiehlt die Impfung allen Personen über 60 Jahren, chronisch Kranken aller Altersgruppen, Schwangeren, Beschäftigten in Pflege, Medizin und in Bereichen mit viel Kontakt zu Menschen sowie Betreuerinnen und Betreuern von Risikopersonen. Möglich ist die Schutzimpfung bereits ab einem Alter von sechs Monaten bei erhöhter gesundheitlicher Gefährdung infolge eines Grundleidens. Besonders wichtig sei die Impfung laut Dr. Klinke-Rehbein für medizinisches und pflegerisches Personal – zum Schutz der zu betreuenden Personen und um krankheitsbedingte Personalengpässe zu vermeiden.

KVWL reagiert auf kritische Situation

Doch Personalengpässe gibt es bereits jetzt, viele Menschen müssen nicht nur aufgrund der Grippe zum Arzt - im schlimmsten Fall sogar ins Krankenhaus. Auch zahlreiche Kleinkinder sind derweil mit dem sogenannten RS-Virus infiziert (Respiratorische Synzytial-Virus-Infektionen). Genaue Zahlen gibt es hier zwar nicht, so der Kreis, jedoch seien Kinderkliniken am Limit. Hinzukommen die weiteren Corona-Fälle, die nach wie vor auftreten. In Krankenhäuser, so berichtet es Ingo Niemann, gibt es derzeit viele stationäre Covid-Patienten. Der Stand sieht aktuell so aus (22. Dezember, einschließlich Patienten mit Covid in Rehaklinik): 186 Patienten in den Krankenhäusern, die stationär betreut werden, ein Patient davon wird beatmet. Der Pressesprecher betont jedoch auch: „Es gibt viele Influenzafälle“. Hinzukomme, dass alle Infektionsfälle isoliert werden müssen. „Die Kapazitäten sind knapp. Es gibt Personalengpässe wegen verschiedener Infektionen und anderer Erkrankungen.“

Auf diese schwierige Situation und die Engpässe - insbesondere in den Kinderarztpraxen - reagiert nun auch die Kassenärztliche Vereinigung Westfalen-Lippe (KVWL). Die KVWL erhöht daher vorübergehend die Kapazitäten im kinderärztlichen Notfalldienst. „65 Haus- und Kinderarztpraxen haben sich kurzfristig dazu bereit erklärt, ab Heiligabend die Notfall-Versorgung zu unterstützen. Das Entlastungsangebot läuft zunächst bis Mitte Januar“, heißt es in einer Pressemitteilung.

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Diese Aufstockung ist enorm wichtig, vor allem vor dem Hintergrund, dass der Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte derweil damit droht, das Versorgungsangebot herunterzufahren. Aus Sicht des Berufsverbandes habe Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach leere Versprechungen gemacht. Dieser hatte anlässlich der schwierigen, kritischen und insbesondere herausforderdenden Situation gesagt: „Jede zusätzliche Leistung, die erbracht wird, wird voll bezahlt, sodass hier nicht über Gebühr am Rande der Erschöpfung gearbeitet wird und man das noch nicht einmal komplett bezahlt bekommt.“ Allerdings wirft der Berufsverband Lauterbach nun vor, diese Zusage nicht zu halten und spricht erstmals die Drohung aus, die Versorgung zu reduzieren (WP berichtete).