Gevelsberg. Verbrecher erneut mit Schockanruf erfolgreich. Wie man sie erkennt, wie man sich schützt: Das rät die Polizei.
Sie sind laut, sie sprechen schnell, sagen viel in sehr kurzer Zeit und es geht immer um dramatische Situationen. Ein schwerer Unfall, in den der Sohn verwickelt sein soll, ein Angehöriger, der in Lebensgefahr schwebt oder in großer Not ist: Schockanrufer setzen ihre Opfer emotional massiv unter Druck. „Sie bringen sie in den Zustand, alles herzugeben, um zu helfen“, sagt Polizeisprecherin Isabell Kircher. Dann schlagen sie zu. Eine perfide Masche, die oft zum Erfolg führt.
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Eine 89 Jahre Gevelsbergerin wollte ihren Sohn vor dem Gefängnis bewahren und wurde um ihren Goldschmuck betrogen. „Damit wollte sie eine Kaution zahlen, die es in diesem Justizsystem aber nicht gibt“, sagt Isabell Kircher. Doch so weit denken viele in dieser Situation nicht, können sie nicht, weil sie emotional zu sehr gestresst werden. Und genau das wollen die Schockanrufer erreichen. Die Opfer würden zudem am Telefon gehalten, ihnen wird keine Zeit gegeben nachzudenken oder zu hinterfragen, weiß die Polizeisprecherin. Hinterher werde vielen klar, dass sie betrogen wurden, wenn die Emotionen runter kochen. Doch dann ist das Geld schon weg.
Vier Anzeigen in einer Woche
In dem Fall der 89 Jahre Gevelsbergerin aus der vergangenen Woche spricht die Polizei von Goldschmuck in einem Wert von einem hohen fünfstelligen Geldbetrag. Das sind mehr als 50.000 Euro, die Beute gehe sogar in manch einem Fall bis zu 100.000 Euro hoch. Eine Summe, die plausibel klinge für eine Kaution, die genauso Fiktion ist, wie die Geschichte, die den Opfern aufgetischt wird. Isabell Kircher betont: „Niemals würde die Polizei oder jemand vom Gericht und schon gar nicht ein Staatsanwalt am Telefon eine Geldforderung stellen.“ Egal in welcher Höhe und egal welche Umstände geschildert werden. Und egal wie echt sich das Szenario am Telefon anhört.
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Die Täter seien nicht nur sehr geschult bei der Gesprächsführung, immer mehr würden auch für einen entsprechenden Hintergrund sorgen. Geschäftiges Treiben wie auf einer Polizeiwache, weinende Angehörige, die nicht ans Telefon kommen dürfen, weil es nicht erlaubt sei in der Vernehmung mit der Familie zu sprechen, ein Hörer, der an den entsprechenden Beamten weiter gereicht wird: Schockanrufer spielten eine vermeintliche Seriosität vor, um vertrauenswürdig zu wirken, sagt Isabell Kircher.
Seit einigen Monaten kämen auch immer mehr Betrugsfälle auf, die per WhatsApp verübt werden. Die Opfer werden jünger, und auch hier gehen die Täter gezielt vor. Es ist Abend, kurz vor Mitternacht, eine 60 Jahre Ennepetalerin erhält eine Nachricht per WhatsApp. Die Nummer ist ihr unbekannt. „Hallo Mama“, schreibt jemand, der nicht ihre Tochter ist. Doch das bemerkt die Frau erst, als sie schon das Geld an die übermittelte Kontonummer überwiesen hat. Und noch ein Fall, der sich in der vergangenen Woche ereignet hat: Eine 69-jährige Frau aus Herdecke erhält eine WhatsApp-Nachricht auf ihr Smartphone von einer ihr unbekannten Nummer. Hier gibt sich der Betrüger als ihr Sohn aus, das Handy sei kaputt, deshalb die neue Nummer. Und die sieht unverdächtig aus. Nach einem kurzen Chatverlauf fragt er dann, ob sie für ihn eine Rechnung in einer Gesamthöhe von knapp 2300 Euro begleichen könne. Die Herdeckerin zahlt.
Betrüger geben Nummern weiter
Oft sei es auch so, dass eine Konversation sogar über Tage laufe, weiß Isabell Kircher. Opfer berichten, dass sie gefragt wurden, wie ihr Tag war, wie es ihnen gehe, was es Neues gibt. Ausreden, warum man nicht miteinander telefonieren könne, gebe es viele. Verdächtig komme dies den meisten nicht vor. Dann, wie beiläufig, kommt die Bitte, eine Rechnung zu überweisen, das Onlinebanking gehe nicht, der Rechner spinnt. Auch hier fällt den Tätern viel ein. Nur die Summen seien nicht so hoch wie bei den Schockanrufern.
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Wie viele Menschen solchen Betrügern zum Opfer fallen, ist nicht bekannt. „Die Dunkelziffer ist hoch“, sagt Isabell Kircher. Weil Menschen sich schämten, auf den Trick hereingefallen zu sein und nicht zur Polizei gehen. Alleine in der vergangenen Woche wurden vier Schockanrufe im Ennepe-Ruhr-Kreis zur Anzeige gebracht, bei allen wurden erhebliche Summen erbeutet. Eine 87-jährige Hattingerin gab an, von einem Staatsanwalt angerufen worden zu sein. Die Enkelin sei im Gefängnis. Auch hier übergab die Seniorin Geld in dem Glauben eine Kaution zu zahlen und ihrer Angehörigen zu helfen.
Sehr redegewandt
Die Täter am Telefon treten allgemein sehr kompetent, redegewandt und ohne Akzent auf. Ob Mann oder Frau: Schockanrufer seien intelligent und konversationsstark. Man dürfe die Wirkung in einem Schockanruf nicht unterschätzen, sagt Isabell Kircher. Sie appelliert: „Auch wenn Sie denken, dass Sie auf einen solchen Betrug nicht reinfallen: Bitte appellieren Sie an Freunde, Familie und Bekannte und warnen Sie die Ihnen näherstehenden Personen vor den Gefahren der neuen Masche per WhatsApp.“
Wie die Betrüger an die Nummern kommen? Diese Frage könne nicht genau beantwortet werden, sagt Kircher. Alt klingende Namen wie Erwin oder Brunhilde würden aus Telefonbüchern herausgesucht. Was die Polizei auch gesichert weiß, ist, dass ganze Datensätze über das Darknet verkauft werden, inklusive Name und Infos. Und die würden sogar weitergereicht und auch ergänzt. „Wenn man einmal Opfer eines Schockanrufers war, kann es sein, dass es wieder bei demjenigen versucht wird, nur eben mit einer anderer Masche.“ Die Polizeisprecherin erklärt, dass die Täter ihre Opfer regelrecht instruierten, zum Beispiel wenn sie Geld von der Bank abholen. Sie sollen sagen, dass sie die hohe Summe für ein Geschenk benötigen. Damit reagieren sie darauf, dass die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter einer Bank geschult seien, genau aufzupassen und zu hinterfragen, wenn viel Geld abgehoben wird.
Außergewöhnlich viele Fälle gab es in den vergangenen Wochen nicht, teilt die Polizei mit. Schockanrufe gebe es immer, mal mehr mal weniger erfolgreich für die Täter. „Es ist ein durchgehendes Phänomen. Dadurch, dass sich die Masche ständig ändert, geht es leider auch immer weiter.“