Gevelsberg. Die 94 Jahre Gevelsbergerin Annelore Ring weiß, wie es ist, zu sparen, wie man mit Entbehrungen umgeht. Sie berichtet von damals und gibt Tipps.

„Wenn wir Licht haben wollten, musste ich auf den Stuhl klettern und eine Münze einwerfen“, erinnert sich Annelore Ring. Das war irgendwann vor dem Krieg. Vor der verheerenden Zerstörung und dem Wiederaufbau. Die 94-jährige Gevelsbergerin ist in einer Zeit der Entbehrungen aufgewachsen, hat von klein auf gelernt, wie man mit weniger zurecht kommen muss. Wenn sie die Nachrichten hört, kommen Erinnerungen hoch. Sie weiß, das, was damals selbstverständlich war, ist heute für viele sehr weit weg. Dabei ist das Thema Sparen so aktuell wie nie.

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„Wir haben uns da gar keine Gedanken darüber gemacht, das war einfach so“, sagt sie. Dass es nicht alles gab, dass man nicht einfach in den Laden gehen konnte. Das war so, als sie bei ihren Großeltern in Wuppertal aufwuchs, als sie ins Münsterland zog, um ihre Ausbildung auf einem Bauernhof zu machen und den Bombardierungen zu entfliehen, auch als sie sich in Gevelsberg mit ihrem Mann ein Leben aufbaute. Vieles, das sie in der Jugend lernte, habe sie auch als Hausfrau gemacht, sagt sie.

Nichts übrig lassen

„Lebensmittel wegzuschmeißen, das kam nie in Frage.“ Wenn etwas übrig blieb, dann habe sie es weiter verarbeitet, in einem Eintopf oder in der Pfanne, und später auch eingefroren, erklärt die Gevelsbergerin. Fleisch gab es längst nicht an jedem Tag. Gegessen worden seien nur regionale Produkte. Erdbeeren im Winter? Das gab es nicht. Obst wurde eingemacht, damit es später Vitamine gab. Wenn sie Brombeeren pflücken waren, wenn jemand etwas von der üppigen Ernte abgab, dann kamen die Weckgläser zum Einsatz. Sie habe damals einen Einkochautomaten gehabt, ein Backofen tue es aber auch, erklärt sie. Einmachgläser gebe es heute übrigens wieder zu kaufen, sagt sie. Wichtig ist, dass diese bis oben gefüllt werden, etwas Flüssigkeit dazu kommt und die Gläser mitsamt Gummi und Deckel in ein Wasserbad erhitzt werden. Wenn es am Glas prickelt, dann entweicht die Luft. Und der Inhalt bleibt haltbar.

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Was damals eine große Rolle spielte, war der Tausch. „Ich habe für die Nachbarn auf das Baby aufgepasst“, sagt sie. Dafür habe ich Knochen mit etwas Fleisch erhalten. „Daraus wurde eine leckere Suppe gekocht.“ Die Nachbarn hatten eine kleine Metzgerei. Und wenn sie für eine Nachbarin den Hausflur putzte und das Geländer blank putzte, gab es Wolle. Schon früh habe sie gelernt, sich damit Pullover zu stricken und dicke Socken. Auch Unterwäsche wurde selbst gemacht. „Hübsch waren die nicht, gekratzt haben die auch und sie gingen leider nie kaputt“, sagt sie und lacht. „Gut, dass diese Zeiten vorbei sind.“

Auf dem Feld beschossen

Was sie jedoch vermisst, sei der Zusammenhalt, dass man aufeinander achtet. Das sei damals selbstverständlich gewesen. Heute nicht mehr. Man wusste, wer mit im Haus wohnt, ob demjenigen was fehlt, man teilte ein Schicksal, alle hätten nicht viel gehabt. Also machte man viel gemeinsam, tauschte, bot sich gegenseitige Hilfe an. Das würde auch heute sicherlich vielen dabei helfen, diese schwierigen Zeiten zu überstehen, sagt Annelore Ring. Und davon hat sie einige erlebt.

Auch in Gevelsberg sorgte der Zweite Weltkrieg für schwere Zeiten. Hier ist Bild ist das Hotel-Restaurant Zum Bahnhof an der Hagener Straße Ecke Zimmerstraße, Das Foto entstand einen Tag nach dem Bombenangriff in der Nacht vom 14. auf den 15. April 1942
Auch in Gevelsberg sorgte der Zweite Weltkrieg für schwere Zeiten. Hier ist Bild ist das Hotel-Restaurant Zum Bahnhof an der Hagener Straße Ecke Zimmerstraße, Das Foto entstand einen Tag nach dem Bombenangriff in der Nacht vom 14. auf den 15. April 1942 © Lintl-ArcHiv

In der siebten Klasse, sagt sie, da hätte sie die Schule verlassen müssen, sie wurde mit ihren Mitschülern in die Slowakei geschickt, weil Soldaten in den Klassenräumen unterkamen. Als sie ein Jahr später für den Abschluss nach Wuppertal zurückkehre durften, habe ihr Lehrer allen geraten, sich ja nicht freiwillig für den Kriegsdienst zu melden. „Dafür wäre er in das KZ gekommen, wenn man ihn verraten hätte“, sagt sie. Das erste Mal, als sie merkte, dass die Feinde doch keine Barbaren waren, wie man es allen eintrichterte, da war sie im Münsterland. „Wir waren auf dem Feld und haben gerade die Garben gebunden, als wir den tief fliegenden Bomber sahen.“ Sie hätten sich in einen Graben geworfen. „Ich konnte das Gesicht des Piloten sehen. Er schoss, verletzte aber niemanden. Wir lagen auf dem Präsentierteller, er konnte uns gar nicht verfehlen. Zum Glück wollte er nicht treffen.“

1961 die erste Heizung

Mit 20 kam sie nach Gevelsberg, zog bei ihrer Tante ein. „Auf dem Land hätte ich keinen Ehemann gefunden. Ich war evangelisch. Die Mütter hatten ihren Söhnen verboten, sich mit so jemanden zu treffen.“ Das waren noch wirklich andere Zeiten, sagt sie und lacht. Sie fing in Gevelsberg in einer Bäckerei an. Dort lernte sie einige Jahre später ihren Mann kennen. 1951 zogen sie zusammen, erst zehn Jahre später hatten sie eine Heizung in der Wohnung. Wenn es richtig kalt wurde, dann versammelten sich alle im Wohnzimmer, dort gab es einen Ofen, so wie in der Küche. Im Schlafzimmer wurde nur geheizt, wenn sie den Kochtopf mit Reis ins Bett stellte. „Ich habe das Wasser kurz aufkochen lassen und den Topf dann in die Bettdecke gewickelt. Zwei Stunden später war der Reis fertig.“

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Als die beiden Kinder älter waren, fing sie bei Baltin in Gevelsberg im Versand an. „Wir hatten ein kleines Haus auf dem Börkey, immer wenn wir konnten, renovierten wir etwas.“ Auch in dieser Zeit, musste gespart werden. Sie wollte nur so lange arbeiten, bis sie sich die neue Haustür leisten konnten. Sie blieb 25 Jahre. Später, als die Gesundheit nicht mehr mitspielte, zogen sie und ihr Mann in das Haus Maria Frieden. Jetzt lebt sie dort alleine und erinnert sich gerne zurück. Auch an die „Strümpfchen“, wie sie Lampen nennt, die an der Decke hingen und mit Gas betrieben wurden. Nur wie viel Geld sie reinwerfen musste, das weiß sie nicht mehr.