Gevelsberg. Bereits vor einem Jahr ist eine Richterin aus Gevelsberg zu drei Jahren und zehn Monaten Haft verurteilt worden. Bislang ist sie auf freiem Fuß.

Der Fall der Gevelsberger Richterin (38), die selbst zu drei Jahren und zehn Monaten Haft verurteilt worden war, beschäftigte die ganze Republik und ist zumindest ein kleiner Teil deutscher Rechtsgeschichte, die hier aber noch nicht zu Ende geschrieben ist. Denn: Auch ein Jahr nach dem Urteil steht immer noch nicht fest, wann und ob sie überhaupt ins Gefängnis muss. Parallel hat nun ein anderes Gericht entschieden, wie viel Geld ihr aus der Staatskasse monatlich noch gezahlt werden muss.

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Es ist der 18. November 2021, als die Kammer um den Vorsitzenden Richter Christian Potthast ihr Urteil gegen die Frau fällt, die viele Jahre als Richterin am Amtsgericht in Lüdenscheid tätig war. Sie habe sich der Rechtsbeugung, der Urkundenfälschung, des Verwahrungsbruchs sowie der Urkundenunterdrückung schuldig gemacht. Im Kern hatte sie einige wenige Fälle einfach nicht weiterbearbeitet. Als dies aufzufliegen drohte, versuchte sie ihre Taten zu vertuschen. Sie fälschte Protokolle, versuchte Versäumnisse einem Kollegen von der Geschäftsstelle des Gerichts in die Schuhe zu schieben, sie datierte Aktenbestandteile um, belog Kollegen, Verteidiger, Staatsanwälte, stahl Akten aus dem Gericht, die sie in ihrem Keller lagerte, wo sie bei der Durchsuchung ihrer Wohnräume gefunden wurden.

Erheblicher Schaden bei ihren Opfern

Der Schaden, den die Straf- und Familienrichterin bei ihren Opfern anrichtete, war erheblich: Ein Mann blieb zu lange in Untersuchungshaft, ein Vater durfte zwei Jahre lange zu Unrecht seine Kinder nicht sehen. Kinder erhielten deutlich zu wenig Unterhalt, andere Elternteile zahlten viel mehr als sie mussten. Vor dem Hagener Landgericht sprach sie von einer Blockade, sie sei krank und in Therapie. Das sah Gutachter Dr. Nikolaus Grünherz, der ihr zwar eine Arbeitsstörung, ansonsten aber volle Schuldfähigkeit bescheinigte, anders. Der Grund dafür aus seiner Sicht: 95 Prozent ihrer Aufgaben hatte die Gevelsbergerin in vorbildlicher Weise erledigt.

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Ihr Verteidiger Torsten Giesecke legte umgehend Revision beim Bundesgerichtshof ein. Doch dort hat sich auch ein Jahr nach dem Hagener Urteil noch niemand mit dem Fall der Richterin aus Gevelsberg beschäftigt, wie die BGH-Pressestelle auf Nachfrage dieser Zeitung bestätigte. Gleichwohl hat im Sommer bereits die Bundesanwaltschaft eine Stellungnahme zu dem Fall abgegeben. Sie sieht handwerkliche Fehler in der Urteilsbildung, Argumente seien mehrfach verwertet worden. Ob die Karlsruher Richter, auf deren Urteil alle Verfahrensbeteiligten mit Spannung warten, dem folgen, ist jedoch ungewiss.

Kosten für Auto und Anwalt

Ebenso, wie die Bezahlung der Frau weiterläuft, denn auch ihre Vergütung aus dem Topf der Steuergelder beschäftigt die Gerichte. In diesem Fall das Dienstgericht für Richter in Düsseldorf. Die Gevelsbergerin war seit August 2020 krank geschrieben. Im Juli 2021 wurde sie vorläufig des Dienstes enthoben – ebenfalls vom Dienstgericht in Düsseldorf, das ihr noch 50 Prozent ihrer Vergütung zusprechen wollte, bis der BGH sein Urteil gefällt hat. Dagegen wehrte sich die Frau – mit Erfolg. Das Gericht entschied, dass zuvor so genannte „notwendige Auslagen“ nicht berücksichtigt worden waren. Demnach stehen ihr 450 Euro monatlich für Anwaltskosten und 425 Euro monatliche Tilgungsrate für ihr Auto zu. Doch auch gegen diese Regelung, die ihr nun 70 Prozent ihrer Bezüge belässt, geht die Richterin vor. Sie will mehr Geld, hat Beschwerde beim Dienstgerichtshof eingelegt.

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Auch hier wird wohl erst eine höchstrichterliche Entscheidung Klarheit bringen – wie im Haupturteil, wo der BGH prinzipiell drei Möglichkeiten hat. Erstens: Er bestätigt das Urteil des Landgerichts Hagen, die Frau geht ins Gefängnis. Zweitens: Die Bundesrichter nehmen sich der Sache selbst an, terminieren eine eigene Hauptverhandlung. Drittens: Der Bundesgerichtshof lässt den Fall an einem Landgericht – Hagen oder einem benachbarten neu verhandeln. In beiden Fällen könnte ihr Strafmaß gesenkt werden, eventuell sogar unter zwei Jahre, so dass eine Strafe, die zur Bewährung ausgesetzt würde, möglich wäre. Egal was passiert: Es wird noch dauern, bis das letzte Kapitel in diesem kleinen Stück deutscher Rechtsgeschichte geschrieben ist.

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