Schwelm. Depressionen sind ein schleichender Prozess und durchaus gefährlich. Schwelmer Psychotherapeut spricht über Anzeichen und gibt Tipps.
40 Jahre ist es nun schon her, dass Jürgen Okrongli seine Praxis gemeinsam mit seiner Frau Elke in der Kreisstadt eröffnet hat. Mit 73 Jahren könnte er lange in Rente gehen, doch das kommt für Jürgen Okrongli nicht in Frage (wir berichteten). Somit ist er derzeit der dienstälteste psychologische Psychotherapeut in Schwelm. Während der vergangenen Jahre hat der 73-Jährige mit zahlreichen Menschen zusammengearbeitet und ihnen helfen können. Für Jürgen Okrongli gibt es mehrere Themenbereiche, die ihm persönlich sehr am Herzen liegen. Insbesondere das Thema Depressionen sei etwas, das in seinen Augen offener kommuniziert werden müsse. Denn die Gefahr, die diese Krankheit mit sich bringe, sei vielen oftmals gar nicht bewusst.
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Herr Okrongli, wie Sie mir im Vorfeld sagten, gehört das Krankheitsbild der Depression zu den häufigsten Erkrankungen, die Sie behandeln. Können Sie aus fachlich erster Quelle erklären, wie Depressionen von den Betroffenen selbst oder aber deren Umfeld erkannt werden können? Gibt es dafür spezielle Anzeichen oder Symptome?
Ja, die gibt es. Jedoch hängt es davon ab, wie viel Information ich selbst oder mein Umfeld über die Krankheit wirklich hat. Nach meinen Erfahrungen ist das erschreckend gering, obwohl es sehr einfach wäre, seriöse Quellen im Internet „anzugooglen“. Der Betroffene muss die Anzeichen richtig deuten können. Das ist nicht einfach, weil die Depression sofort mit einem großen Haufen von Symptomen daherkommt, wovon einige auch auf andere Krankheitsbilder schließen lassen könnten. Im Klartext: Der Betroffene leidet an Ein- oder Durchschlafstörungen in jeder Nacht. Als Folge davon kommt tagsüber die Müdigkeit, die morgens dazu führt „dass er nur schwer in die Pötte kommt.“ Schlafen am Tag bessert das nicht. Alle Gefühle haben eine Mattheit, erschlaffen, die Begeisterung, die Lust zu den Dingen, die Erotik, das sich Konzentrieren auf kleinste Abläufe. Ein Patient sagte: „Mir fehlt Ihr Glanz in meinen Augen.“ Das Lachen fehlt mehr und mehr, die Lust mit Partner oder Familie durch die Fußgängerzone zu gehen, in der Befürchtung, gefragt zu werden: Na, wie geht`s? Rückzug, weinen oder es nicht mehr können, das Lachen verlieren. Alles macht zudem auch noch dünnhäutiger, erschöpfter ohne viel körperlicher Anstrengung. Die Unruhe kommt - die Ruhe geht. Mehr und mehr wird alles negativ empfunden, weil zu viele „Lebensfreudeadern“ angegriffen sind. Gedanken kreisen, finden nicht aus der Schleife. Gedanken um Gedanken, was alles in der Vergangenheit schiefgelaufen ist. Prägen sich die Symptome stärker aus, entsteht Todessehnsucht. Spätestens hier ist ein Klinikaufenthalt ein MUSS.
Gibt es denn spezielle Tipps für Angehörige oder Partner, für Menschen, die anderen, die Depressionen haben, nahestehen?
Es gibt ein unglaublich gutes Buch, dass alle meine Patienten mit Depression gelesen haben oder sogar besitzen. Es stammt von dem australischen Ehepaar Matthew und Ainsley Johnstone und heißt: „Mit dem schwarzen Hund leben.“ Es ist gleichzeitig Information für den Betroffenen wie für die Angehörigen, Freunde, Arbeitskollegen. Der schlichteste Tipp für Partner und Angehörige: Da sein, nicht wegsehen. Fragen, was er möchte, nicht schweigen. Alles andere würden Fachleute besprechen.
Oftmals wird Depressionsbetroffenen via Berichten und Medien dazu geraten, Sport zu treiben. Sollte ich den Menschen also einfach mal mit ins Fitnessstudio nehmen?
Vor wenigen Jahren wurde über die Ruhr-Universität-Bochum eine Langzeitstudie veröffentlicht: „Alternative Methoden in der Depressionsbehandlung.“ Verglichen wurden die Wirkungen von a) Psychotherapie, b) Autogenem Training, c) Yoga, d) Ausdauersport, e) Antidepressiva. Das Ergebnis: Kombinationen waren immer im Vorteil, also erfolgversprechender, wie: Ausdauersport + Psychotherapie + Autogenes Training. Oder aber: Ausdauersport + Psychotherapie + Yoga. Als Einzel-Anwendung zeigten die Antidepressiva den geringsten Erfolg, sind in den Behandlungen aber nicht weg zu denken, wenn es keine anderen Möglichkeiten gibt.
Nun eine womöglich etwas kompliziertere Frage: Was mache ich, wenn ich helfen möchte, der kranke Mensch aber absolut keine Hilfe annehmen will, ich mich aber dennoch sorge?
Oh! Jetzt wird es für alle Betroffenen anstrengender. Wichtig ist, dass die Helfer selbst sehr gut informiert sind und wissen, welche Hilfe sie empfehlen. Sie müssen dann so etwas wie ein Bindeglied zwischen dem Kranken und dem professionellen Helfer sein. Und doch muss der Kranke selber wollen, sonst wollen auch die Therapeuten nicht, hart, aber ehrlich gesagt.
Wenn ich unter Depressionen leide, gibt es einen allerersten Schritt zur Besserung?
So kommen wir zurück zu den Symptomen in einer Depression: Der Betroffene spürt es selbst zuerst, dass er wieder „normaler“ schlafen kann, die Unruhe nicht mehr so stark ist. Er spürt kleine Besserungen in allen Bereichen. Aber Vorsicht: Die Genesung aus der Depression verlangt Geduld mit sich und sich selbst Zeit lassen.
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Gibt es in Ihren Augen eine Art „Auslöser“ für Depressionen? Ist das vielleicht sogar genetisch veranlagt?
Allgemein: Bei vielen, großen psychischen Erkrankungen, wie Depressionen, Panikstörungen, bestimmten Angsterkrankungen, Psychosomatischen Störungen (Magen-Darmstörungen, Migräne, Hauterkrankungen usw.) ist der Körper aus dem inneren Gleichgewicht, der eigenen Balance. Unser ganzer Körper versucht dadurch gesund zu bleiben, indem er alle inneren Mitstreiter (Organe, Muskeln, etc.) in Balance, Ausgewogenheit hält: über Ernährung, sportliche Betätigung, sich selbst „gut“ finden. Arbeite ich zu viel und übertrieben lange, gönne ich ich mir wenig Freizeit, bin ich über einen längeren Zeitraum unzufrieden, komme ich mit körperlichen Einschränkungen nicht klar, verwöhne ich andere mehr oder immer und mich selbst zu wenig oder kaum – alles das führt in eine Schieflage. Der heutige, fast „Modebegriff“ gewordene „Burnout“ ist ein anderes Wort für die frühere „Vegetative Dystonie“ oder noch früher der Nervenzusammenbruch.
Insbesondere der Nervenzusammenbruch ist wohl vielen leider bekannt...
Richtig, das ist wie ein hochtouriges „Gasgeben“ eines Autos im Leerlauf. Sie kommen nicht von der Stelle, sind aber auf Hochtouren. Depression kann unter anderem aus solch einer Überlastung entstehen. Erst in kleinem Umfang, aber unaufhörlich ansteigend, monatelang, auch Jahre. Depression wird in der Psychologensprache „gelernte Hilflosigkeit“ genannt – ich habe mich in Sackgassen gebracht, für die ich noch nie wirklich einen brauchbaren Ausweg kannte, hatte nur immer Glück, dass ich durch Zufall auf einmal draußen war. Aber Glück rettet nicht ein Leben lang, außer Gustav Gans. Das nicht Herauskommen führt zur Hilflosigkeit, die der Körper in Depression übersetzt.
Sehr interessant. Sie als jahrelanger Psychologischer Psychotherapeut können zum Abschluss vielleicht noch eine ganz entscheidende Frage beantworten: Wie gut ist Depression heute heilbar? Ist die Krankheit überhaupt zu besiegen?
Ich spreche jetzt nur von der Depression in der ambulanten Praxis wie meiner. Sie ist die am meisten und besten untersuchte psychische Erkrankung und zeigt auch die besten Erfolge, bei gutem Zusammenwirken aller Beteiligten. Unter diesen Bedingungen ist Depression vollkommen heilbar. Im Ansinnen aller Behandler steht, dass es keine Wiederholung geben sollte.