Schwelm. Jürgen Okrongli ist Psychotherapeut in Schwelm. Er erklärt, wie gefährlich Panikattacken sind und, was Betroffene sowie Angehörige tun können.
Im zweiten Teil der Serie „Mentale Gesundheit“ geht der psychologischer Psychotherapeut Jürgen Okrongli auf das Thema Panikstörungen ein. Mehr als 40 Jahre betreibt er nun seine Praxis in Schwelm und hat in diesen Jahren zahlreiche verschiedene Patienten kennengelernt. Die sogenannte Panikstörung, die er auch als Angststörung bezeichnet, hat er in diesem Zuge bereits bei mehreren Menschen erlebt und daraufhin ebenso behandelt. Doch woran erkennen Betroffene, dass sie unter einer Angststörung leiden, was sind eigentlich die Ursachen dafür und wie reagieren sowohl die Betroffenen selbst als auch Angehörige sowie Partner, wenn es zu regelrechten „Panikattacken“ kommt?
Herr Okrongli, im heutigen und gleichzeitig zweiten Teil der Serie „Mentale Gesundheit“ steht das Thema Panikstörung im Vordergrund. Können Sie erst einmal erläutern, was genau eine Panikstörung eigentlich ist?
Jürgen Okrongli: Wenn in einer Situation körperliches Unwohlsein entsteht und man es nicht richtig deuten kann, können Ängste entstehen, die sich mehr und mehr bis zur Panik steigern können. Die Psychologen nennen es Angstspirale.
Lesen Sie hier den ersten Teil der Serie „Mentale Gesundheit: Depressionen – Auslöser und Folgen
Klingt nachvollziehbar. Gibt es dafür denn einen gewissen Auslöser?
Es können unterschiedliche Auslöser sein. Es kann damit beginnen, dass ich an Orten bin, an denen ich eigentlich nicht gern bin, aber eine gewisse Verpflichtung dahinter steht, doch dorthin zu gehen: Firmenfeiern, Geburtstagsfeiern oder ähnliche Veranstaltungen zum Beispiel. Wenn ich dann so tun muss, als wäre alles bestens, es aber überhaupt nicht so ist, ich mich zusammenreißen muss, fährt der Körper auf Alarm.
Ich denke, dass dieses „unwohle Gefühl“ bestimmt viele Menschen kennen und bereits selbst verspürt haben. Sie sagen, dass die Entstehung dieser Ängste kann bis zur Todesangst führen kann. Wie gehe ich dann am besten damit um, als Betroffener, aber auch als Therapeut oder Angehöriger?
Die Steigerung der Ängste bedeutet körperlich: deutlich spürbarer Herzschlag, Schwitzen, Atembeklemmungen. Innerlich arbeitet der Körper auf Hochtouren. Mit dieser Energie könnte man 100 Meter in seiner schnellsten Zeit laufen. Da die meisten Menschen sich in diesen Situationen aber stocksteif verhalten, entsteht Überdruck im Körper: wie bei einem Schnellkochtopf. Ich sollte vorher einen Plan gemacht haben, was ich machen kann, wenn sich eine Panikattacke entwickelt. Eingeweihte Angehörige sollten den Plan kennen, um zu unterstützen. In der Psychotherapie lernt man über unterschiedliche Entspannungstechniken, schon im Vorfeld die körperliche Spannung niedrig zu halten, weil Angst generell Muskeln verspannt: im Schulter-Nacken- Bereich als erstes aber auch als Verkrampfungen im Organbereich. Der Hauptstrang einer Psychotherapie liegt aber darin, auf die Spur zu kommen, welche Lebensumstände dazu geführt haben, dass diese Angstsituationen entstehen konnten.
Wenn Betroffene selbst die Symptome feststellen, sind sie sich dann automatisch bewusst, dass sie unter einer Panikstörung leiden?
Eher nicht. Fast alle meiner Patienten mit einer Panikstörung haben Vermutungen in jede Krankheitsrichtung angestellt, ohne eine richtige Erklärung. Zu Beginn einer Therapie erzähle ich zuerst, welche Symptome zu einer Panikstörung gehören und konkret, wie der Verlauf ist.
Hat eine Angststörung extreme Folgen? Wenn ja, welche sind die Gravierendsten?
Beim häufigen und starken Auftreten einer Panikattacke, zum Beispiel tagtäglich, entwickelt sich eine Angst, dass es da und dort auch auftreten könnte. In der Psychotherapie heißt das: Angst vor der Angst. Das hat zur Folge, dass der Alltag mehr und mehr eingeschränkt wird. Am Ende geht man kaum mehr aus dem Haus. Alle sozialen Kontakte sind erloschen.
Das hört sich wirklich fatal an. Aber noch mal zurück zum Auslöser. Sie erwähnten bereits, dass es keinen spezifischen Auslöser gibt, sondern die Gründe für eine Angststörung ganz verschieden sein können. Allerdings erwähnten Sie in einem vergangenen Gespräch bereits, dass sowohl Panikstörungen als auch Depressionen oder Psychosomatische Störungen durch ein sogenanntes Burn-out entstehen können, aber wie stelle ich ein Burn-out fest?
In einem Burn-out ist der Körper „ausgebrannt“, kraft und saftlos. Selbst die kleinste Arbeit wir zur Anstrengung. Der Körper signalisiert: „Stopp! Ich kann nicht mehr.“ Zusätzlich ist auch die Psyche an ihrer Grenze angekommen: sehr leichte Reizbarkeit, überschnell genervt reagieren, man kann Lärm und Situationen mit vielen Menschen und vielen Reizen nicht mehr aushalten: Reizüberflutung. Mündet das in eine Depression, zieht der Körper an allen lebenswichtigen Stellen die Bremse. So komisch es klingen mag: die Depression schützt vor noch mehr organischen Störungen. Mündet das Burn-out in eine Panikstörung, so lässt der Körper über die Panikattacken den Druck ab. Das kann des Weiteren auch so sein, dass aus dem Burn-out, das auch mit einer organischen Hochbelastung einhergeht, einzelne organische Krankheiten übrig bleiben. Zum Beispiel: Bluthochdruck, Hauterkrankungen, nervöser Magen-Darm-Trakt und so weiter.
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Ist das „Burn-out“ überhaupt eine „richtige Krankheit?“
Es ist ein Sammelsurium von vielen körperlichen und psychischen Überlastungsreaktionen. Weil das nicht exakt in den sogenannten Diagnoseschlüssel der Erkrankungen (ICD 10 - F - Kategorien) einzuordnen ist, gibt es aktuell die Zuordnung F43.8G – das heißt: „Sonstige Reaktionen auf schwere Belastung.“ Das hat aber nur für den Computer seine Zuordnungswichtigkeit. Ich schreibe bei Gutachten immer noch „Burn-out“ in Klammern.
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Gibt es Präventionsmaßnahmen ?
Ja, natürlich. Sonst könnte das Burn-out ja auch bei mir vorkommen. Das Wichtigste ist, ein gutes Körpergleichgewicht zu haben. Das bedeutet, dass alles, was zu extrem auf verschiedenen Ebenen in der Arbeit oder im Privatleben gelebt wird, zur Überbelastung führt. Das beginnt oft mit einzelnen Organschwächen/ -erkrankungen, kann aber auch weiter gehen, indem mehrere Organe angeschlagen sind. In diesem Fall ist der Körper in seiner Leistungsfähigkeit schon deutlich gemindert. Ginge es dann aber immer noch weiter, mit der gleichen Uneinsichtigkeit, weil man ja schließlich muss, steht das Burn-out vor der Tür. Übrigens: Das, was die meisten meiner Patienten, in all den Jahren zugegeben haben, dass sie schlecht oder gar nicht „nein“ sagen können. Das macht sie schnell zu Opfern.