Ennepe-Ruhr/Gevelsberg. Sucht- und Drogenberatung gehört zur Arbeit der AWo Ennepe-Ruhr. Darum spricht sich ihr Geschäftsführer für die Legalisierung von Cannabis aus.
„Um es gleich vorweg zu sagen, neu sind die Ideen nicht, denn die deutsche Drogenpolitik zu Cannabis scheitert nicht erst in der Gegenwart. Sie war von Beginn an verfehlt“, äußert sich Jochen Winter, Geschäftsführer der Arbeiterwohlfahrt (AWo) Unterbezirk Ennepe-Ruhr, in einem Schreiben an die Redaktion.
Mit dem legalen Verkauf von Cannabis in Deutschland, den die Ampel-Koalition aus SPD, Grünen und FDP auf Bundesebene zunächst testweise einführen möchte, scheint die Politik bei Winter einen Nerv getroffen zu haben. Er war Anfang der 80er Jahre der erste Drogenberater im Ennepe-Ruhr-Kreis. Im Anschluss vertrat er über 15 Jahre lang die verbandliche Drogenpolitik auf Landesebene. Die Diplomarbeit des gelernten Sozialpädagogen beschäftigte sich mit jugendlicher Drogenkultur, dem Umgang damit und der Prävention.
In seinem Schreiben spricht er sich für die Legalisierung aus, zitiert aus dem Koalitionsvertrag: „Für erwachsene Menschen soll es legal möglich sein, in lizenzierten Geschäften Cannabis zu kaufen.“ Jochen Winter sagt dazu: „Es wird Zeit. Macht Euch locker!“ Dabei möchte er betonen, dass es ihm nicht darum geht, für Cannabiskonsum zu werben. Viel mehr sei es ihm wichtig, Konsumentinnen und Konsumenten aus der Kriminalität heraus in einen kontrollierten Bereich zu bringen. Denn: „Cannabis als Genussmittel ist längst etabliert“, weiß Winter.
Beratung für 351 Personen in 2021
Die AWo EN, die ihren Hauptsitz in Gevelsberg hat, betreibt selbst eine Sucht- und Drogenberatungsstelle in Wetter, die außer Wetter selbst noch Herdecke als Einzugsgebiet hat. 351 Personen haben dort laut Jochen Winter im vergangenen Jahr nach Rat gesucht. 230 wegen Problemen mit Alkohol. 50 wegen Cannabis.
Der Geschäftsführer geht davon aus, dass bei einer Legalisierung von Cannabis die Hemmschwelle sinkt, das Beratungsangebot der AWo in Anspruch zu nehmen, wenn jemand ein Problem mit seinem Cannabiskonsum hat.
„Wenn es legal ist, geht es nur um den Konsum, ohne das gemahnt wird“, erklärt er die möglichen Sorgen, weswegen jemand der Beratungsstelle fernbleiben könnte, und fügt hinzu: „Viele Konsumenten, egal welchen Stoffes, schreckt es ab, wenn das Gegenüber von ihnen die totale Abstinenz will.“ Anders als es beispielsweise beim Alkohol der Fall sei, wo nach einem Kontrollverlust ein Umgang damit nicht mehr so gut möglich sei.
Rede von Lebensrealität vieler
„Die geplante Gesetzesänderung trägt der Lebensrealität von Millionen Deutschen Rechnung“, schildert Winter seine Sicht der Dinge weiter. Cannabiskonsum beschränke sich nicht auf Jugendliche und junge Erwachsene. „Der kiffende Vater des Münsteraner Tatortkommissars Thiel ist zwar geschauspielert, gleichwohl hat die Konstellation nichts Ungewöhnliches“, so Winter.
Mut zu anderem Blickwinkel
Das Argument von Cannabis als Einstiegsdroge hält der AWo-EN-Geschäftsführer für wenig stichhaltig. „Ich glaube nicht, dass Cannabis dazu führt, stärkere Drogen zu nehmen“, sagt er. Er findet, dass eher der Schwarzmarkt die Verbindungen dazu schafft.
Kontakt zur VIA Sucht- und Drogenberatung
Die VIA Sucht- und Drogenberatung des AWo Unterbezirks Ennepe-Ruhr ist telefonisch unter 02335/91830 zu erreichen.Es werden „Vor-Ort-Beratungen“ aber auch Telefon- und Videoberatungen angeboten. Bei Interesse ist s notwendig, einen Termin zu vereinbaren.Die „Offene Sprechstunde“ findet wöchentlich immer mittwochs von 17 bis 19 Uhr statt.In der Einrichtung in Wetter, Bismarckstraße 32, gilt die 3G-Regel.
Cannabis zu verteufeln, ist für Winter heute wie schon vor mehr als 30 Jahren wenig zielführend. „Wer Anfang der 90er akzeptierende Drogenarbeit machte, war schnell als Ketzer verschrien, dem wurde Begünstigung und Verführung unterstellt“, blickt er zurück. „Dabei konnte man schon vor mehr als 30 Jahren konsumierende Jugendliche nicht erreichen, wenn man den Konsum von Cannabis grundsätzlich verteufelte.“ Jochen Winter appelliert: „Trauen wir uns also, endlich einen anderen Blickwinkel einzunehmen, das Verbot aufzuheben, von der Entkriminalisierung zur Legalisierung zu steuern.“