Gevelsberg. Wenn die Gevelsbergerin Helga Becker durch die Stadt geht, ziehen viele ihren Hut. Das ist der Grund dafür.
„Über das, was ich erlebt habe, könnte ich ein Buch schreiben“, sagt Helga Becker und lacht. Doch das würde sie nie tun. Sie bleibt lieber im Hintergrund, auch wenn sie in vielen Dingen voranschreitet. Das Horten-Kaufhaus ist zwar schon seit mehr als 20 Jahren geschlossen, sie sorgt aber dafür, dass sich die ehemaligen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter noch immer regelmäßig treffen. Und auch in ihrer Heimat Silschede ist sie immer unterwegs. Ohne sie gäbe es dort keine Zeitung auf dem Frühstückstisch – und das seit 28 Jahren.
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Auch wenn Sie so gut wie jeder in der Stadt kennt. Ihre Jugend haben Sie woanders verbracht.
Helga Becker: Mein Mann hat mich nach Gevelsberg geschleppt, er ist Gevelsberger. Ich komme eigentlich aus dem Aggertal. Wir haben uns 1972 in einer Diskothek in Ründeroth kennengelernt, in der Nähe von Gummersbach. Er schaute sich dort immer Handball an, ich lebte dort. 1975, drei Jahre später, haben wir geheiratet. Wir haben zwar erst in Haßlinghausen gewohnt, aber dann haben wir uns in Silschede ein Zuhause gebaut. Aus Silschede möchte ich nicht mehr weg. Es ist wunderbar hier zu leben, hier ist einiges los. Und dann hat sich jetzt auch noch die Kirmesgruppe gegründet. Wenn ich noch jung wäre, dann wäre ich sofort in den Verein eingetreten. Ich kann zwar nicht bauen oder nähen, aber ich habe Karneval im Blut. Ich würde den Einzelgänger machen.
Auch privat sind Sie jemand, der die Initiative ergreift. Wie schaffen Sie es, dass sich 21 Jahre nach der Schließung noch immer die ehemaligen Mitarbeiter von Horten in Gevelsberg treffen?
Auf der Kirmes habe ich zwei damalige Kolleginnen getroffen und dann hatte ich die Idee. Beim ersten Treffen 2014 waren mehr als 100 Leute da. Seitdem kommen wir immer am letzten Samstag im Oktober zusammen. Es muss jemand da sein, der sich kümmert, der hartnäckig bleibt. Ich kann nicht nur ein bisschen. Wenn ich was mache, dann zu 100 Prozent. Die Leute kommen aber vor allem, weil es ein guter Zusammenhalt damals war. Unsere Weihnachtsfeiern waren legendär. Da habe ich sogar einmal bei der Tombola eine Reise nach Spanien gewonnen. Wir haben uns wirklich gut verstanden.
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Wann haben Sie bei Horten angefangen?
Das war 1989. Ich habe in der Herrenkonfektion gearbeitet und in all den Jahren sehr viele Männer schick eingekleidet. Nicht nur aus Gevelsberg. Dort habe ich viele Menschen kennengelernt, ich wurde sogar von den Gevelsbergern zur Verkäuferin des Jahres gewählt. Als das Ende des Kaufhauses verkündet wurde, gab es viele Blumensträuße und Geschenke. Ich werde heute noch von vielen gegrüßt, wenn ich durch die Stadt gehe. Manch ein älterer Herr zieht seinen Hut. Ich war gerne Verkäuferin. Auch als aus Horten später Rupprecht wurde. Doch immer mehr Geschäftsführer kamen und gingen. 2001 wurden wir dann alle gekündigt. Es ist schade, dass Gevelsberg das Kaufhaus verloren hat. Alles unter einem Dach zu finden, ist eine schöne Sache. Danach habe ich noch bis zum Ruhestand zehn Jahre bei Bon Prix in Wuppertal gearbeitet.
Was soll Ihrer Meinung nach mit dem Rupprechthaus passieren?
Die Stadt will doch da was machen, da bin ich auf jeden Fall gespannt. Ich hoffe aber, dass noch genug Platz für Einzelhandel bleibt. Natürlich wäre mir ein Kaufhaus am liebsten, aber anscheinend lohnt sich das nicht mehr. Ich würde mir in der Innenstadt einen Haushaltswarenladen wünschen und einen schönen Lampenladen. Der Einzelhandel ist wichtig für eine Stadt, in Gevelsberg passiert viel Gutes.
Wie hat sich Ihrer Meinung nach Silschede entwickelt?
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Hier ist es schön zu leben, doch der Stadtteil ist im Wandel. Gefühlt wird jedes zweite Haus verkauft. Weil die älteren Silscheder sterben und die Kinder nicht die Arbeit mit dem Haus haben wollen. Und es wurde hier immer mehr gebaut. Aber der Zusammenhalt hier ist groß, es gibt viele Angebote im Dorf. Ich freue mich schon auf den Adventsmarkt an diesem Wochenende.
Warum gehen Sie mit 73 Jahren nachts bei Wind und Wetter raus, um Zeitungen zu verteilen?
Weil ich mich fit halten möchte. Es tut gut, draußen zu sein, es gibt viele Stufen, viele frei stehende Häuser. Ich mache jede Nacht mehrere Kilometer. Angefangen habe ich, weil wir gebaut hatten, das Geld konnten wir gebrauchen. Mein Mann war bereits Zusteller, als ich anfing. So haben wir uns einiges dazu verdient. Jetzt sind wir beide im Ruhestand und haben ein gemeinsames Hobby, auch wenn wir getrennt unterwegs sind. Ich habe keinen Führerschein, also bleibe ich in Silschede, er ist auch in Gevelsberg unterwegs. Ein Fitnessstudio brauchen wir nicht. Und bei Regen packe ich mich gut ein, nass bin ich hinterher dennoch. Aber krank war ich schon lange nicht mehr, das härtet ab.
Passieren nachts in Silschede ungewöhnliche Dinge?
Ich habe mal drei Männer mit Handwerkertasche im Entenlauf durch das Dorf spazieren sehen. Es waren Einbrecher, wie ich später erfuhr. Die Polizei suchte nach ihnen, ich gab ihnen den Tipp, wo sie sie finden konnten. Ich habe mitbekommen, wie der Geldautomat gesprengt wurde. Erst war der Knall, dann sah ich die Polizei, die anrauschte. Nur gut, dass wir nicht in der Nähe waren. Mein Mann stellte zu der Zeit in dem Haus die Zeitungen zu. Er war zum Glück später dran als die Einbrecher. Meiner Fitness habe ich es zu verdanken, dass ich einem betrunkenen Autofahrer ausweichen konnte. Er rauschte mit einem fürchterlichen Geräusch an.
Zur Person
Helga Becker ist 73 Jahre alt, seit 1975 mit Rolf Becker verheiratet und hat eine Tochter und eine Enkelin. Sie wohnt seit 1987 in Silschede.
Sie ist ausgebildete Verkäuferin und war erst in einem Textilladen in Haßlinghausen und wechselte nach der Schließung in das Horten-Kaufhaus.
Als auch dieses Geschäft geschlossen wurde, arbeitete sie bei Bon Prix Wuppertal.
Ich rannte einen Hauseingang hoch. In Asbeck wurde er mit 1,5 Promille erwischt, er hatte nur noch ein Rad, fuhr auf den Felgen, daher das Geräusch. Einmal habe ich eine Frau von einem Suizid abgehalten. Hinterher war sie mir dankbar. Doch es gibt viele Nächte, in denen ich einfach nur die Zeit genieße. Gut, dass es dunkel ist und man mich nicht sieht. Es kommt schonmal vor, dass ich mich dann mit denen unterhalte, die nicht mehr da sind. Ich bin gläubig und denke auch, dass es Schutzengel gibt. Davon hatten wir schon einige.
Wie lange wollen Sie das noch machen?
So lange ich das noch kann. Wer rastet, der rostet. Stillstand ist nichts für mich. Außerdem habe ich noch Platz im Haus, um meinem anderen Hobby nachzugehen, das ich mir mit dem Geld als Zustellerin finanziere. Ich sammel Puppen, Engel und Miniflacons. Eine Kundin hatte mir solch ein Flacon geschenkt, als ich bei Horten war. Das hat meine Sammelleidenschaft entfacht.