Gevelsberg. Notfallseelsorger Michael Fallenstein aus Gevelsberg gibt tiefe Einblicke in ein sehr wichtiges und emotional mitunter auch belastendes Ehrenamt.

Ein Ehepaar schläft abends zusammen ein, am nächsten Morgen wacht einer von beiden plötzlich nicht mehr auf. Ein geliebter Mensch verliert bei einem schweren Unfall sein Leben und auf einmal steht die Polizei vor der Tür, um die schlimmste aller Nachrichten zu überbringen. Es sind Situationen wie diese, die für viele schier unvorstellbar sind. Und doch gehören sie zur Realität.

Michael Fallenstein aus Gevelsberg weiß das. Als ehrenamtlicher Notfallseelsorger ist er regelmäßig Teil dieser Realität. Für den Evangelischen Kirchenkreis Schwelm steht er Betroffenen und Angehörigen zur Seite, bis der erste Schock überwunden ist. Er hilft, das Chaos zu lichten, wenn um einen herum alles voller Rettungskräfte ist und jemand nicht mehr weiß, wie ihm geschieht. Wenn zu viele Gefühle gleichzeitig drohen, eine Person zu überwältigen.

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„Wenn so ein Einsatz kommt, geht bei uns auch erstmal die Pumpe“, gibt Fallenstein dabei offen zu. Und das obwohl der 68-Jährige eine Ausbildung für die Notfallseelsorge durchlaufen hat, obwohl er viele Jahre Berufserfahrung mit schwierigen Situationen in den Bereichen Forensik und Psychiatrie hat. Der Gevelsberger sagt klipp und klar: „Notfallseelsorge ist nichts für jeden. Jemand mit Helfersyndrom ist dort nicht gut aufgehoben.“

Voraussetzungen für Ausbildung

So gebe es Standards für die Auswahl der inzwischen vor allem ehrenamtlich tätigen Notfallseelsorgerinnen und -seelsorger. An der Ausbildung Interessierte würden gefiltert. So fänden sich vor allem Menschen mit einer belastbaren, oft beruflichen Affinität – zum Beispiel von der Feuerwehr, der Polizei oder auch aus der Sozialarbeit und der Psychologie zum Thema darunter.

Träger der regionalen Notfallseelsorge-Systeme seien meistens die Kirchen, in ökumenischer Zusammenarbeit. Dabei richtet sich das Angebot an Angehörige und Hinterbliebene von Verstorbenen oder Opfern und an Zeugen schockierender Erlebnisse.

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Michael Fallenstein beschreibt es als Erste Hilfe für die Seele. „Wir sind also Ersthelfer, wenn die Arbeit etwa von Rettungsdienst und Notarzt vergebens war“, sagt der Gevelsberger. Sie blieben solange im Einsatz, bis Angehörige oder Freundinnen und Freunde hinzugezogen werden und ein stabiler Trauerprozess begonnen werden könne.

Die Alarmierung des Notfallseelsorge-Teams übernehme ausschließlich die Kreisleitstelle des Ennepe-Ruhr-Kreises. Und zwar nach Anforderung des Notarztes, des Rettungsdienstes, der Polizei oder der Feuerwehr.

Aus verschiedenen Altersgruppen

Der frühere Bethel-Regional-Manager Michael Fallenstein stieß sehr zeitnah zu seinem Ruhestand zum Team der Notfallseelsorger im Evangelischen Kirchenkreis Schwelm dazu. Es deckt seit 1996 den Bereich Schwelm, Gevelsberg, Ennepetal und südliche Teile von Sprockhövel ab.

Verstärkung gesucht

Das Team der Notfallseelsorge im Evangelischen Kirchenkreis Schwelm sucht weitere Unterstützerinnen und Unterstützer. Die Ausbildung wird jährlich angeboten und nimmt eine gewisse Zeit in Anspruch.

Die Notfallseelsorgerinnen und Seelsorger des Kirchenkreises organisieren sich in Form von flexiblen Bereitschaftsdiensten. Für den Fall von Dienstplanlücken oder bei notwendigen Nachalarmierungen gibt es zudem eine Gruppe von Springerinnen und Springern, die der Reihe nach abtelefoniert werden.

„Wir starren in der Bereitschaftszeit nicht nur aufs Handy, sondern leben unser normales Leben“, versichert Michael Fallenstein. „Bis jetzt hat sich immer jemand für Einsätze gefunden.“ Dabei spricht er von 44 Einsätzen im Jahr 2021. Um mit belastenden Einsätzen umgehen zu können, unterstütze das Team sich auch gegenseitig. „Die eigene Psychohygiene ist wichtig“, so Fallenstein.

Wer Teil des Teams werden will, kann sich bei Pfarrer Thomas Bracht melden unter 02339/4418.

2017 hatte es einen Aufruf gegeben, dass dort ehrenamtliche Unterstützer gebraucht werden. Bis dahin hatten Pfarrerinnen und Pfarrer diese Aufgabe zusätzlich zu ihrer eigentlichen Arbeit geschultert. Er habe durch seinen früheren Beruf und die Arbeit für das Hospiz die Affinität zum Thema, erklärt Fallenstein. Als Notfallseelsorger könne er sich noch wirklich einbringen.

Insgesamt 22 Frauen und Männer aus verschiedenen Altersgruppen und Berufen kümmern sich aktuell für den Evangelischen Kirchenkreis Schwelm um die Notfallfallseelsorge, erklärt Pfarrer Thomas Bracht, der gleichzeitig Beauftragter für die Notfallseelsorge im Kirchenkreis und auch aktiver Notfallseelsorger ist.

Kulturelle Unterschiede wichtig

Dabei spiele Religion aber keine Rolle. Während der Schulung in der Notfallseelsorge geht es außer um den speziellen Umgang mit Kindern, die in eine Notsituation involviert sind, auch um kulturelle Unterschiede. Dabei hilft zum Beispiel die Zusammenarbeit mit Imamen und muslimischen Kollegen.

„Die Seelsorge ist überkonfessionell aufgestellt“, erklärt der Gevelsberger Michael Fallenstein. So schildert er einen Einsatz nach einem Todesfall im Zuhause einer arabischen Großfamilie – mit vielen aufgebrachten Verwandten vor Ort, einer Sprachbarriere und großem Unverständnis für die Arbeit von Polizei und Rettungskräften. Da die Todesursache zunächst unklar gewesen sei, habe der Leichnam bewacht und zur weiteren Klärung später sogar beschlagnahmt werden müssen. „Im Islam ist ein anderer Umgang mit Toten vorgesehen“, weiß Fallenstein.

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Gemeinsam mit einer Kollegin, die er nachträglich hinzuruft, gelingt es ihm aber, die Situation zu beruhigen. Hinterher spricht Fallenstein als Christ ein Gebet, zitiert aber auch Koranverse. Die Verwandten sind ihm dankbar. „Die Menschen sind in einer Notsituation und brauchen einfach ein Ritual, das sie stützt und wieder in die Spur bringt“, weiß der Notfallseelsorger.