Gevelsberg. Darum hat die Aids-Initiative, die unter anderem für Schwelm, Gevelsberg und Ennepetal zuständig ist, die Sorge vor steigenden HIV-Fallzahlen.
„Die Jugendlichen sind immer schlechter und weniger aufgeklärt“, sagt Ralf Terjung. Eine Entwicklung, die lebensgefährlich werden kann. Der Gevelsberger hat vor knapp 20 Jahren die Aids-Initiative für den Ennepe-Ruhr-Kreis mitgegründet und betreibt seitdem Präventionsarbeit. Dabei hat er die Erfahrung gemacht, dass die Krankheit bei den Menschen immer mehr in den Hintergrund rückt. Mit fatalen Folgen.
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„In den 90er Jahren hatte so ziemlich jeder ein Kondom in seinem Portemonnaie“, erklärt Ralf Terjung. Doch diese Zeiten sind vorbei. Mittlerweile sei das Thema mechanische Verhütung alles andere als präsent. Zwei Jahre war wegen der Corona-Pandemie die Aufklärungsarbeit der Aktiven der Aids-Initiative kaum möglich, seit wenigen Wochen gibt es wieder Termine an den Schulen. Was die Ehrenamtlichen dort erlebt haben, macht ihnen große Sorgen. „Einige Jugendliche können nicht mit einem Kondom umgehen“, sagt Annika Appelkamp-Decker. Sie gehört zum Vorstandsteam der Aids-Initiative und sagt, dass das vor Corona anders war.
Eine neue Herausforderung
Warum Teenager weniger über Sexualität Bescheid wissen, hat aus Sicht der Aids-Initiative mehrere Gründe. Annika Appelkamp-Decker glaubt, dass die Jugendlichen durchaus sexuell aktiv sind. Doch im Unterricht wird nicht mehr so viel über das Thema gesprochen, auch Einrichtungen wie Pro Familia oder eben die Aids-Initiative, die wichtige Aufklärungsarbeit leisten, seien pandemiebedingt gar nicht, oder kaum in den Schulen gewesen. Insgesamt seien die Themen HIV und Geschlechtskrankheiten weniger präsent, obwohl die Gesellschaft offener wirkt und immer mehr Menschen ihre Sexualität offen ausleben können. Sie sagt: „Die aktuelle Situation ist eine neue Herausforderung.“ Fest steht: Ohne Aufklärung gelingt auch keine Prävention. Was daraus folgen kann, ist ein unbedachter Moment, der alles verändert. Es gehe nicht nur um Aids, sondern auch um andere Geschlechtskrankheiten, macht Annika Appelkamp-Decker deutlich.
HIV sei zwar kein Todesurteil mehr, die Medizin hat in diesem Bereich große Fortschritte gemacht, doch die Einschränkungen, die dieses Virus mit sich bringt, sind enorm. „Es geht nicht nur um die Lebenserwartung, sondern auch um die Lebensqualität“, sagt Ralf Terjung. Medikamente müssen zu bestimmten Zeiten genommen werden, das Immunsystem ist massiv geschwächt. Es ist eine Krankheit, die unheilbar ist. Jeder, dem ein Leben mit HIV erspart wird, ist ein Erfolg.
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Wie viele Menschen am Virus erkrankt sind? Es gibt keine offizielle Statistik, denn die Erkrankung ist nicht meldepflichtig, erläutern die Ehrenamtlichen, aber es gibt vom Robert-Koch-Institut Schätzungen auf die sich auch die Deutsche Aidshilfe bezieht. In Deutschland lebten Ende 2020 rund 91.400 Menschen mit HIV. 79.300 Menschen nahmen HIV-Medikamente. Ungefähr 2000 Menschen infizierten sich im Jahr 2020. „Und hinter jedem einzelnen Fall steckt ein Schicksal“, sagt Annika Appelkamp-Decker. Die Sorge ist, dass die Zahlen wieder steigen: durch Unwissenheit, fehlende Aufklärung und Desinteresse.
Diskriminierung
Die Aids-Initiative würde sich mehr Unterstützung vom Land wünschen. Seit 2006 habe es keine Erhöhung der Zuweisung gegeben. „Das kommt einer Kürzung gleich“, sagt Ralf Terjung. Denn alleine die Fixkosten für das Büro an der Mühlenstraße 29 hätten sich verdoppelt. Die Arbeit werde ehrenamtlich geleistet, etwas, was in anderen Kreisen und Kommunen von hauptamtlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern gemacht wird. Ohne Spenden wäre vieles nicht möglich. Und auch der Verkauf der Teddybären leistet einen wichtigen finanziellen Beitrag.
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Bei der Arbeit der Aids-Initiative geht es aber nicht nur um Aufklärung, sondern auch um eine wichtige und niederschwellige Hilfe. Ein neues Angebot ist der kostenlose Aids-Schnell-Test. Wer sich unsicher ist, und eine unbürokratische Antwort auf die Frage sucht, ob man sich vielleicht angesteckt hat, kann sich in Gevelsberg melden. Zwar bietet auch das Gesundheitsamt ein anonymes und kostenloses Angebot für einen Test, aber in den Räumen an der Mühlenstraße ist noch mehr Privatsphäre gewahrt. Yoga, AWo, Büros: „In einem Haus, wo viele verschiedene Angebote sind, fühlen sich die Besucherinnen und Besucher wohler, weil keiner weiß, warum sie da sind“, erklärt Terjung.
Welt-Aids-Tag
Der 1. Dezember ist der Welt-Aids-Tag. Er wurde 1988 ins Leben gerufen, um auf das Thema aufmerksam zu machen: Weltweit leben etwa 38 Millionen Menschen mit HIV. Noch lange nicht alle haben Zugang zu den Medikamenten, die ihr Leben retten können. Und noch immer erleben Betroffene Diskriminierung und Stigmatisierung.
Die Aids-Initiative EN e.V. ist für den Ennepe-Ruhr-Kreis zuständig und hat ihren Sitz an der Mühlenstraße 29 in Gevelsberg. Beratungen sind Montag und Mittwoch 17 bis 19 Uhr und Freitag 18 bis 20 Uhr möglich. Kontakt: 0700/44533036, www.aids-initiative-en.de.
Im Onlineshop der Aids-Initiative gibt den beliebten Bären zu kaufen, der in jedem Jahr anders aussieht.
Außerdem gibt es ein telefonisches Beratungsangebot, für alle im EN-Kreis, denen der Weg nach Gevelsberg zu weit ist. Vor Corona kam eine dreistellige Zahl an Anrufen an, 2021 waren es 12, vielleicht 15, sagt Terjung. Durch Corona sei einiges in die Anonymität geraten. Er hofft, dass die Ansteckungszahlen nicht gestiegen sind. Im Gegensatz zu früher sieht man einem positiv Getesteten die Krankheit nicht mehr an. Um so wichtiger sei, dass das Thema Aids aus der öffentlichen Wahrnehmung nicht noch weiter verschwindet. Terjung erklärt: Aufklärungsarbeit ist auch wichtig für Erkrankte, die durch Unwissenheit unter Vorurteilen leiden, die ihnen das Leben oft unnötig schwer machen. „Niemand infiziert sich durch einen Händedruck oder eine Umarmung“, doch auch das wissen leider nicht alle, erklären die Aktiven.