Gevelsberg. Eine 27-jährige Gevelsbergerin soll versucht haben, einen Sanitäter zu töten. Eine entscheidende Rolle spielen ihre psychischen Erkrankungen.

Als sie nach der Mittagspause noch einmal auf dem Anklagestuhl Platz nehmen muss, laufen die Tränen bei der 27-jährigen Gevelsbergerin. Sie schlägt die Hände vor das Gesicht, schluchzt deutlich hörbar. Sie ist psychisch nicht mehr dazu in der Lage, der Verhandlung an diesem Tag noch weiter zu folgen. Die Vorsitzende Richterin Heike Hartmann-Garschagen entscheidet: „Feierabend für heute.“ Eine Szene, die symptomatisch für den Kern des Prozesses steht, der gegen die Frau am Freitag gestartet ist und sich vor allem der Frage widmet: Wusste sie genau, was sie tat, als sie versucht haben soll, mindestens einen Rettungssanitäter zu töten?

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Die Frau wohnt in Gevelsberg in einer Einrichtung für Menschen mit chronischen psychischen Erkrankungen und seelischen Behinderungen. Dort soll sie am 9. August 2021 ihren Betreuern mitgeteilt haben, sie wolle sich umbringen. Die riefen einen Rettungswagen, der die Frau in eine entsprechende Klinik bringen sollte, wo sich medizinisches Fachpersonal mit deren suizidalen Gedanken auseinander setzen sollte. Nach den bisherigen Zeugenaussagen haben sich die weiteren Geschehnisse so zugetragen: Als die Rettungssanitäter vor Ort eintreffen, werden sie durch das Personal der Einrichtung darüber unterrichtet, worunter die 27-Jährige leidet, sie lesen sich in der Akte ein. Im Gerichtssaal fallen die Ausdrücke „bipolare Störung“ und „Borderline-Persönlichkeitsstörung“.

Messer unter der Bettdecke

Zunächst streitet die Frau den Sanitätern gegenüber ab, gesagt zu haben, dass sie sich etwas antun wolle. „Sie muss das aber uns gegenüber zum Ausdruck bringen, sonst dürfen wir sie nicht für eine Zwangseinweisung mitnehmen“, erläutert der 32-jährige Rettungssanitäter, der mehrfach zurück in ihr Zimmer geht, um mit ihr zu sprechen. In dem Raum ist es völlig chaotisch, die junge Frau sitzt auf dem Bett gegenüber der Tür, an der der Sanitäter steht, als sie plötzlich mit der Hand unter die Bettdecke greift und ein Messer mit 19 Zentimeter langer Klinge hervorzieht. „Lassen sie das Messer fallen“, sagt der 32-Jährige mehrfach zu ihr. Doch sie ignoriert ihn, rutscht langsam vom Bett auf den Boden, ruft plötzlich „Ich werde Dich umbringen“ und stürmt mit dem erhobenen Messer auf Kopfhöhe, die Spitze nach vorn gerichtet, auf den Mann zu.

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„Ich habe nur noch völlig intuitiv gehandelt“, sagt der im Zeugenstand aus. Er reißt die Tür zu, geht in die Knie, stemmt sich mit beiden Händen von unten gegen die Türklinke, spürt mindestens einmal, wie die Frau versucht, diese herunter zu drücken. Der Kollege ruft die Polizei. Durch Kommunikationsprobleme auf den Leitstellen, so sagen beide Sanitäter aus, sei diese aber erst sehr spät und ohne Anfahrt mit Sonderrechten erschienen. Zunächst traf eine Hundeführerin ein, die sich zufällig in der Nähe befunden hatte, später eine Streifenwagen-Besatzung. Sie schafften es durch gutes Zureden, dass die 27-Jährige das Messer durch das Fenster aus dem zweiten Obergeschoss in den Garten warf.

Notarzt muss Frau sedieren

Anschließend gingen die Beamten mit gezogenen Pistolen in das Zimmer, brachten die 27-Jährige zu Boden, fesselten ihre Hände. Doch nach den Schilderungen der Polizisten und der RTW-Besatzung muss die Gevelsbergerin außer Rand und Band gewesen sein. Mehrfach musste sie noch zu Boden gebracht werden, trat und schlug um sich, versuchte sich weg zu winden, als sie schließlich bäuchlings auf der Trage im Rettungswagen lag. Erst als der Notarzt, der zwischenzeitlich eingetroffen war, die Frau sedierte, beruhigte sich die Lage, brachte die Rettungswagenbesatzung sie nach Herdecke in ein entsprechendes Krankenhaus.

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Die 27-Jährige ist polizeibekannt, auch früher schonmal im Rahmen eines Strafverfahrens gutachterlich bewertet worden. Diese Aufgabe fällt im aktuellen Fall Prof. Dr. Pedro Faustmann zu, dessen Ergebnisse über den weiteren Lebensweg der Mandantin des Gevelsberger Anwalts Lutz Mollenkott entscheiden werden. Im Falle einer Schuldunfähigkeit – auch einer verminderten – könnte sie wegen versuchten Totschlags verurteilt werden. Die Mindeststrafe liegt dafür bei fünf Jahren Gefängnis. Eine Psycho-Therapie oder weitere Behandlung ihrer Krankheit würde sie dort wohl kaum bekommen. Im Falle einer Schuldunfähigkeit, würde sie hingegen dauerhaft in eine geschlossene psychiatrische Klinik gebracht werden.

Um neben dem Gutachten – eine vorläufige Version, in die seine Beobachtungen und Erkenntnisse aus dem Prozess noch mit einfließen werden hat Professor Faustmann bereits vorgelegt – geht die Kammer um die Vorsitzende Richterin Heike Hartmann-Garschagen vor allem dem Zustand der Frau zum Tatzeitpunkt nach. Am Montag, 21. November, wird der Prozess vor dem Hagener Landgericht fortgesetzt.

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